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Europa zu Gast im Land der Pannen-Bahn
![Die Stadt Frankfurt hat ihre Ampeln zur EM umgestaltet. Wie hier vor dem Hauptbahnhof zeigt das Männchen die Rote Karte. Die Stadt Frankfurt hat ihre Ampeln zur EM umgestaltet. Wie hier vor dem Hauptbahnhof zeigt das Männchen die Rote Karte.](https://www.augsburger-allgemeine.de/resources/1715673836705-1/ver1-0/img/placeholder/16x9.png)
Dass die Bahn unverhoffte Abenteuerreisen bescheren kann, weiß man. Bei der EM schaden Verspätungen und Chaos dem Ruf Deutschlands. Und jetzt, Rote Karte für den Chef?
Die niederländischen Fans schienen vor Beginn der Europameisterschaft ziemlich überzeugt zu sein, dass ihr Team ins Finale einzieht. Und sie vertrauen auf den Schienenverkehr. Das Buchungsportal Trainline hat errechnet, dass in keiner Stadt mehr Zugfahrkarten zum Final-Spielort Berlin gebucht wurden als in Den Haag. Man kann jetzt vermuten, dass die Oranje-Fans nicht wussten, was sie auf den Gleisen Deutschlands erwartet. Man kann es aber auch der entspannten Grundhaltung zuschreiben, die sich bei niederländischen Fans auf ihrer Reise durch Deutschland zeigt. Gefragt nach den Bahn-Problemen, hatten zwei Holländer in Gelsenkirchen nur am Bord-Bistro etwas zu bemängeln: "Das Bier war nicht so kalt." Mit ihrer Lässigkeit sind die Niederländer eindeutig in der Minderheit in diesen Tagen. Allgegenwärtig im Internet ist ein Video der österreichischen Fans, in dem sie zu Hunderten singen: „Die Deutsche Bahn is' so im Oasch“.
Nach München haben es vor dem Achtelfinale der Oranjes gegen Rumänien am Dienstagabend trotzdem mehrere Tausend Fans geschafft – Willem Jan ist einer von ihnen. Der Niederländer, natürlich im orangefarbenen T-Shirt mit blauem Löwen darauf, war schon bei den Spielen in Hamburg und Berlin dabei. Von der Organisation des Transports hätte er sich mehr erwartet, so lässt er sich in der Münchner Abendzeitung zitieren. Das sei aber nicht der Grund, sagt Jan lachend, warum er mit seiner Partnerin an diesem Abend in die Allianzarena radeln will.
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Nichts bremst die EM-Party in Deutschland so sehr wie die Bahn. Die Deutschen galten in anderen Ländern nie als der Sonnenschein unter der bunten Schar der Völker, aber Effizienz, Verlässlichkeit und Funktionalität billigte man ihnen – und ihren Verkehrsmitteln – respektvoll zu. Und jetzt? „Euro 2024 und deutsche Effizienz: Vergessen Sie alles, was Sie zu wissen glaubten“, titelte die New York Times über die Widrigkeiten der deutschen Eisenbahn. Der Sportreporter des ehrwürdigen Telegraph aus London hat eine Reportage über seine Tage in den Zügen der Deutschen Bahn geschrieben. „Und es war ein Albtraum“, heißt es in der Schlagzeile.
Nun steht das staatseigene Unternehmen nicht nur für sich selbst, sondern für das ganze Land. Sowjetführer Lenin forderte einst, dass sich die Revolution ein Beispiel an der Deutschen Reichsbahn nehmen müsse, nach der man sprichwörtlich die Uhr stellen konnte. Die Reichsbahn brachte ihn schließlich im berühmten plombierten Waggon nach Petersburg, damit er den Umsturz vollbringen und Russland aus dem Weltkrieg nehmen möge. Das war im April 1917. Heute erinnert die Bahn in Deutschland an den heruntergewirtschafteten Kommunismus im Ostblock der 80er-Jahre.
Fast jeder zweite Zug kam bei der Deutschen Bahn im Juni zu spät
"Stecke im Zug fest. Die Durchsage begann gerade mit: 'Ich weiß nichts.'", twitterte der frühere Nationalkicker und heutige Fußballexperte Thomas Hitzlsperger vor wenigen Tagen aus Leipzig. Seine auf Englisch getippte Nachricht endete auf Deutsch mit dem Wort Armutszeugnis. Neben der Beschreibung der Misere der Bahn wird es gerne verwendet, um die Malaise des hiesigen Schulsystems zu charakterisieren oder den Mangel an Tempo in der deutschen Verwaltung. Nicht nur die Bahn ist „im Oasch“, um es mit den Nachbarn zu sagen.
Aber bleiben wir beim Schienenkonzern. Im Juni kam im Fernverkehr beinahe jeder zweite Zug zu spät. Die Pünktlichkeit sackte auf 55 Prozent ab. Schuld war das Wetter am Anfang des Monats. Stürme, Überschwemmungen und Dammschäden haben der Bahn einen „massiven Pünktlichkeitsdämpfer“ verpasst, wie ein Konzernsprecher es formulierte. Vor dem Dämpfer rollte „nur“ jeder dritte Zug des Fernverkehrs hinter dem Fahrplan in den Bahnhöfen ein. Für das von Bahnchef Richard Lutz ausgegebene Pünktlichkeitsziel wird es nun sehr eng, sagt einer, der es wissen muss. Martin Burkert ist Vorsitzender der Eisenbahnergewerkschaft EVG und hat in den 80er-Jahren bei der Bahn gelernt. „Um die angepeilten 70 Prozent im Gesamtjahr zu erreichen, müssten wir in den kommenden Monaten 77 Prozent erreichen, um den Rückstand aufzuholen. Das wird nicht zu schaffen sein“, meint er am Telefon. Burkert ist Eisenbahner durch und durch und ihn schmerzt, dass das Unternehmen so schlecht dasteht.
![Fußballfans warten in einem verspäteten Zug in Frankfurt auf die Abfahrt. Fußballfans warten in einem verspäteten Zug in Frankfurt auf die Abfahrt.](https://www.augsburger-allgemeine.de/resources/1715673836705-1/ver1-0/img/placeholder/16x9.png)
In der Analyse besteht unter den Kennern, Mitarbeitern und Politikerin Einigkeit darüber, warum das so ist. Deutschland hat seit der Bahnreform 1994 die Schiene kaputtgespart, vernachlässigt und heruntergewirtschaftet. Die Autobahn war wichtiger. Was über drei Jahrzehnte versäumt wurde, ist nicht über Nacht aufzuholen. „Das kann man jetzt nicht mehr kaschieren“, sagt der EVG-Chef lapidar.
Der kleine Levi aus Wien hätte deswegen beinahe seinen großen Moment verpasst. Bei der Fußball-EM spielten seine Österreicher gegen Frankreich, sein Vater hatte ihm die Karten zum Geburtstag geschenkt. Morgens ging es in Wien los, der Schiedsrichter sollte die Partie im Düsseldorfer Stadion um 21 Uhr anpfeifen. Normalerweise dauert die Fahrt zwischen beiden Städten acht Stunden. Doch Levi und seinen Vater schickte die Deutsche Bahn auf eine Odyssee mit Ersatzverkehr, ungewollten Zwischenstopps, Umleitungen und teuren Taxifahrten. In der 70. Spielminute kamen die beiden Wiener im Stadion an, die Uhr zeigte nach 22 Uhr. Aus acht Stunden Fahrt waren 15 geworden. Zu lesen ist die Geschichte in der Kronen-Zeitung.
Die Bahn hat so viel Rost angesetzt, dass nicht einmal die akribische Vorbereitung auf das Großereignis die Blamage verhindern konnte. „Seit Monaten bereiten sich fast 150.000 Mitarbeitende auf ihren Einsatz im Fußball-Sommer vor“, sagte Fernverkehrsvorstand Michael Peterson anderthalb Wochen vor dem Beginn der EM. Die Pressemitteilung trug die Überschrift „DB ist auf EM-Sommer gut vorbereitet“. 14 EM-Sonderzüge sind im Einsatz, an den Spieltagen wollte die Bahn 10.000 Sitzplätze zusätzlich anbieten. Als sich die versprochene gute Vorbereitung in das Gegenteil verkehrte, musste Peterson wieder ran, um den Kotau zu machen. „Wir verstehen den Unmut und die Kritik von Fans. Die Bahn bietet aktuell nicht die Qualität, die alle verdient haben“, räumte er in der Bild-Zeitung ein.
CSU-Bahn-Experte Lange würde bei der Bahn "einige vom Platz stellen"
In die entgegengesetzte Richtung wie all die Fußballfans, weg aus Deutschland, wollen zwei junge Frauen am Münchner Hauptbahnhof. Gerade kommen sie aus dem Reisezentrum der Bahn, blättern durch ein paar Seiten Papier. Die beiden heißen Franziska und Melanie. Sie sind an diesem Morgen mit der Bahn aus Hannover angekommen und wollen eigentlich weiter nach Verona. Eigentlich sollten sie schon längst im Zug Richtung Italien sitzen. Aber in Hannover ging es schon fast drei Stunden später los als geplant, sie verpassten den Anschluss in München. "Wir hatten überall eine Stunde eingeplant als Puffer, weil man ja immer davon ausgehen muss, dass etwas dazwischenkommt", erzählt Franziska entnervt.
Auf dem Gleis vor den beiden Frauen steht ein Zug, auf der Anzeige: Verona, Abfahrt um 9.34 Uhr. Warum können sie nicht einfach in diesen Zug einsteigen? "Da muss man reservieren und der ist jetzt schon voll. Deswegen nehmen wir jetzt den um halb zwölf", sagt Melanie. Eigentlich hätten sie um diese Uhrzeit schon in Italien sein sollen. "Das wird dann auch die letzte längere Reise mit der Bahn erst mal", seufzt Melanie.
Der CSU-Bahnexperte Ulrich Lange findet, dass der Rumpelbetrieb und die Serie aus Pleiten, Pech und Pannen nicht nur auf fehlende Investitionen geschoben werden kann. Er ist nicht allein mit dieser Meinung. „Wir haben massive Probleme beim Management der Baustellen, bei Information und Service. Die Bahn ist keine Visitenkarte für Deutschland“, sagt Lange. Wegen der katastrophalen Außenwirkung während der EM könne der Vorstand nicht einfach weitermachen, als wäre nichts geschehen. „Wenn ich Schiedsrichter wäre, würde ich einige vom Platz stellen, um in der Sprache des Fußballs zu bleiben. Die Rote Karte gilt auch für Bahnchef Lutz“, sagt der Fraktionsvize der Union. Lange ist noch sauer, weil er sich erst vergangene Woche im Verkehrsausschuss mit den endlosen Misslichkeiten um Stuttgart 21 herumschlagen musste. Sieben Jahre später als geplant wird der Bahnhof dort eröffnet, wenn es beim jetzigen Stand von Ende 2026 bleibt. Die Kosten verdreifachten sich auf 11,5 Milliarden Euro.
![Ein rotes Schild sperrt ein Gleis der "Riedbahn" genannten Bahnstrecke Mannheim-Frankfurt am Bahnhof Lampertheim. Ein rotes Schild sperrt ein Gleis der "Riedbahn" genannten Bahnstrecke Mannheim-Frankfurt am Bahnhof Lampertheim.](https://www.augsburger-allgemeine.de/resources/1715673836705-1/ver1-0/img/placeholder/16x9.png)
Bahnchef Lutz steht seit 2017 an der Spitze des Konzerns, davor war er sieben Jahre lang Finanzvorstand. Er hat schon oft Kehrtwenden versprochen, Besserung gelobt und die starke Schiene beschworen. Doch mehr als den Mangel verwaltet hat er nicht, trotz aller verbalen Aufbrüche. Während des EM-Debakels ist Lutz bislang in Deckung geblieben.
Den Karren aus dem Dreck ziehen soll jetzt das gewaltige Sanierungsprojekt 2030. Bis dahin sollen die 40 wichtigsten Teilstrecken des Netzes einmal komplett überholt werden. Los geht es direkt nach dem Abpfiff der EM mit dem Teilstück zwischen Frankfurt am Main und Mannheim. Binnen fünf Monaten sollen Weichen, Signale, Gleise, Stellwerke und Bahnhöfe runderneuert werden. In der Zeit ist die Strecke voll gesperrt, der Verkehr läuft über Busse und Nebenstrecken. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat sich für das radikale Konzept entschieden, nachdem die Sanierung im laufenden Betrieb Stückwerk geblieben war. „Sobald diese erste Sanierung Ende des Jahres abgeschlossen ist, werden die Fahrgäste bereits erste positive Effekte für Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit erleben“, sagt Wissings Bahnbeauftragter Michael Theurer. Der Flaschenhals zwischen den beiden Großstädten steht wegen seiner Störanfälligkeit oft am Beginn der Fehlerkette im ganzen Netz.
Die Generalsanierung wird der Lackmustest, ob die Ampelkoalition den Verfall ihres Unternehmens stoppen und umkehren kann. Theurer verweist auf die hohen Summen, die dafür aufgebracht werden. In diesem Jahr steckt das Regierungsbündnis statt neun Milliarden Euro ganze 16,3 Milliarden in die Bahn. In der mittelfristigen Planung kamen fast 30 Milliarden Euro dazu. CSU-Bahn-Experte Lange glaubt indes nicht an die segensreiche Generalsanierung. Denn von den 106 Brücken auf der Strecke zwischen Frankfurt und Mannheim wird keine einzige saniert, gleiches gilt für die Tunnel. „Das ist das nächste Pinocchio-Projekt der Bahn, sie dreht uns eine lange Nase“, ätzt er. Und weil die Ampel sparen muss, hat der Schienenkonzern einige Neubaustrecken und Ertüchtigungen auf Eis gelegt. Es wird einige Jahre dauern, bis Deutschland die nächste Fußball-EM oder -WM ausrichtet. Schau mer mal, was die Österreicher dann singen. (mit sari)
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Und das Spielchen geht fröhlich weiter nach dieser Blamage gegenüber dem Rest der Welt. Keine harten Entscheidungen werden getroffen, keine Rausschmisse der "hohen" Verantwortlichen sind zu erwarten, keine eindeutigen Aussagen von Politikern, geschweige denn entsprechende Maßnahmen, usw., usw. Nur, nichts praktisches passiert! Wer heute pünktlich irgendwo hin will, sollte definitiv nicht die Bahn nehmen. Da ist ja noch ein Fußmarsch angebrachter als irgendeine Bahnfahrt.
Wie schnell besonders CSU Politiker immer vergessen, wie lange CSU Politiker Verkehrsminister waren...
Und vor allem wer Deren Chef in der Zeit war?
Markus Söder, war es jedenfalls nicht, Nein!