Die Rechtschreibung muss an Bayerns Schulen künftig in allen Fächern bewertet werden. Auf die Neuregelung reagiert der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) mit Kritik. Er befürchtet mehr Verunsicherung der Schülerinnen und Schüler, aber auch der Eltern und Lehrkräfte. „Da sind Diskussionen vorprogrammiert, wenn es um ungleiche Herangehensweisen geht“, sagt Tobias Schreiner, Leiter der Fachgruppe Realschule im BLLV.
Die Änderungen, die seit diesem Schuljahr sowohl an Grund- und Realschulen, als auch an Gymnasien gelten, wurden durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts notwendig. Bisher war es der Entscheidung der Lehrkräfte überlassen, ob Rechtschreibfehler außerhalb des Deutschunterrichts bewertet werden, etwa in Nebenfächern wie Geschichte oder Religion. Das Gericht indes hatte entschieden, dass klarere und einheitlichere Regeln nötig seien, wie eine Sprecherin des bayerischen Kultusministeriums auf Nachfrage mitteilte. „Natürlich behalten unsere Lehrkräfte dabei ihren pädagogischen Spielraum“, sagte Kultusministerin Anna Stolz unserer Redaktion. „Sie entscheiden weiterhin, wie stark die Fehler ins Gewicht fallen - nach Fach und Lernstand der Schülerinnen und Schüler.“ Dem Ministerium zufolge wird an Grundschulen besonders berücksichtigt, ob der verwendete Wortschatz bereits geübt wurde.
Warum Rechtschreib-Fehler in der Schule jetzt einheitlich bewertet werden sollen
Dass jede Lehrkraft selbst entscheiden kann, was sie bei der Bewertung von Rechtschreibfehlern als angemessen betrachtet, sieht Schreiner vom BLLV kritisch. Die Schulen und die Lehrkräfte hätten einen weiten Ermessensraum, diese Neuregelung zu konkretisieren. „Jetzt ist es wichtig, dass Schulleitungen und Fachschaften sich darauf verständigen, einheitlich eine lernpsychologisch sinnvolle Art der Umsetzung zu wählen, die Fehler als Ausgangspunkt für Verbesserung begreift und nicht in erster Linie als Mittel zum Punktabzug.“ Denn klar sei: „Was Schule am wenigsten braucht, ist eine Erhöhung des Notendrucks.“
Im Kultusministerium geht man derweil nicht davon aus, dass die Neuregelung zu schlechteren Noten führen wird. Ähnlich sieht es auch Karolin Hillesheim, Grundschulpädagogin und -didaktikerin an der Universität Augsburg, die für Schülerinnen und Schüler keine Nachteile sieht: „Ich bin mir sicher, dass keine Lehrkraft die neue Regelung so interpretiert, dass ein Kind nicht mehr aufs Gymnasium oder die Realschule wechseln kann, weil es in der Grundschule Orthografiefehler in der Matheprobe gemacht hat“, sagt sie. Vielmehr freue sie sich, dass die Rechtschreibung wieder mehr in den Fokus gerückt wird. „Ich halte Orthografie für wichtig, und auch, dass Kinder Freude an Sprache und Schrift entwickeln.“
Das Thema Rechtschreibung wird vor allem seit dem schlechten Abschneiden Deutschlands in der PISA-Studie diskutiert. Bayern reagierte darauf unter anderem mit der Umstellung der Stundenpläne an den Grundschulen, dort gibt es seit diesem Schuljahr eine zusätzliche Deutsch-Stunde pro Woche.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, das Bundesverfassungsgericht habe die neue Regel gefordert. Wir haben den Satz präziser formuliert.
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