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Coronavirus: Mit Vorerkrankungen durch die Pandemie: "Natürlich habe ich Angst"

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Mit Vorerkrankungen durch die Pandemie: "Natürlich habe ich Angst"

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    Menschen mit Vorerkrankungen trifft die Pandemie hart.
    Menschen mit Vorerkrankungen trifft die Pandemie hart. Foto: Peter Steffen, dpa

    Die Pandemie trifft nicht alle gleich. Besonders schwer ist die Situation für Menschen mit Vorerkrankungen. Nicht nur, weil diesehäufig einen schweren Verlauf begünstigen. Da ist auch die Angst, im Falle von überfüllten Intensivstationen nicht mehr ausreichend behandelt zu werden, wenn bei ihnen unabhängig von Corona ein Krankenhausaufenthalt nötig wird. Dazu kommt die Isolation. Viele litten schon vor der Pandemie unter Stigmatisierungen. Corona verschlimmert die Einsamkeit.

    Hier erzählen zwei Menschen aus der Region von ihren Erfahrungen. Patricia Koller sitzt im Rollstuhl und leidet an einer chronischen Lungenentzündung, Franz Stockmeier lebt seit über 30 Jahren mit HIV.

    Patricia Koller, 60 Jahre alt, aus München:

    Natürlich habe ich Angst. In den vergangenen Monaten habe ich mir oft gedacht: Jetzt darfst du bloß nicht krank werden. Es wurde viel über die drohende Triage gesprochen. Ich bin alt, ich habe eine Behinderung und mehrere Vorerkrankungen. Unter anderem Asthma und eine chronisch obstruktive Bronchitis. Meine Lungen sind also dauerhaft entzündet, atmen fällt mir schwer. Da wäre ich wahrscheinlich eine der Ersten, die sie zum Sterben aussortieren.

    "Jetzt auf die Intensivstation zu kommen, das will ich mir überhaupt nicht vorstellen", sagt Patricia Koller.
    "Jetzt auf die Intensivstation zu kommen, das will ich mir überhaupt nicht vorstellen", sagt Patricia Koller. Foto: Reinhold Roppert

    Diese Situation ist beängstigend. Vor allem vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte. Es ist noch nicht so lange her, dass Menschen mit Behinderung in Euthanasie-Programmen aussortiert wurden. Natürlich ist die Situation heute eine andere. Aber Stigmata bestehen weiterhin. Menschen mit Behinderungen oder schweren Krankheiten werden auch heute nicht als gleichwertig angesehen.

    Jetzt auf die Intensivstation zu kommen, das will ich mir überhaupt nicht vorstellen. Ich will leben. So wie alle anderen auch. Aber angenommen die Krankenhäuser laufen voll. Wen will man denn aussortieren, wen sterben lassen? Das Problem ist, glaube ich, dass wir die Pflege in den vergangenen Jahren kaputt gespart haben. Kliniken und Betten wurden abgebaut, Pflegekräfte haben wegen der schlechten Arbeitsbedingungen gekündigt. Und jetzt müssen wir Angst haben, nicht mehr alle Erkrankten behandeln zu können.

    Ich musste während der Pandemie mehrmals ins Krankenhaus. Zum Glück aber nie als Notfall. In der Regel nur für kleinere Untersuchungen. Im Alltag bin ich so vorsichtig, wie es nur geht. Aber ganz will ich nicht auf Gesellschaft verzichten. Ich habe mich gefreut, als man nach den Lockdowns wieder in die Restaurants gehen konnte. Und habe das auch ausgenutzt. Aber ich halte mich an alle Vorkehrungen und meide größere Gruppen.

    Das höre ich auch von anderen, die eine Vorerkrankung haben. Die Angst vor Corona ist groß. Aber auch die Angst, aussortiert zu werden. Sobald triagiert wird, sind Menschen mit Behinderungen besonders in Gefahr. Da hilft auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nichts, wonach Behindertenrechte im Falle einer Triage geschützt werden müssen. Das Urteil ist natürlich richtig. Aber wie es umgesetzt wird, ist unklar.

    Das Problem gibt es im Hinblick auf unsere Belange häufiger. Zum Beispiel bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Die schreibt eigentlich Chancengleichheit vor. Wirklich umgesetzt haben wir das in Deutschland bisher nicht. Diskriminierung erleben wir täglich. Eine inklusive Gesellschaft ist noch in weiter Ferne – im Alltag genauso wie in der Medizin.

    Franz Stockmeier, 63 Jahre alt, aus Augsburg:

    Viele HIV-Infizierte trifft die Corona-Pandemie besonders hart. Einerseits haben viele Angst vor einer Infektion. HIV schwächt das Immunsystem. Deshalb haben Infizierte oft Vorerkrankungen durchgemacht, die einen schweren Covid-Verlauf bedingen. Ich selbst hatte drei schwere Lungenentzündungen.

    Andererseits ist da die Isolation. HIV-Infizierte lebten schon vor der Pandemie eher zurückgezogen. Die Krankheit ist stigmatisiert, auch heute noch. Es ist schwer, Menschen kennenzulernen. Sie sind oft freundlich, bis man von der Infektion erzählt. Als ich begonnen habe, mich gegenüber meinem Umfeld zu öffnen, haben mich selbst alte Freunde verlassen.

    Ich habe mich mit HIV infiziert, als die erste große Sterbewelle losging. Das war 1987. Einige meiner Freunde waren damals schon an AIDS gestorben. HIV war quasi ein Todesurteil, Medikamente gab es kaum. Auch die Stigmata waren noch viel extremer. HIV war als „Schwulen-Seuche“ verschrien. Das war schlimm. Vor allem, weil man es als schwuler Mann ohnehin nicht leicht hatte.

    Heute komme ich gut damit klar. Wenn ich neue Menschen kennenlerne, erzähle ich ihnen offen davon. Und sage gleich: „Wenn du mich nicht mit meiner Krankheit akzeptieren kannst, dann hast du in meinem Leben nichts verloren.“ Andere sind da zurückhaltender. Besonders schwer ist es während der Pandemie für die, die alleine leben und keinen Partner haben.

    Ihnen versuche ich zu helfen. Ich engagiere mich hier in Augsburg beim Zentrum für Aidsarbeit Schwaben der AWO. Wir organisieren regelmäßige Treffen. Damit wollen wir die, die sich separiert haben, aus der Isolation holen. Denn teilweise verlassen die Menschen nicht mehr das Haus. Haben sogar Angst, zum Arzt zu gehen. Wir gehen zum Beispiel ins Kino, zum Sport oder kochen gemeinsam. Jetzt in der Pandemie läuft das nur über Zoom, was natürlich nicht das gleiche ist.

    Ich treffe schon Menschen im Alltag und gehe in Restaurants. Allerdings versuche ich, große Gruppen zu meiden. Und ich achte immer darauf, dass um mich herum alle geimpft oder getestet sind. Wenn ich merke, dass zum Beispiel in einem Restaurant nicht richtig kontrolliert wird, gehe ich da nicht rein

    Überhaupt habe ich das Gefühl, dass HIV-Infizierte die Corona-Regeln und den Impfstoff eher annehmen. Bei HIV und Krebs wird schon länger mit der mRNA-Technologie experimentiert, wir kannten das Verfahren schon. Viele sind es außerdem gewohnt, eine große Menge Medikamente zu nehmen. Früher musste ich morgens 14 Tabletten schlucken und abends 16. Das war grausam. Sich ein- oder zweimal im Jahr gegen Corona impfen zu lassen ist da nichts dagegen. Und dass ein Virus mutiert, das kennen wir auch schon. Das kam bei HIV mehr als einmal vor. Häufig waren die Medikamente dann plötzlich nicht mehr wirksam.

    Dass es Menschen gibt, die nicht an Corona glauben oder es verharmlosen, kann ich nicht verstehen. Die müsste man mal mit auf eine Intensivstation nehmen und ihnen die Auswirkungen der Krankheit zeigen. So war es bei AIDS damals auch. Als man Fotos gezeigt hat von Erkrankten mit eingefallenen Gesichtern, haben die Menschen plötzlich hingehört. Und als dann auch Prominente wie Freddie Mercury erkrankt sind, wurde ihnen klar, dass es alle treffen kann. Da haben die Anfeindungen nachgelassen.

    Als Corona ausgebrochen ist, dachte ich mir nur: Bitte lass es keine sexuell übertragbare Krankheit sein. Sonst geht es wieder genauso los wie HIV. Aber es war ja zum Glück nicht so. Vielleicht schafft die Pandemie da auch ein Umdenken. Ein Virus kann jeden treffen. Ich hoffe, dass wir so die Stigmata gegenüber Erkrankten hinter uns lassen können.

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