„DJ Ingo“ muss lange warten, bis er am Samstagabend kurz vor zehn die erste Platte beim „Grünen Abend“ im Congress Centrum in Würzburg auflegen darf. Die Debatte um das Thema Migration beschäftigt die 300 Delegierten beim Landesparteitag deutlich länger als von der Parteispitze vorgesehen. Letztlich bekennen sich die bayerischen Grünen zu mehr „Ordnung“ im Umgang mit Geflüchteten, zur konsequenten Abschiebung nicht nur von Straftätern und Gefährdern, sondern auch nicht anerkannter Asylbewerber, sofern sie nicht die „Voraussetzung für Arbeitsmigration“ erfüllen. Der Antrag, über den der Parteitag entscheiden muss, ist bereits ein Kompromiss zwischen denjenigen, die die Rolle der Grünen als Menschenrechtspartei gefährdet sehen und jenen, die sagen, dass die Integration von Geflüchteten nur gelingen kann, wenn ihre Zahl „stabilisiert“ oder gar reduziert wird.
Die Wortführer dieses eher pragmatischen Ansatzes wie die unterfränkische Bundestagsabgeordnete Manuela Rottmann können sich in der zweistündigen Debatte um Änderungsanträge, in denen unter anderem die Abschaffung von Anker-Zentren gefordert wird, am Ende nicht durchsetzen. Rottmann würdigt auf Nachfrage zwar die „gute Diskussion“ der Delegierten zum Thema Migration. Sie sagt aber auch, sie hätte sich für ihre Positionen mehr Rückendeckung seitens der bayerischen Grünen-Spitze, mit den Vorsitzenden Eva Lettenbauer und Gisela Sengl, gewünscht. „Wer in Bayern regieren möchte, darf sich bei schwierigen Fragen nicht wegducken.“
Katharina Schulze: „Kopf in den Sand stecken, war gestern“
Die meisten Grünen geben sich in Würzburg trotz allem wenig kleinlaut. „Kopf in den Stand stecken, war gestern“, ruft Katharina Schulze, die Vorsitzende der Landtagsfraktion, in den Saal. Andere Rednerinnen und Redner treten ähnlich kämpferisch auf. Nicht die Grünen gefährdeten die Zukunftsfähigkeit des Landes, Markus Söder (CSU) und die Konservativen seien die Bremser. Die Leistungsbilanz bei der Lehrer-Versorgung, in der Verkehrspolitik und vor allem bei der Energiewende im Freistaat stimme nicht, so Schulze.
„Die Menschen in Bayern verdienen eine Regierung, die weiterdenkt als bis zum nächsten Grünen-Bashing“, heißt es dann auch im Leitantrag, den der Parteitag verabschiedet. Forderungen, mit denen die Partei in den Bundestags- und Kommunalwahlkampf geht, sind unter anderem „ambitionierte Ausbauprogramme“ für grüne Energie, „Bürgerräte für eine starke Demokratie“, der Wegfall von Arbeitsverboten für Geflüchtete und kostenloses Mittagessen für alle Kinder in den Tagesstätten und Grundschulen. „Zuversicht“ vermitteln, das ist das Motto des Treffens. Dazu gehöre, die „Erfolge“, die man in Berlin unter anderem bei der Energiewende, beim Staatsbürgerrecht, beim Überwinden der Abhängigkeit von russischem Erdgas, oder beim Einstieg in die Verkehrswende erzielt habe, mehr noch herauszustellen. Gleichzeitig dürften Kompromisse, ohne die es in der Ampel nicht gehe, nicht ständig wieder zerredet werden, mahnt eine Delegierte an.
Zwei neue Hoffnungsträger für den Neustart
Die Grünen würden mehr denn je gebraucht, um das Land zu modernisieren und den Freiheitskampf der Ukraine zu unterstützen, sagt Vorsitzende Sengl. Von der „verächtlichen Hetze“ mancher politischen Gegner werde man sich nicht weiter beirren lassen.
Wer die Hoffnungsträger der Grünen beim vielfach angekündigten „Neustart“ sein sollen, wird am Sonntagmittag klar. Unter großem Beifall stellen sich Franziska Brantner und Felix Banaszak den Delegierten vor. Die Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium und der frühere Chef der NRW-Grünen wollen beim Bundesparteitag in vier Wochen die Nachfolge der zurückgetretenen Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour antreten - und vor allem das grüne Selbstbewusstsein stärken. Banaszak appelliert in seiner Rede nicht zuletzt mit Blick auf die innerparteiliche Migrationsdebatte an die Geschlossenheit der Partei. Auch er hadere mit dem einen oder anderen Kompromiss in der Ampel-Regierung. Letztlich aber müsse gelten: „Der politische Gegner sitzt nicht in den eigenen Reihen, sondern da draußen.“
Fehler bei der Entwicklung des Heizungsgesetzes eingeräumt
Franziska Brantner indes räumt Fehler ihrer Partei bei der Entwicklung des umstrittenen Heizungsgesetzes ein. „Wenn wir beim Heizungsgesetz von Anfang an geeint hätten, was wir Grüne immer wollten, nämlich eine sozial gestaffelte Förderung für den Neueinbau von Heizungen - vielleicht wäre ein Teil der Debatte anders gelaufen.“ Sie sei der festen Überzeugung, dass Klimaschutzpolitik immer auch Sozialpolitik sein müsse. Die negativen Folgen bekämen die Ärmeren immer zuerst zu spüren. „Alles, was wir machen, muss den Anspruch haben, sozial gerecht ausgestaltet zu sein“, betonte sie. „Man muss von Anfang an überlegen: Können sich das auch alle leisten?“
Der mögliche Kanzlerkandidat der Grünen für die Bundestagswahl 2025, Wirtschaftsminister Robert Habeck, schwört die Delegierten bereits auf den Bundestagswahlkampf ein. „Die Bundestagswahl 2025 ist vielleicht die wichtigste Wahl in Europa in den nächsten Jahren: Das größte Wirtschafts- und Industrieland wählt“, sagt Habeck in einer Videobotschaft. „Von hier muss ein Signal ausgehen, dass wir uns nicht unterkriegen lassen von Tendenzen der Spaltung. Dass wir uns von einer Politik nicht unterkriegen lassen, die zwischen Lüge und Wahrheit nicht unterscheiden kann.“ (mit dpa)
Sehr gut – nicht runterziehen lassen und zeigen, was man draufhat Nicht wegducken, sondern Kante zeigen – die ewig Gestrigen werden nicht müde werden, die Grünen schlecht zur reden, aber gute Ideen werden auch sie nicht aufhalten können. Letztendlich kommt sozial- und klimaverträgliche Politik allen zu Gute, auch den Nörglern und Neidern. Aber manchmal ist es wie mit kleinen Kindern: sie mögen den Spinat nicht, auch wenn er gesund ist. Mit Sahnehäubchen drauf rutscht er dann doch.
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Auf gut deutsch Sie meinen, 90 Prozent der deutschen Wähler sprechen sich in den neuesten Umfrage gegen grün aus, weil sie die geniale politische Strategie nicht verstehen? Könnte es nicht eher so sein, dass bei einer Wirtschaftspolitik, die das Land gegen die Wand fährt, die Sozialkassen immer leerer werden? Grün kann nur jemand wählen, der zur sozialen Oberschicht gehört und die ganzen steuerlichen Vergünstigungen für klimafreundliches Verhalten absahnen kann.
Ich gehöre weder der Oberschicht an noch sahne ich steuerliche Vergünstigungen ab. Klimafreundlich bedeutet in erster Linie die Lebensgrundlage für die nächste Generation. Wenn die Politik grüner wird, ist es ein Vorteil für alle. Nicht immer hat die Mehrheit recht. Bei manchen kommt die Erkenntnis erst ein wenig später. Manchmal erst dann, wenn es zu spät ist.
Sie täuschen sich. Zur Oberschicht gehöre ich gewiss nicht, trotzdem halte ich viele Aktivitäten der Grünen für zukunftsorientiert. Mit einer CSU hätten wir noch mehr Menschen an den Tafeln stehen, noch mehr Niedriglöhner mit anschließender Grundsicherung, keinen billigeren Strom, noch mehr Pestizide auf den Feldern und die Co2 Bilanz wäre katastrophal. Die größten Co2 Schleudern sind nun mal im Gebäude- im Verkehrssektor und in der Industrie.
>> „ambitionierte Ausbauprogramme“ für grüne Energie, „Bürgerräte für eine starke Demokratie“, der Wegfall von Arbeitsverboten für Geflüchtete und kostenloses Mittagessen für alle Kinder in den Tagesstätten und Grundschulen. << Das übliche dünne Programm der Grünen; immer ganz wichtig "Bürgerräte" als antidemokratisches Grundangebot gegen die repräsentative Demokratie mit gewählten Mandatsträgern für Stadt und Land sowie der Möglichkeit von Bürgerbegehren.
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