Herr Heckl, Sie haben nach dem Abitur mit der exzellenten Note 0,8 Physik studiert und sind seit 2004 Generaldirektor des Deutschen Museums in München. Mancher war erbärmlich schlecht in Mathe und Physik. Können Sie solchen Menschen Trost spenden?
Wolfgang M. Heckl: Wenn mir Menschen erzählen, dass sie schlecht in Mathe und Physik waren, sage ich ihnen: Dann haben Sie keine guten Lehrer gehabt.
Das klingt tröstlich. Liegt das Mathe- und Physik-Versagen also nicht am eigenen Unvermögen?
Heckl: Ich hatte jedenfalls gute Lehrer in Mathe und Physik. Und warum waren diese Lehrer so gut?
Ja, warum?
Heckl: Weil ich diese Lehrer als Menschen enorm gut gefunden habe. Es lag also nicht nur daran, dass mir diese Pädagogen Mathe und Physik gut beibringen konnten. Sie haben mich auch als Menschen begeistert. Mein Mathe-Lehrer hat mich zum Fliegen mitgenommen. Er war auch Segel- und Motorflug-Lehrer. Als Schüler habe ich zu solchen wunderbaren Menschen aufgeblickt. Und so habe ich mir gedacht, wenn diese guten Typen Mathe und Physik lehren, könnte das auch für mich ein geeignetes Studienfach sein.
War Physik eine gute Wahl für Sie?
Heckl: Das war eine sehr gute Wahl. Ich habe im Physik-Umfeld intelligente und zugleich bescheidene Menschen kennengelernt wie etwa den Nobelpreisträger Gerd Binnig, der das Rastertunnel-Mikroskop entwickelt und die Nanowissenschaften mitbegründet hat. Ich war sein Schüler. Ähnlich positive Erfahrungen habe ich als Schüler von Theodor Hänsch, einem der Pioniere auf dem Gebiet der optischen Physik und Atomphysik, gemacht. So wurde ich Professor. Physiker sind Menschen, die einräumen, die Gesetzmäßigkeiten der Natur kaum zu verstehen.
Das klingt nach den durch Platon überlieferten Erkenntnissen des griechischen Philosophen Sokrates, der sich seines mannigfachen Nichtwissens rühmte und es offen eingestand.
Heckl: Doch Sokrates ergänzte, dass sich vielerlei Schönes wissend finden lasse. Die Physiker, die mich geprägt haben, lehrten mich, dass die Erde wunderbar ist. Und obwohl die Natur so schwer zu verstehen ist, widmeten sie ihr das ganze Leben. Diese Menschen haben mich Hingabe gelehrt. Professor Hänsch versucht sein Leben lang, das Wasserstoff-Atom zu verstehen. Dieses Atom ist das einfachste und kleinste der Natur. Selbst dieses Atom verstehen wir nicht zu 100 Prozent. Wir können als Physiker vieles erklären, doch nicht alles verstehen. Auch der Philosoph Augustinus hat, als er sich mit dem Phänomen Zeit beschäftigt hat, eingeräumt, es verstanden zu haben, aber nicht erklären zu können.
Das ist eines der großen Paradoxe, eben Widersprüche des Lebens.
Heckl: Nehmen wir einen kleinen Stein, der zu Boden fällt. Natürlich können wir erklären, warum das so ist. Hier wirkt die Gravitation. So wie die Erde den Stein anzieht, zieht auch der kleine Stein trotz seiner geringen Masse die Erde an. Das eigentlich unverständliche Phänomen können wir mit einer einfachen Formel zumindest erklären. Es wäre jedoch ein zu hoher Anspruch, wenn wir verstehen wollten, warum das so ist.
Und dennoch lieben Sie die Physik.
Heckl: Und das schon sehr lange. Ein Fußball-Kamerad aus meiner Jugendzeit wollte von mir wissen, ob ich mich an seine Frage erinnern könne, was ich mal werden wolle. Ich habe damals geantwortet, ich wolle Wissenschaftler werden – und das, obwohl ich nicht wusste, was den Beruf ausmacht. Doch früh haben mich schon die Berichte der Planetary Society fasziniert, die von Carl Sagan mitbegründet wurde. Die Gesellschaft befasst sich mit außerirdischem Leben. Ich habe Sagan in Kanada kennengelernt und bin seitdem Mitglied der Planetary Society. Ich beteilige mich an der Erforschung außerirdischen Lebens.
Gibt es Außerirdische?
Heckl: Wir beobachten mit Teleskopen, ob wir irgendwo etwas finden, ob es jenseits des Rauschens Signale gibt, die auf unbekannte Existenzen schließen lassen. Wir sind aber noch nicht auf außerirdisches Leben gestoßen.
Noch nicht?
Heckl: Genau, noch nicht. Denn ich und andere Wissenschaftler sind überzeugt: Wir Menschen sind nicht allein im Kosmos.
Sind wir wirklich nicht allein?
Heckl: Ich bin davon überzeugt, dass wir nicht allein sind. Denn die Geschichte unserer Erde zeigt, dass aus unbelebter Materie Leben entstehen kann. Das ist eines der größten Geheimnisse, an dessen Erforschung auch ich mich an der TU München mit meinem Lehrstuhl beteilige. Das Beispiel der Erde legt die Annahme nahe, dass die Gesetze der Physik universell gelten. Was mit der Erde passiert ist, also die Entstehung des Lebens, könnte sich auch anderweitig im Universum ereignen. Der Gedanke fasziniert mich.
Sind wir also nicht die Krone der Schöpfung?
Heckl: Nein, es wäre vermessen zu glauben, dass die Menschen die Krone der Schöpfung sind. Schon Kopernikus hat uns ausgetrieben, dass wir im Mittelpunkt des Sonnensystems stehen.
Wann stoßen Sie und Ihre Mitstreiter auf Außerirdische?
Heckl: Wahrscheinlich nie, weil dieses außerirdische Leben viel zu weit weg ist. Es wäre eben viel zu weit für Außerirdische, zu uns auf die Erde zu kommen. Wir Menschen haben erst 1906 mit der ersten Radiosendung dem Kosmos bekannt gegeben, dass es uns gibt. Seitdem blasen wir elektromagnetische Signale weit hinaus. Sie sind aber noch nicht weit gekommen.
Wie weit sind die Signale gekommen?
Heckl: Eine Radiosendung, die vor 100 Jahren gesendet wurde, ist erst 100 Lichtjahre weit gekommen. Das ist gar nichts im Kosmos.
Dennoch forschen Sie weiter. Ist das vertane Zeit?
Heckl: Nein, weil es eine faszinierende Tätigkeit ist. Das ist ein intellektuelles Abenteuer. Wir fragen uns doch als Menschen: Woher kommen wir, wohin gehen wir? Auch Philosophen machen sich Gedanken darüber, wie sich der Kosmos zusammensetzt, auch wenn sie wissen, dass sie niemals zur Sonne fliegen können, um dort Proben zu entnehmen.
Glauben Sie als Physiker an Gott?
Heckl: Ich antworte mit dem deutschen Astrophysiker und Naturphilosophen Harald Lesch: Er meinte, es würde ihm schon reichen, wenn Gott an ihn glauben, ihm also einen Teil seiner Liebe schenken würde.
Lesch zitiert aber auch den französischen Denker Voltaire, der meinte, wenn es Gott nicht gäbe, müsste man ihn erfinden.
Heckl (lacht): Glauben ist wichtig: Der Physiker Niels Bohr war bei seinem Kollegen Werner Heisenberg in dessen Ferienhaus am oberbayerischen Walchensee zu Gast und stellte fest, dass über der Eingangstüre ein Hufeisen als Glücksbringer hing. Bohr meinte zu Heisenberg, er würde doch wohl nicht an so etwas glauben. Heisenberg entgegnete, natürlich glaube er nicht daran. Er ergänzte indes, man habe ihm versichert, der Glücksbringer funktioniere selbst dann, wenn man nicht an ihn glaube.
Kann Wissenschaft witzig sein?
Heckl (lacht): Freilich. Wissenschaft kann witzig und unterhaltsam sein. So habe ich beim Sonntags-Stammtisch des BR, an dem ich rund zehn Jahre teilgenommen habe, immer so kleine Experimenterl mitgebracht. Einmal ließ ich eine Drohne durchs Studio fliegen und abstürzen. Zum Entsetzen meines Mit-Stammtisch-Bruders Helmut Markwort hatte ich mal eine Zecke dabei, die sich zuvor im Fell unseres Hundes befand. Solche Späße liebten die Zuschauer.
Witzig ist auch, dass Sie bis heute im Guinness-Buch der Rekorde als Urheber des kleinsten Lochs der Welt stehen. Was hat es damit auf sich?
Heckl: Ich habe ein Atom aus der Oberfläche eines Kristalls entfernt. Zuvor hatte ich das Atom mit dem Rastertunnel-Mikroskop meines Lehrers Binnig sichtbar gemacht. Eines der Atome habe ich mit der Spitze dieses Mikroskops entfernt. Dieses Loch ist eine Leerstelle. Eigentlich war die Aktion ein Unfall.
Was ging schief?
Heckl: Eigentlich wollte ich nicht das kleinste Loch der Welt erschaffen. Ich wollte mit dem Mikroskop nur die Atome abbilden, bin aber dann mit der Nadel zu nah an die Oberfläche der Atome gekommen. Dann hat es ein Atom rausgekickt. Mein Kollege und ich waren enttäuscht, wieder nicht das erreicht zu haben, was wir wollten. Dann sind wir in München im Schelling-Salon ein Bier trinken gegangen. Mein Kollege sagte zu mir: Du, das schicken wir jetzt an das Guinness-Buch der Rekorde. Wir haben doch unabsichtlich ein atomares Loch erzeugt.
Was ist darauf passiert?
Heckl: Die Experten des Guinness-Buchs wollten wissen, wie wir das extrem kleine Loch gebohrt haben. Wir schrieben zurück, wir hätten es nicht gebohrt. Es sei das Ergebnis eines Spannungsstoßes. Sechs Wochen darauf kam der nächste Guinness-Brief: Sie wollten wissen, welchen Bohrer wir verwandt hätten.
Ein großer Aufwand für ein Super-Mini-Loch.
Heckl: Doch ich habe verstanden, worauf es bei Wissenschafts-Kommunikation ankommt: Man muss Menschen wie im Deutschen Museum Dinge so erklären, dass sie sie verstehen können. Und so habe ich zurückgeschrieben: Um ein atomares Loch zu bohren, habe ich einen atomaren Bohrer eingesetzt. Dann waren die Guinness-Leute zufrieden. Seitdem stehen wir im Guinness-Buch der Rekorde.
Ohne Bohrer hätten sie keinen Erfolg gehabt.
Heckl: Für die Guinness-Leute stand eben fest, dass man nur mit einem Bohrer ein Loch bohren kann. Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Einstein hat so wunderbar gesagt: Man muss die Dinge so einfach wie möglich machen, aber nicht einfacher. Deswegen bieten wir im Deutschen Museum Informationen für Menschen mit einem unterschiedlich ausgeprägten Wissensstand an.
Sie gehen als Wissenschaftler an die Basis.
Heckl: Ich rede gerne mit Schülerinnen und Schülern über Wissenschaft. Wenn ich denen erzähle, ich stehe im Guinness-Buch der Rekorde, ist ihre Neugierde geweckt. Und ich suche auch Diskussionen mit Menschen in Repair-Cafés, also Reparatur-Cafés, in denen Dinge wieder instand gesetzt werden.
Über das Thema haben Sie als leidenschaftlicher Bastler das Buch „Die Kultur der Reparatur“ geschrieben. Was fasziniert Sie dermaßen an der Materie?
Heckl: Zunächst ist Reparatur ein göttliches Prinzip: Wir Menschen würden keine Sekunde überleben, wenn nicht schon auf molekularer Ebene ständig repariert würde. So wird ständig unsere DNA repariert, weil wir uns durch Rauchen oder andere Gifte schädigen. Ohne Reparatur kann Leben nicht entstehen. Die gesamte Menschheitsgeschichte ist eine Geschichte der Reparatur.
Sie arbeiten im Kleinen an diesem Projekt mit, wenn Sie in ihrer privaten Werkstatt alte Röhren-Fernseher mit ihrem Freund, dem Raumfahrer Ulrich Walter, instand setzen. Macht Reparieren glücklich?
Heckl: Reparieren macht glücklich. Wenn ich mit Uli Walter einen Fernseher herrichte, ziehen wir uns mit einer Flasche Wein in meine Werkstatt zurück. Am Abend ist die Flasche nach vielen Stunden leer und wir stellen festen, dass wir uns wieder treffen dürfen, weil wir den Fernseher noch nicht ganz repariert haben. Wenn wir den Fernseher dann nach erfolgreicher Instandsetzung einschalten, betört uns allein der Geruch des Staubs auf der Röhre. Und unsere Frauen freuen sich, wen wir an solchen Samstag-Nachmittagen in der Werkstatt gut verräumt sind.
Das klingt nach jeder Menge Spaß.
Heckl: Schon Kinder freuen sich, wenn ein Ding nach einigen Handgriffen wieder funktioniert und heil ist. Das wunderbare Gefühl muss man sich als Erwachsener bewahren. Jeder kann reparieren – und wenn man etwas nur zusammenklebt. Wer ein Moped richtet, weiß, wie ein Zweitakter funktioniert. Jeder Jugendliche, der einmal Mechatroniker werden will, sollte ein Moped reparieren.
Was fasziniert Sie als Physiker dermaßen am Reparieren?
Heckl: Ich will die Dinge, die vor mir liegen, verstehen lernen – und sei es eine kaputte Klo-Spülung. Reparatur ist ein Königsweg, den Dingen auf den Grund zu gehen. Wer erfolgreich Dinge herrichten will, muss analytisch-logisch vorgehen und die Naturgesetze beachten. Zunächst ist Ursachenforschung gefragt. Dann ist eine Hypothese sinnvoll, was kaputt sein könnte. Reparatur ist Welt-Erkenntnis und Lebenshilfe.
Welche Welt-Erkenntnis haben Sie beim Reparieren eines Toiletten-Spülkastens gewonnen?
Heckl: Das war ein klarer Fall von Welt-Erkenntnis. Dabei war meine Frau nicht begeistert, dass ich den Spülkasten selbst repariere, weil sich die Aktion über mehrere Tage hinzog. Ich wollte die Sache aber als Physiker verstehen, nachdem meine Frau mich darauf aufmerksam gemacht hatte, dass die Toiletten-Spülung dauernd rinnt. Da sei sicher die Dichtung kaputt, meinte sie.
Wie haben Sie auf die Diagnose Ihrer Frau reagiert?
Heckl: Ich habe gesagt: Halt, als Physiker muss ich der Sache erst einmal auf den Grund gehen. Ich muss das gesamte Konstrukt der Spülung verstehen lernen. Ich habe mich drei Tage davor gesetzt und das gesamte Spül-System studiert und dabei die gesamte Toilette zerlegt. Das war nicht so sehr für meine Frau, aber für mich ein schönes Erlebnis. Wie die alten Griechen rief ich schließlich aus: Heureka! Ich habe die Wurzel des Übels gefunden!
Was war die Ursache des Defekts?
Heckl: Es war die Dichtung. Meine Frau meinte, das habe sie mir doch gleich gesagt. Ich entgegnete ihr, bei der Ursachenforschung aber das Prinzip des griechischen Gelehrten Archimedes verstanden zu haben. Dass eine solche Wasser-Toilette mit der Auftriebskraft stoppt, ist eine grandiose Erfindung. Am Ende habe ich die Spülung mit einer neuen Dichtung repariert.
Dabei haben Sie viel über den technischen Sachverstand von Frauen und unseren kaputten Wegwerf-Kapitalismus gelernt.
Heckl: Ich habe die Modell-Nummer des Kastens gesucht und mir bei der Suche in dem engen Kasten Schrammen an den Händen zugezogen. Dann habe ich mich an die Firma, die solche Toilettenkästen herstellt, gewandt. Dort riet mir schließlich ein Mann, gleich einen neuen Kasten einbauen zu lassen. Wenn ich das gemacht hätte, hätte ich den alten aus der Wand reißen müssen. Die Fliesen wären beschädigt worden. Am Ende hätten wir ein neues Bad einbauen müssen. Und das nur wegen einer Dichtung.
Was denken Sie angesichts dieses Irrsinns?
Heckl: So funktioniert unser Wegwerf-Kapitalismus: Wir sollen blindlings alte Dinge entsorgen und neue kaufen, auch wenn alte Sachen noch gut sind. Sie wären ja nicht alt geworden, wenn sie nicht gut wären. Zum Glück wird unsere Reparatur-Bewegung immer größer. Es gibt immer mehr Menschen, die sich für eine nachhaltige Lebensweise entscheiden. Und es gibt schon über 1000 Repair-Cafés und Repair-Stellen in Deutschland.
Doch Auto-Konzerne tricksen reparaturwillige Menschen aus, indem sie alles derart verbauen, dass man nicht mehr an die Teile rankommt.
Heckl: Deswegen fahre ich einen Oldtimer. Vor einigen Tagen habe ich den Vergaser ausgebaut und festgestellt, dass die Schwimmer-Membran porös ist. Via Internet habe ich für meinen Fiat Campagnola, einen Geländewagen, ein Reparaturset mit Membrane für rund 15 Euro gekauft. So konnte ich den Vergaser wieder richten. Zuvor habe ich Fotos gemacht, wie ich den Vergaser zerlege, damit ich ihn später zusammenbauen kann.
Die Reparatur-Aufträge an Sie gehen nicht aus. Ihre Frau soll besonders aktiv sein.
Heckl: In unserem Haus ist viel zu tun. Und ich bin ein braver Ehemann. Meine Frau schreibt mir immer Reparatur-Zettel. Da steht dann drauf: Der Wasserhahn tropft oder der Akku des Staubsaugers schwächelt. Und dann steht noch Asap darunter.
Was will Ihnen Ihre Frau damit sagen?
Heckl: Asap ist die Abkürzung für as soon as possible, also so schnell wie möglich.
Professor Wolfgang M. Heckl, 65, arbeitet seit 2004 als Generaldirektor des Deutschen Museums und er ist auch Inhaber des Oskar von Miller-Lehrstuhls für Wissenschaftskommunikation an der TU München School of Education. Heckl ist Professor für Experimentalphysik und forscht auf dem Gebiet der Nanowissenschaften und der Wissenschaftskommunikation.
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