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Coronavirus: Krank und ohne Maske: Betroffene beklagen "Hetzjagd"

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Krank und ohne Maske: Betroffene beklagen "Hetzjagd"

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    Eine Ausnahme für die Maskenpflicht gilt nur per Attest.
    Eine Ausnahme für die Maskenpflicht gilt nur per Attest. Foto: Marijan Murat, dpa (Symbolbild)

    Immer häufiger wird Sabine Wuchterl angesprochen. Beim Einkaufen. Oder in der Stadt. Viele Menschen werfen ihr böse Blicke zu, manche beschimpfen sie sogar. "Eine Frau hat mir schon die Pest an den Hals gewünscht", erzählt die 59-Jährige. "Ich wäre eine Gefahr für die Menschheit, hat sie gesagt." In einer Gärtnerei sollte sie sich sogar mit einem Anstecker kennzeichnen, damit andere Kunden Abstand zu ihr halten. "Das war wie ein Schlag in die Magengrube, dass ich derart gebrandmarkt und bloßgestellt werde. Wie eine Hetzjagd."

    Menschen ohne Maske: Manchen wird der Zutritt zum Geschäft verweigert

    Sabine Wuchterl fällt auf, wenn sie in Geschäfte geht. Denn sie trägt keinen Mund-Nase-Schutz. Sie kann nicht. Seit Jahren leide sie unter einer therapieresistenten Angststörung. Sobald sie eine Maske aufsetze, bekomme sie eine Panikattacke, oft werde sie ohnmächtig. Ihre Ärztin hat ihr deshalb ein Attest ausgestellt, das bescheinigt, dass sie keinen Mund-Nase-Schutz tragen muss. Das Schreiben hat Wuchterl immer dabei, wenn sie unterwegs ist, und zeigt es bereitwillig vor. "Aber viele wollen das gar nicht sehen. Sie sagen, das interessiere sie gar nicht."

    Das, was Sabine Wuchterl erlebt hat, passiert in diesen Tagen vielen Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen können. Die zum Beispiel lungen- oder herzkrank sind, Asthma haben, an einer psychischen Erkrankung leiden oder behindert sind. Viele von ihnen suchen Hilfe bei Jan Gerspach. Er ist beim Sozialverband VdK Leiter des Ressorts Leben mit Behinderung und betreut dort ein Beratungstelefon. Er sagt: "Wir haben in letzter Zeit immer häufiger Meldungen, dass diese angesprochen werden – und ja, auch beschimpft werden." Ähnliches beobachtet der Behindertenbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Holger Kiesel. Er betont: Dass kranke oder behinderte Menschen keine Maske tragen müssen, "ist keine Aushebelung der Maskenpflicht, sondern es handelt sich um gesundheitlich notwendige Ausnahmen".

    Ausgrenzung von Menschen ohne Maske sei Diskriminierung, sagt ein Sozialverband

    Beleidigungen und Beschimpfungen seien aber noch nicht alles, sagt Jan Gerspach vom VdK. "Vielen kranken und behinderten Menschen wird oft sogar der Zutritt zu Geschäften verweigert. Obwohl sie ein Attest haben und das vorzeigen können." So hat es auch Margit Hummel erlebt. Die 58-Jährige wollte sich eigentlich nur eine Kirche in der Augsburger Innenstadt anschauen. Aber ein Mann wies sie an, sofort das Gebäude zu verlassen. Das Gleiche passierte der 58-Jährigen in einem großen Möbelhaus. "Ein Security-Mitarbeiter fing mich vor der Kasse ab und komplementierte mich nach draußen. Weil ich keine Maske trug." Dabei hat Hummel keine andere Wahl. Sie leidet an schweren Herz- und Lungenschäden und bekommt unter der Maske nicht genug Luft.

    Wenn kranken und behinderten Menschen – die ein Attest und vielleicht sogar einen Schwerbehindertenausweis vorzeigen können – der Zugang zu Geschäften verwehrt wird, ist das für Jan Gerspach Diskriminierung. Diese Einschätzung teilt auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die beobachtet: "Betroffene berichten in vielen Fällen von Maßnahmen, die in Supermärkten und Arztpraxen unnötig rigoros durchgesetzt werden, weil das Personal über Ausnahmeregelungen nicht ausreichend informiert ist." Doch was ist eine Ausnahme? Wann stellt ein Arzt ein Attest aus, das bescheinigt, dass der Patient keine Maske tragen muss?

    Einheitliche Regeln dazu gibt es nicht, erklärt eine Sprecherin der Bayerischen Landesärztekammer: "Grundsätzlich liegt die Entscheidung beim Arzt des Betroffenen. Er urteilt, ob eine medizinische Indikation vorliegt, die der Grund dafür sein kann, warum der Patient keine Maske aufsetzen kann." Es sei eine Einzelfallentscheidung, deshalb könne man die Anzahl der Menschen mit Attest nicht abschätzen. Die Ärztesprecherin schätzt, dass es sich um seltene Fälle handele. "Viele Mediziner befinden sich da außerdem in einem Zwiespalt", sagt sie. "Auf der einen Seite wollen sie ihre Patienten vor den Problemen mit der Maske bewahren. Auf der anderen Seite trägt sie erheblich zum gesundheitlichen Schutz bei."

    Menschen ohne Maske müssen ein Attest zeigen - das bestätigt das Hausrecht

    Klar ist aber auch – und da sind sich Sozialverband und Ärztekammer einig: Nur einen Schwerbehindertenausweis vorzuweisen, ist nicht genug. Betroffene müssen ihr Attest zeigen, wenn Ladeninhaber, Schaffner oder die Polizei es sehen wollen. Denn sie haben das Recht – im Geschäft ist das zum Beispiel das Hausrecht – den Zutritt zu verweigern. Trotz Attest.

    Das bestätigt ein aktuelles Gerichtsurteil aus München: Einem Obdachlosen wurde der Zutritt zu einer Essensausgabe verweigert, weil der Mann, der an Asthma leidet, keine Maske trug. Das Amtsgericht München bestätigt das Vorgehen zum Schutz der anderen Besucher und Mitarbeiter. Die Helfer in der Einrichtung brachten dem Mann deshalb sein Essen nach draußen.

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