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Die 68er: Der Dutschke von Augsburg ist heute in der CSU

Die 68er

Der Dutschke von Augsburg ist heute in der CSU

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    Gerhard Schmid (zweiter von rechts) bei einer Demonstration am Augsburger Königsplatz.
    Gerhard Schmid (zweiter von rechts) bei einer Demonstration am Augsburger Königsplatz.

    Von Rudi Wais Berlin - 1968 ist er Antreiber und Organisator der Studentenproteste in Augsburg. Heute ist der einstige Revoluzzer Gerhard Schmid Oberschulrat und CSU-Mitglied.

    Ein Revolutionär muss fantasievoll sein - und ballsicher. Das Trommler- und Pfeifenkorps der 24. amerikanischen Infanteriedivision marschiert am 4. Oktober 1968 gerade in die Augsburger Sporthalle ein, als ein halbes Dutzend junger Männer plötzlich über die Bande auf das Spielfeld springt, einen Fußball auspackt und auf ein Tor zu spielen beginnt. "Dies ist eine Sporthalle und keine Militärhalle" ruft einer der Demonstranten noch, ehe ihn ein paar kräftige Saalordner des örtlichen Reservistenverbandes überwältigen. Ihr Ziel aber haben Gerhard Schmid und seine Mitstreiter da schon erreicht: Aufmerksamkeit.

    Knappe 40 Jahre danach sitzt Schmid über alten Briefen, Flugblättern und Fotos - und lacht sich eins. "Das war schon ulkig." In Berlin schießt 1968 ein Hilfsarbeiter auf offener Straße den Studentenführer Rudi Dutschke nieder, in Paris steht Daniel Cohn-Bendit zwischen brennenden Barrikaden - und in Augsburg stört die außerparlamentarische Opposition für fünf Minuten ein Militärmusikfest. Ihr Wortführer ist Gerhard Schmid, der Dutschke von Augsburg, wenn man so will. Seit 1999 ist er Mitglied der CSU.

    Der ungewöhnliche Lebensweg des Augsburger Revolutionsführers, der dem Staat heute loyal als Oberschulrat in Berlin dient, beginnt im Juni 1954 in Westheim bei Neusäß. Schmid wächst mit seinen beiden Schwestern in einfachen Verhältnissen auf: Der Vater Anstreicher, die Mutter Putzfrau, die Wohnung karge 35 Quadratmeter klein. Nach der Mittleren Reife beginnt der Sohn eine Lehre als Textilkaufmann, engagiert sich in der Gewerkschaftsjugend und verweigert, konsequent wie wenige, nicht nur den Dienst an der Waffe, sondern schon die Musterung. "Er erscheint tauglich", schreibt der Arzt in seinen Bescheid.

    Im Frühjahr 1968 ist Schmid ein bekanntes Gesicht in der überschaubar kleinen linken Szene in Augsburg. Er organisiert die Ostermärsche, hält Vorträge über die Arbeiterbewegung und engagiert sich im Kritischen Seminar, einer Art Volkshochschule für Freidenker. Ein Kurs diskutiert über "Sexualökonomie und Orgasmustheorie", ein anderer über die "sozialökonomische Struktur Südvietnams".

    Schmid ist so etwas wie der Augsburger APO-Chef. Dazu hat ihn zwar nie jemand gewählt, doch irgendwie, sagt er, habe er "das Ganze zusammengehalten". Die Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze und den Krieg in Vietnam, die Schulstreiks und Sitzblockaden, die quälend langen Debatten mit Jungsozialisten und Jungdemokraten. "Heuchler und kalte Krieger" sind sie 1968 für ihn, den Unangepassten. Wenige Wochen nach dem Happening in der Sporthalle schließt die SPD Schmid wegen "groben Verstoßes gegen die Parteigrundsätze" aus. Heute sagt er: "Wir waren völlig verblendet."

    Auch in Augsburg flattern im Frühjahr 1968 Vietcongfahnen über dem Königsplatz. Bei den Demonstrationen aber geht es, wie ein Polizeibericht vermerkt, "äußerst gesittet" zu. Im Gegensatz zu den großen Städten, erinnert Schmid sich, ist der Protest hier nicht so studentisch geprägt und die APO längst nicht so theorielastig wie in Berlin oder Frankfurt. Friedensbewegte Ostermarschierer, kommunistische Kader, Arbeiter von Renk und MAN und ein paar Dutzend engagierte Gymnasiasten verbünden sich zu einer bunten, jungen Bewegung.

    Schmid selbst wird später Lehrer, doch Bayern verwehrt ihm eine Karriere im Schuldienst: Zu links, zu radikal. Es ist, sozusagen, die späte Rache des Systems. Um in seinem Traumberuf arbeiten zu können, geht der bodenständige Schwabe nach Berlin und wandelt sich in der Hochburg der Linken zum strammen Konservativen. Auch viele Mitstreiter, die später Richter werden, Professoren oder Oberstudienräte, sind mit den Jahren bürgerlicher geworden. Die meisten aber, sagten Schmid, sonnten sich noch immer im Licht von 1968: "Sie reden links - und leben rechts."

    Was andere einen Mythos nennen, den aufklärerischen Einfluss des Protestjahres, empfindet er heute als Lebenslüge: "So kritisch, wie wir dachten, waren wir in Wirklichkeit gar nicht." Im Gegenteil: Viele, auch er, seien unkritisch hinter Massenmördern wie Mao hergelaufen. Und wenn der APO in Augsburg das Geld ausging, fand sich immer ein hilfsbereiter DKP-Mann, der neues auftrieb. Inzwischen weiß Schmid: Es kam aus der DDR.

    1979 erfährt er bei einer China-Reise, wie Mao im Namen der Kulturrevolution über Leichen gegangen ist. Es ist das Erweckungserlebnis des Gerhard Schmid: "Meine sozialistischen Ideale habe ich dort abgelegt." Geblieben ist ihm aus dem Jahr 1968 neben vielen Erinnerungen nur eines: seine Frau Jutta. Die hat der Dutschke von Augsburg nämlich in der APO kennengelernt.

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