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Die Grünen: Nach der Europawahl: Quo vadis, grüne Basis?

Zwei Mitarbeiter einer Firma für Werbeaufsteller bauen ein Wahlplakat der Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ nach der Europawahl ab.
Foto: Jan Woitas, dpa (Symbolbild)
Die Grünen

Nach der Europawahl: Quo vadis, grüne Basis?

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    Während sich die Menschen in Dillingen an diesem Junitag an den Tischen der Bars und Cafés sammeln und die ersten EM-Spiele verfolgen, trifft sich der Kreisverband der Grünen zu seiner ersten Mitgliederversammlung nach der desaströsen Europawahl. Es ist einer der ersten heißen Tage des Jahres und die Veranstaltung findet ausgerechnet im Dachgeschoss eines Kulturzentrums statt. Fünf Stockwerke sind bis zum stickigen Oberstübchen zu erklimmen und der Aufzug funktioniert nicht. Viel, so scheint es, bleibt den Grünen dieser Tage nicht erspart. 

    Noch vor wenigen Jahren wähnten viele die Grünen auf dem Weg zu einer neuen, progressiven Volkspartei. Selbst Konservative schmückten sich mit der "Fridays for Future"-Bewegung, holten junge, grüne Menschen auf die Bühnen, während Habeck, Baerbock und Co. von Umfragehoch zu Umfragehoch eilten. Heute ist von der Euphorie um die Klimabewegung und ihren politischen Geschwistern nicht mehr viel übrig. Für Konservative, Rechte und die Landwirtschaft sind die Grünen der Erzfeind, werden mitunter bedroht und beschimpft, vielen Stammwählern scheinen sie nicht mehr grün genug und selbst die Jugend wendet sich Alternativen zu, manch einer gar der "für Deutschland". Ist der grüne Zeitgeist also zurück in der Flasche? Und wenn dem so ist, wie bekommt die Partei ihn da wieder heraus? Das fragt sich jedenfalls die Basis hier in Dillingen, wo die Grünen ihr Ergebnis der vorherigen Europawahl halbiert haben, wie vielerorts in Bayern.

    Die Grünen können die Angriffe auf sie nur schwer verdauen

    Zunächst aber steht im Kulturzentrum "Colleg" eine Bilanz zur Diskussion, die es in einer Demokratie eigentlich nicht geben sollte, aber spätestens seit der rauen Landtagswahl im vergangenen Jahr bei den Grünen in Bayern dazugehört. "Wir können feststellen, dass es in unserem Landkreis keine persönlichen Angriffe auf uns gab", konstatiert Co-Sprecherin Angela von Heyden vor der Bühne, wo noch das Szenenbild einer Theateraufführung steht. Dahinter wirft ein Projektor Bilder fröhlicherer Anlässe an die Wand, den Besuch von Claudia Roth während des Landtagswahlkampfs und eine Grünen-Wanderung. 

    "Keine Gewalt vielleicht, aber persönliche Angriffe schon", widerspricht sofort eine Frau in der ersten Reihe. Zwei Jugendliche hätten sie beschimpft, ihre Reaktion gefilmt – und das in ihrem Heimatort, wo man sie kenne. "Das macht schon etwas mit einem. Ich denk' mir, was ist denn los? Wir sind doch bloß Grüne, wir wollen doch bloß Politik machen. Es ist, als ob wir Kinder fressen!" Sie ist nicht die einzige, die von Beleidigungen und Anfeindungen erzählt, einer berichtet vom Unverständnis seiner Familie, dass er noch alleine abends plakatiert. 

    Die Grünen in Dillingen treffen sich zur ersten Sitzung nach der Europawahl.
    Die Grünen in Dillingen treffen sich zur ersten Sitzung nach der Europawahl. Foto: Florian Lang

    "Es gibt grundsätzlich diese populistische Begleitmusik, die zwar nicht repräsentativ spiegelt, was die Leute in der Gesellschaft denken, aber sehr laut ist. Dieser Effekt zeigt sich auch in dem, was Leute denken, dass sie machen können, wenn ihnen etwas nicht passt." So erklärt die Soziologin Jasmin Siri von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, was den Grünen gerade widerfährt. "Subjektiv habe ich auch das Gefühl, dass es viel mehr Angriffe auf Wahlkämpfende gibt. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das nicht auch schon vor 20 Jahren so war, und wir es heute nur stärker wahrnehmen." 

    Der Großteil der Dillinger Mitglieder ist alt genug, um es zu wissen. Hier auf dem Land sei es schon immer so gewesen, dass man anecke und auch beleidigt werde, erzählen sie. Nur drei der insgesamt 22 Anwesenden gehören zur Generation Z, und einer von ihnen erklärt, warum das so ist. "Diejenigen, die sich für grüne Themen interessieren, fühlen sich auf dem Land eh nicht wohl und ziehen in die Großstadt, zum Studieren. Ich habe eine Handwerksausbildung gemacht, und als ich erzählt habe, dass ich die Grünen wähle, hat mich keiner mehr gemocht." Es sei schwierig, die Gebliebenen abzuholen, aber sie seien es, die man überzeugen müsse. "Aber die denken alle nur, wir wollen ihnen die Autos wegnehmen." 

    Die AfD schlägt die Grünen auf Tiktok, die CSU in den Dorfgemeinschaften

    Die Grünen hadern mit vielem. Mit der AfD, die sie auf Tiktok schlägt, mit der CSU, die ganze Dorfgemeinschaften in Bayern dominiert und mit dem Fluch, in Sachen Klimakrise recht zu haben und trotzdem verachtet zu werden. Ein Mitglied, so erzählt es Co-Sprecher Constantin Jahn, könne auf Veranstaltungen nicht fotografiert werden, weil die Familie nichts von seiner Mitgliedschaft bei den Grünen wissen dürfe. In einem der Ortsverbände haben sie ein Ferienprogramm für Grundschüler auf die Beine gestellt, das zwar von den Eltern gelobt wurde. "Aber du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich mein Kind zu euch schicke, oder?", habe eine der Mütter der Organisatorin entgegengeworfen. Kurz kommen im Saal Zweifel auf, ob es wirklich eine gute Idee sei, immer den Mahner zu spielen, die Verbotspartei, die Spaßbremse. "Aber lieber kämpfen wir für unsere Themen und gehen damit unter, als alles über den Haufen zu werfen, nur weil wir schlecht dastehen", ruft Angela von Heyden und erntet dafür Applaus. 

    Genau deshalb hadern sie auch mit sich selbst, vor allem mit einer Bundespartei, die ihren Idealismus zu verlieren und die junge Generation damit zu vertreiben drohe. "Ich und meine Familie haben den Wahl-o-Mat gemacht, und es ist Volt dabei herausgekommen. Es kann doch nicht sein, dass Grüne den Wahl-o-Mat machen und dabei eine andere Partei herauskommt", berichtet einer. Zu viele faule Kompromisse seien eingegangen worden, in der Migrationspolitik und beim "völlig entkernten Klappergespenst von einem Klimaschutzgesetz", wie es ein Mitglied nennt. Dass nun Volt für junge Menschen die Klimaschutzpartei schlechthin zu sein scheint, ist den Grünen ein Stich ins Herz. 

    "Regieren hat einen hohen Preis, und gerade linke Parteien bekommen oft Probleme mit ihren Stammwählern", sagt Jasim Siri. Als Regierung müsse man mit dem verfügbaren Budget arbeiten, und den Gesetzen der Vorgängerregierungen, die man in einem Rechtsstaat nicht einfach so über den Haufen werfen könne. "Die Grünen sind aus einer sozialen Bewegung entstanden, und wenn sie nun von anderen oder neuen Umweltbewegungen kritisiert werden, ist das natürlich besonders hart." 

    In Dillingen geht währenddessen die Sonne unter. Vorne im Saal sitzt der Vorstand im Dunklen, draußen feiert die türkische Gemeinschaft den Auftaktsieg bei der EM mit Hupkonzerten und aufheulenden Motoren so lautstark, dass die Grünen widerwillig die Fenster schließen müssen und die Luft im Raum noch schwerer wird. Stünden Kerzen auf den Tischen, es könnte sich um das konspirative Treffen eines Geheimbundes handeln. "Es wird langsam dunkel hier, weiß jemand, wie man es hier irgendwie heller machen kann?", fragt Jahn in die Runde. Von Heyden springt auf, werkelt kurz am Sicherungskasten und schon ist der Raum erleuchtet. 

    Die grüne Basis ringt um einen Weg zurück in die Erfolgsspur

    Wie man die Partei selbst aus der metaphorischen Dunkelheit führen will, daran scheiden sich in Dillingen die Geister. "Ich weiß, dass einige hier das nicht hören wollen. Aber ich glaube, dass wir in der Opposition besser aufgehoben wären als in der Regierung", sagt eine Rednerin, ganz leise. Als Teil der Regierung trage man eine Gesamtverantwortung, aus der Opposition heraus könne man bessere Nadelstiche setzen. "Ich stehe voll und ganz hinter den Grünen, aber ich fände es gut, wenn wir nach der nächsten Wahl nicht mehr in der Regierung wären." 

    Die meisten wollen weiter gestalten, aber sichtbarer und streitlustiger, denn zu nett seien sie, untereinander und gegenüber den Koalitionspartnern. "In Berlin wird nicht auf den Tisch gehauen, alles ist so still und leise, alles muss harmonisch laufen, aber es gibt halt nicht immer nur Harmonie", sagt einer genervt. Wie zum Beweis, dass die Grünen das noch können, springt eines der Mitglieder auf und bringt einen kleinen Flyer zur Bühne. "Eine saugeile Kampagne von Attac ist das, mit dem Klimageld hätten wir Wahlkampf machen sollen." Der mit dem Kleinwagen bekomme Geld beim Tanken heraus und der mit dem SUV bezahlt dafür. "Bildhafter geht es ja gar nicht, warum machen wir das nicht?", bricht es aus ihm heraus. 

    Den Leuten zu zeigen, was grüne Politik ihnen bringen kann anstatt ihnen wegzunehmen droht, das scheint schließlich Konsens für eine mögliche Strategie zu sein. Und das, ohne dabei aufzuhören, den Finger in die Wunde zu legen. "Ich glaube schon, dass die Klimabewegung noch in den Zeitgeist passt, alleine schon, weil Naturkatastrophen, wie kürzlich in Bayern, viele zum Nachdenken bringen", macht Soziologin Siri den Grünen Hoffnung. Es sei aber rein spekulativ, zu beurteilen, wie stabil das ist, und wie es sich in den nächsten Jahren entwickelt, schränkt sie ein. 

    Einige in der Partei setzen alles auf die nächste Kommunalwahl in Bayern

    So bleibt den Grünen in Dillingen nicht viel übrig, als sich die Wunden zu lecken und den Blick schon auf die bayerische Kommunalwahl 2026 zu richten. Genau auf dieser Ebene könne man den Menschen konkrete Beispiele für erfolgreiche grüne Politik präsentieren, heißt es im Saal. Einen, der das schon recht erfolgreich macht, haben sie an diesem Abend zu Gast. Harry Lenz, der mit lässigem T-Shirt, kurzer Hose und tiefenentspanntem Blick ein bisschen so aussieht, als wäre er gerade aus dem Urlaub zurückgekehrt, ist Bürgermeister der Gemeinde Ebershausen im Nachbarlandkreis Günzburg. Rund ein Viertel der Bürgerinnen und Bürger dort wählte bei der Europawahl die AfD, weit über 40 Prozent die CSU und trotzdem haben sie bei der vergangenen Kommunalwahl einen "langhaarigen Grünen" zum Bürgermeister gemacht, erzählt er lächelnd. Wie er das macht? Gemeinsam die Entscheidungen treffen, alle ins Boot holen, den Menschen zugewandt sein, das sei die Devise in seiner kleinen Gemeinde. "Die Leut' sagen, wir wollen zwar die Grünen net, aber der Harry, der isch ok", schwäbelt Lenz.

    Das passt vielleicht nicht unbedingt zu dem, was die grüne Basis sein möchte, aber zu dem, was sie nun mal ist, zumindest hier in Dillingen: eine Wohlfühloase, ein geschützter Ort zum offenen, respektvollen Austausch. Jeder und jede kommt zu Wort, niemand wird hier unterbrochen, niemand für Meinungen belächelt oder nicht ernst genommen. Entscheidungen werden von unten, basisdemokratisch, getroffen, so wie nach einer halbstündigen Diskussion um die Finanzen. Gegen Ende – die Bildergalerie mit der grinsenden Claudia Roth läuft bereits seit über zwei Stunden in Dauerschleife – ergreift Angela von Heyden noch einmal das Wort. "Wie hat sich das für euch angefühlt, dieser offene Austausch? Hat das für euch gepasst so?", will von Heyden von den Mitgliedern am Ende der Diskussion wissen, als säßen sie im Stuhlkreis zusammen. Dass sich die Grünen nicht umeinander kümmern würden, kann man ihnen nicht vorwerfen. Dann gehen sie nach Hause, die fünf Stockwerke hinunter, wieder ohne Aufzug. Aber nach unten geht es leichter und schneller als nach oben, das weiß gerade niemand besser als die Grünen. 

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