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Direkte Demokratie: "Von einer Blockade durch Bürgerentscheide zu sprechen, ist falsch"

Direkte Demokratie

"Von einer Blockade durch Bürgerentscheide zu sprechen, ist falsch"

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    In Bayern fanden seit 1995 weit mehr als 3000 direktdemokratische Verfahren statt.
    In Bayern fanden seit 1995 weit mehr als 3000 direktdemokratische Verfahren statt. Foto: Marcus Merk

    Herr Renner, Ministerpräsident Söder hat in seiner letzten Regierungserklärung angekündigt, die Hürden für Bürgerentscheide heraufsetzen zu wollen. Er will damit Großprojekte schneller umsetzen. Wie war Ihre erste Reaktion auf die Rede?
    JAN RENNER: Wir waren schon sehr überrascht. Schließlich hat die CSU noch im letzten Jahr ihr Grundsatzprogramm erneuert, in dem sie sich ganz klar zur direkten Demokratie bekannt hat. 

    Söder spricht nun davon, dass Bürgerentscheide zur Blockade genutzt würden, gerade bei für die Energiewende wichtigen Verfahren. Können Sie dieses Argument nachvollziehen?
    RENNER: Das ist empirisch so nicht haltbar. Zwischen 2013 und 2022 gab es laut unserer Datenbank 153 klimaschutzbezogene direktdemokratische Verfahren. Lediglich ein Drittel davon wollte wirklich den Klimaschutz ausbremsen. Dann von einer grundsätzlichen Blockadehaltung zu sprechen, ist falsch.

    Ministerpräsident Markus Söder möchte die Hürden für Bürgerentscheide erhöhen.
    Ministerpräsident Markus Söder möchte die Hürden für Bürgerentscheide erhöhen. Foto: Sven Hoppe

    Dennoch ist es ja so, dass direktdemokratische Verfahren die Planung von größeren Bauvorhaben bremsen.
    RENNER: Demokratische Prozesse im Allgemeinen dauern meistens Zeit. Es wäre aber ein Fehler, diesen Aspekt gegen den Klimaschutz auszuspielen. Denn gerade bei solchen Verfahren wie Windkraftprojekten ist es unserer Meinung nach entscheidend, dass die Menschen mitentscheiden können. Dann nimmt man zwar in Kauf, dass es etwas länger dauert, aber am Ende sind die Leute zufriedener mit dem Ergebnis. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass nach einem Schnellverfahren Windräder hingebaut werden und Zorn bei den Bürgerinnen und Bürgern entsteht.

    Sehen Sie nicht die Gefahr, dass Menschen während eines solchen Prozesses mit Halbwahrheiten beeinflusst werden? Im Rahmen des Brexit-Referendums kam es ja zu genau solchen Situationen.
    RENNER: Der Brexit ist mit bayerischen Bürgerentscheiden nicht zu vergleichen. Das war ein von oben bestimmtes, nationales Referendum. Dann gibt es das Problem, dass machtpolitische Interessen mitschwingen und es eher zu Polarisierungen kommt. In Bayern setzen Bürger die Themen aber selbst, beispielsweise durch das Sammeln von Unterschriften. Zwar gibt es dann auch zwei Lager, aber der Umgang ist in den allermeisten Fällen in

    Wo denn?
    RENNER: Uns schwebt zum Beispiel die Einführung von losbasierten Bürgerräten vor. Da werden Bürger in dieses Gremium gewählt und diskutieren im Vorfeld eines Bürgerentscheids über die jeweilige Frage. So ist auch wirklich gewährleistet, dass viele verschiedene Argumente gehört werden. Davon könnte auch Bayern profitieren. 

    Nun soll es ja einen Runden Tisch geben, in dem es unter anderem darum gehen soll, die Hürden für Bürgerentscheide nach oben zu setzen. Wie stehen Sie zu diesem Vorschlag?
    RENNER: Dafür sehen wir keinen sinnvollen Grund. Seit 1995 gab es in Bayern über 3500 direktdemokratische Verfahren, das bedeutet pro Kommune eines in 16 Jahren. Da muss man die Kirche auch einfach mal im Dorf lassen und nicht glauben, dass eine Blockade in ganz Bayern herrschen würde. Das Erhöhen der Hürden würde nicht dazu beitragen, die Demokratie zu verbessern. Ganz im Gegenteil, das würde zu einer Verschlechterung der Mitspracherechte in Bayern führen.

    Jan Renner ist bayerischer Landesgeschäftsführer des Vereins Mehr Demokratie.
    Jan Renner ist bayerischer Landesgeschäftsführer des Vereins Mehr Demokratie. Foto: Cordula Kropke

    Ist es rein rechtlich überhaupt möglich, die Hürden einfach so anzuheben?
    RENNER: Um Quoren zu erhöhen, wäre eine Mehrheit im Bayerischen Landtag notwendig. Rechtlich würde man dagegen also nicht weiterkommen, wenn man gegen eine solche Maßnahme ist. 

    Söder hat in seiner Regierungserklärung auch die Frage gestellt, ob die Balance von Einzelinteressen und Gemeinwohl noch richtig austariert ist in Bayern. Wie würden Sie diese Frage beantworten?
    RENNER: Es ist sehr verallgemeinernd, für diese These Bürgerentscheide als Beleg heranzuziehen. Denn auch Gemeinderäte treffen Entscheidungen, die nicht immer unbedingt im Sinne der Allgemeinheit sind. Ja, es stimmt, dass es auch Bürgerbegehren gibt, bei denen wahrscheinlich eher Partikularinteressen durchgesetzt werden. Aber auch dadurch kommen wichtige Themen in den öffentlichen Diskurs. Und wir sehen immer wieder, dass Menschen durch solche Verfahren motiviert werden, sich kommunalpolitisch zu engagieren. Das zeigt einfach die Bedeutung der direkten Demokratie für Bayern.

    Zur Person

    Jan Renner ist Landesgeschäftsführer von Mehr Demokratie e.V. in Bayern.

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