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Der Ammersee, einst "Künstlersee": Der Anfang vom Ende

Der Ammersee, einst "Künstlersee"

Der Anfang vom Ende

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    Das frühere Sommer- und Atelierhaus des Malers Hans Beat Wieland am Kaaganger in Eching muss abgerissen werden. Eine entsprechende Anordnung des Landratsamtes hat der Verwaltungsgerichtshof in München jetzt bestätigt.
    Das frühere Sommer- und Atelierhaus des Malers Hans Beat Wieland am Kaaganger in Eching muss abgerissen werden. Eine entsprechende Anordnung des Landratsamtes hat der Verwaltungsgerichtshof in München jetzt bestätigt. Foto: Gerald Modlinger

    Es ist Herbst geworden. Die Nachmittagssonne steht schon tief. Leichter Dunst dämpft das schräg einfallende Licht, das auf den Kaag-anger am Echinger Ammerseeufer fällt. Noch dominiert Grün das Landschaftsbild, doch die ersten herbstlichen Farbtupfer sind rund um den

    Der Cococello-Club und eine Ballonfahrt zum Nordpol

    Sie beginnt, wie viele Geschichten am Künstlersee, Ende des 19. Jahrhunderts. Vor allem die Maler zieht es aufs Land: Am damals noch weitgehend unberührten Ammersee verkaufen Fischer und kleine Bauern billig das eine oder andere Tagwerk saure Wiese am Ufer. Für manchen Städter erfüllt sich so der Traum vom idyllischen Landleben. Auch die Freunde vom Schwabinger Cococello-Club, einer Künstlerrunde, der unter anderem Hans Beat Wieland und Adelbert Niemeyer angehören, halten Ausschau nach passenden Grundstücken. Im Nordwesten des Ammersees werden sie fündig.

    Bei Eching, am Steilufer zwischen dem See und einem Wald, errichteten sie – wie es damals Mode war (siehe Infokasten) – eine Künstlerkolonie. Adelbert Niemeyer baute eine klassizistische Villa, ein preußischer Oberst schuf sich ein Stück Mecklenburg und Wieland verwirklichte eine norwegische Illusion.

    Das echte Norwegen hatte er 1896 und 1897 kennengelernt. Damals reiste er nach Spitzbergen, um für die Leipziger Illustrierte die Ballonfahrt des Polarforschers Salomon Andrée zum Nordpol zeichnerisch zu dokumentieren. Wieland galt als Fachmann für solche Aufträge, weil er als Schweizer gut Berge und Schnee malen konnte. Nachdem die Expedition 1896 wegen ungünstigen Wetters abgeblasen wurde, gab es 1897 einen neuen Versuch. Hans Beat Wieland kam zum Start zu spät. Es war sein Glück, denn von der Ballonfahrt kehrte nur eine Brieftaube zurück. Der Ballon stürzte ab.

    Drei Jahre später pflanzte Hans Beat Wieland auf seinem Grundstück am Ammersee Birken nach norwegischem Muster, zwischen denen er ein ochsenblutrotes, holzverschaltes und mit Gras bedecktes Haus erbaute. Grundriss und künstlerische Gestaltung folgten dem nordischen Vorbild: Um eine eineinhalbgeschossige Halle gruppieren sich die Wohnräume, zum See hin orientiert sich eine Veranda, weiß gestrichene Säulen, Wangen an den Fenstern und fein geschnittene Gauben zieren das Holzhaus.

    Die Halle schmückte ein Fries mit Bildern aus der Schöpfungsgeschichte, die Wieland in den Farben des Nordens malte. So beschreibt das Haus der Architekt Alfred Sunder-Plassmann, der eine Zeit lang in der Nachbarschaft wohnte. In der Remise bewahrte Wieland einen Expeditionsschlitten auf, den er von dem Polarforscher Frithjof Nansen erhalten hatte.

    Dass Wieland auch Spaß am Fabulieren hatte, weiß ein anderer Nachbar zu berichten, der 85-jährige Architekt Werner Kubierschky, ein Großneffe des Malers. Im ersten Stock, so erzählt der alte Herr, hatte Wieland ein „Napoleon-Zimmer“ eingerichtet, in dem der große Korse angeblich 1803 anlässlich einer Schlacht von Kottgeisering genächtigt habe. Jeder habe natürlich gewusst, dass Napoleon hier nie geruht habe, erzählt er, „aber in dem Bett haben trotzdem alle gern geschlafen“.

    Nach dem Ersten Weltkrieg ging Wieland mit seiner Frau Elsa (sie entstammte der Mainzer Sektdynastie Henkell) und den drei Kindern in die Schweiz zurück. Doch das Norwegerhaus am Ammersee blieb sein Ferienhaus. Nach dem Tod Wielands erbte es sein Sohn Richard. Er habe es auf Dauer erhalten wollen, weiß Werner Kubierschky. Und er ließ es über den Kreisheimatpfleger Wilhelm Neu – selbst Sohn eines Ammerseemalers aus Holzhausen – in die Denkmalliste aufnehmen.

    Eine Modernisierung und ihre juristischen Folgen

    Doch dann kommt alles anders. Seine Töchter verkaufen 1999 das Norwegerhaus an einen wohlhabenden Münchner. Dieser will sich in Eching den gleichen Traum erfüllen wie 100 Jahre zuvor Hans Beat Wieland – jedoch mit höheren Ansprüchen an den Wohnkomfort.

    Der neue Eigentümer beginnt, das Haus zu modernisieren und umzubauen. Er tut es so grundlegend, dass ihm Anfang 2007 von Amts wegen der Bau eingestellt wird. Baukontrolleure und Denkmalschützer reiben sich auf der Baustelle die Augen. Von der Originalsubstanz ist kaum noch etwas vorhanden.

    Innerhalb der rot-weißen Bretterverkleidung waren Ziegelmauern aufgezogen, die Fensteröffnungen vergrößert und die Raumhöhen erweitert worden. „Unser Eindruck war, dass man in einem kompletten Neubau steht, man hatte nicht den Eindruck, dass da noch etwas Altes da war“, fasst Viktor Klaus, Jurist im Landratsamt Landsberg, die Wahrnehmungen seiner Mitarbeiter zusammen.

    Die Folge: Das Objekt wird aus der Denkmalliste gestrichen. Das über 100 Jahre bestehende rot-weiße Norwegerhaus gilt fortan als Schwarzbau – ohne Aussicht auf eine nachträgliche Genehmigung. Der Echinger Malerwinkel ist streng gehüteter Außenbereich. Neue Häuser dürfen hier grundsätzlich nicht errichtet werden. Als dort die Gemeinde in den 1970er Jahren ein exklusives Wohngebiet ausweisen wollte, kassierte die Regierung von Oberbayern alle Baurechte wieder ein.

    Entsprechend konsequent ordnet 2007 das Landratsamt auch den Abriss des Norwegerhauses an. Der Bauherr, der bereits Millionen in den Kauf des mehr als 7000 Quadratmeter großen Ufergrundstücks mit Steg und Bootshaus und in den Umbau gesteckt hat, zieht vor das Verwaltungsgericht. In erster Instanz bekommt er 2008 noch recht. Das Landratsamt geht aber beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in Berufung – und dieses bestätigt die Rechtmäßigkeit der Abrissverfügung.

    Alte Skizzen und Fotos aus einer vergangenen Ära

    Bleibt es dabei, wird es die kleine norwegische Welt am Ammersee bald nur noch auf alten Lageplänen und Skizzen, Zeichnungen aus dem Innern des Norwegerhauses und alten Fotografien geben, die Werner Kubierschky auf seinem Esszimmertisch ausgebreitet hat.

    Die Geschichte des Echinger Malerwinkels neigt sich ihrem Ende zu. „Es ist schade, dass es so weit kommen musste“, sagt Werner Kubierschky, und fügt dann etwas überraschend hinzu, „aber die Ära von Hans Beat Wieland ist vorbei, das war vor 100 Jahren, jetzt kann man es gut sein lassen.“ Nüchtern sieht auch Kubierschkys Frau Gisela den Wandel: „Wir sind im Computerzeitalter.“

    Sunder-Plassmann dagegen empören die „baulichen Entgleisungen“ des neuen Eigentümers, der selbst nicht Stellung nehmen will. Aber trotz der Lage im Außenbereich wäre ihm ein Rückbau lieber als ein Abriss. Der Architekt verweist auf die kulturhistorische Bedeutung des Echinger Malerwinkels: „Nicht das Haus allein, sondern auch der Garten im Stil Norwegens geht ohne das Haus verloren. Und mit dem Verlust des ersten der vier Bausteine aus der Künstlerkolonie wird die Kolonie als Ganzes getroffen.“

    Doch egal wie die Geschichte des Norwegerhauses endet: Das, was die Künstlerkolonie einmal ausgemacht hat, scheint sich ohnehin zu verlieren – der enge Austausch der Familien untereinander über Generationen hinweg. Die neuen Nachbarn im Norwegerhaus blieben den Alteingesessenen doch eher fremd. „Das ist eine andere Gesellschaft“, sagen die Kubierschkys.

    Künstler am Ammersee

    Holzhausen bei Utting hatte die bekannteste Künstlerkolonie. Hier ließen sich Vertreter der Künstlergruppe „Die Scholle“ wie Fritz Erler und Adolf Münzer nieder. Simplicissimus-Zeichner Eduard Thöny und der Bildhauer Mathias Gasteiger mit seiner als Malerin tätigen Ehefrau Anna Sophie lebten ebenfalls in Holzhausen.

    In der Gasteigervilla hat der Freistaat ein kleines Museum eingerichtet (geöffnet jeden Sonntagnachmittag während der Sommermonate).

    Dießenist bis heute ein Künstlerort, vor allem wegen seiner Keramiktradition. Früher wohnten hier Thönys Simplicissimus-Kollege Thomas Theodor Heine, der als Entenmaler bekannt gewordene Alexander Koester und nach dem Krieg Fritz Winter.

    Schondorf war von 1875 bis 1877 Lebensmittelpunkt von Wilhelm Leibl, später zogen Paul Paede und die Brüder Heinz und Walter Rose zu.

    Zeitweise lebten am Ammersee die Komponisten Carl Orff (Dießen), Hans Pfitzner (Schondorf) und Richard Trunk (Bierdorf). Der Schriftsteller Bertolt Brecht besaß ein Ferienhaus in Utting, bevor er emigrieren musste.

    In Buch wohnt seit 2006 der Maler Georg Baselitz. (ger)

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