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Coronavirus: Klinik im Katastrophenmodus: Wie Ärzte und Pfleger für ihre Patienten kämpfen

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Klinik im Katastrophenmodus: Wie Ärzte und Pfleger für ihre Patienten kämpfen

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    Die Pandemie hat die Arbeitsabläufe im Klinikum Mindelheim – hier ein Intensivkrankenpfleger bei der Versorgung eines Patienten – völlig auf den Kopf gestellt.
    Die Pandemie hat die Arbeitsabläufe im Klinikum Mindelheim – hier ein Intensivkrankenpfleger bei der Versorgung eines Patienten – völlig auf den Kopf gestellt. Foto: Katrin Rohde, Klinikverbund Allgäu

    Deutschland im Dezember 2021, bei vielen Menschen stellt sich zusehends Vorfreude auf das Weihnachtsfest ein. Zugleich liegt eine bleierne Corona-Stimmung über dem Land. Der zweite Winter mit Covid-19, nun im Zeichen der Virusvarianten Delta und Omikron. Während viele Menschen der Pandemie müde sind, herrscht in Kliniken noch ein anderes Gefühl vor: Ärger, mitunter Wut.

    Das Klinikum Mindelheim im Landkreis Unterallgäu, Intensivstation. Pflegekräfte sind schnellen Schrittes zwischen den verschiedenen Krankenzimmern unterwegs, „Boxen“ nennen sie sie. An diesem Tag sind sechs der neun Intensivpatienten Covid-Erkrankte. Hinter Apparaten, fast versteckt, einer von ihnen: ein Mann um die 60, der gerade an der Dialyse hängt. „Eine klassische Folge einer Covid-Erkrankung“, erklärt Dr. Manfred Nuscheler, Chefarzt der Anästhesie und Intensivmedizin, und macht ein sorgenvolles Gesicht. „Covid greift die inneren Organe an und zerstört sie. Im Falle dieses Mannes sind die Nieren betroffen. Sie funktionieren nicht mehr.“ Ob sie das je wieder tun werden? Das weiß keiner. Vermutlich eher nicht.

    453 Patientinnen und Patienten wurden seit Beginn der Corona-Krise stationär aufgenommen

    Ein paar Boxen weiter ein Mann Ende 50. Er liegt auf der linken Körperseite und atmet sichtlich schwer. Er wird hier schon länger behandelt, das Klinikpersonal kämpft dafür, dass er ohne Intubation auskommt. Obwohl seine Lungen befallen sind. Intubation, das ist, vereinfacht beschrieben, eine Dauernarkose mit einem Tubus, also einem Beatmungsschlauch in der Luftröhre. So soll genügend Sauerstoff in die stark geschädigte Lunge gebracht werden. „Das Intubieren, das wollen wir eigentlich nicht – und der Patient möchte es auch nicht“, erklärt Nuscheler und blickt in Richtung des Erkrankten. „Auch weil er als Covid-Patient weiß, dass es schwer ist, vom Tubus wieder wegzukommen, wenn er erst einmal notwendig wurde.“

    20 Monate zuvor, bei einem ersten Besuch im Klinikum Mindelheim, berichtete Manfred Nuscheler noch von zwei Covid-Toten in seinem Haus. Die Patienten waren zwischen 70 und 80 Jahre alt und hatten erhebliche Vorerkrankungen. Seitdem hat sich einiges geändert, und es sind viele weitere Tote hinzugekommen. Sowie eine ganze Reihe von Problemen für das Klinikpersonal, die an den Kräften zehren. Die zu Verärgerung führen, mitunter auch zu Wut.

    453 Patientinnen und Patienten wurden seit Beginn der Corona-Krise stationär aufgenommen, resümiert Brigitte Kienle, Fachkrankenpflegerin für Hygiene. Sie ist verantwortlich für die Einhaltung der Hygienestandards in dem früheren Kreiskrankenhaus, das sich direkt gegenüber des Landratsamtes Unterallgäu befindet.

    Die vergangenen 20 Monate haben etwas gemacht mit dem Klinikpersonal in Mindelheim

    „Von diesen 453 Fällen sind 87 Menschen verstorben – und zwar in erster Linie an Covid. Und nicht mit Covid“, betont sie mit ernstem Gesicht. Waren in den ersten beiden Corona-Wellen die meisten Patientinnen und Patienten 70 Jahre und älter, sind sie jetzt eher zwischen 50 und 60 Jahre alt. „Entweder ungeimpft. Oder solche, deren doppelte Impfung schon längere Zeit vorbei ist, etwa neun oder zehn Monate“, ergänzt Chefarzt Nuscheler und blickt schon wieder in die nächste Box.

    Die vergangenen 20 Monate haben etwas gemacht mit dem Klinikpersonal in Mindelheim. Denn die Auswirkungen, die die Pandemie auf die Abläufe nicht nur in Großkliniken, sondern auch in kleinen Krankenhäusern hat, sind gewaltig.

    Privatdozent Dr. Peter Steinbigler, Chefarzt der Inneren Medizin am Mindelheimer Krankenhaus – und als Ärztlicher Direktor auch dessen ärztlicher Repräsentant nach außen – hat dafür ein drastisches Bild parat. Er steht jetzt bei Manfred Nuscheler und Brigitte Kienle und sagt: „Wir fahren nun seit bald zwei Jahren einen Katastrophenmodus, als sei in der Nähe ein Jumbojet abgestürzt. Da muss man auch sofort reagieren, da kann man nicht zögern.“ Und dann sagt er: „Doch bei einem Jumbo-Absturz ist der Katastrophenfall – zumindest für uns – nach einigen Tagen oder spätestens Wochen vorbei. Aber das ist bei Corona anders.“

    Und noch etwas ist anders: Eigentlich hat das Krankenhaus 175 Betten, aktuell sind nur 98 in Betrieb. Eine Entwicklung, die sich ebenfalls in zahllosen anderen Kliniken in der Republik beobachten lässt. Und die in der Öffentlichkeit oft auf Unverständnis stößt. Da wird, etwa in Kreisen von Corona-Skeptikern, gemutmaßt: Wurde die Zahl der Betten abgebaut, um zu mogeln und die Bevölkerung zu täuschen?

    Peter Steinbigler schüttelt mit einem etwas verzweifelt wirkenden Blick den Kopf. Er kennt diese Unterstellung nur zu gut. „Covid-Patienten sind wesentlich arbeitsintensiver schon allein, weil sie infektiös sind“, erläutert er – so sachlich wie möglich. Er verweist auf die strengen Hygienevorgaben, die zum Pandemie-Alltag im Klinikum Mindelheim gehören: Schutzkleidung inklusive Gesichtsschutz anziehen, desinfizieren, Arbeit am Patienten, dann alles wieder ausziehen. Und für die nächste Covid-Patientin alles noch einmal von vorn. „Das kostet Zeit und Geld.“

    Eigentlich hat das Krankenhaus 175 Betten, aktuell sind nur 98 in Betrieb

    Viele Patientinnen und Patienten müsse man zudem in Einzelzimmern unterbringen, weil die Bettenabstände in den Zimmern sonst nicht groß genug wären. Dienstpläne müssten so geschrieben werden, dass trotz möglicher Covid-Infektionen der Betriebsablauf in der Klinik gewährleistet bleibe. „Und das mit einem Bestand an Pflegepersonal, der ohnehin eher durch Personalmangel charakterisiert ist“, wirft Brigitte Kienle ein.

    Und das viel diskutierte „Umsetzen“ von Personal aus Covid-fernen Bereichen auf Intensivstationen? Es funktioniere schlicht nicht so einfach, erklärt Manfred Nuscheler. Intensivpflegekräfte seien in der Lage, Beatmungsmaschinen zu bedienen, ganze Batterien an sogenannten Perfusoren – das sind komplexe Medikamentenspender – im Blick zu haben, Dialysen durchzuführen, Medikamente intravenös zu verabreichen, was sonst allein Ärztinnen und Ärzten vorbehalten ist. „Sie können nicht so einfach eine Pflegekraft aus einer normalen Krankenstation auf eine Intensivstation stellen und sagen: Jetzt mach mal.“ Die Einarbeitungszeit dauere je nach Vorerfahrung nicht selten einige Monate. „Das wird einfach oft draußen so nicht gesehen“, meint er und hebt fragend die Hände.

    Und weiter mit der langen Reihe von Problemen. „Von unseren drei OP-Sälen ist nur noch einer in Betrieb – mit einem Notprogramm“, sagt der Anästhesist. „Das hat natürlich erhebliche Auswirkungen auf die Patientinnen und Patienten.“ Viele Eingriffe würden derzeit gar nicht vorgenommen. Welche? Er zählt auf: „Krampfadern, Schilddrüsen, orthopädische OPs, Augen, Bandscheiben, HNO-Eingriffe etwa – alles, was irgendwie verschiebbar ist, wird auch verschoben. Und für die Menschen heißt es: warten, warten, warten.“

    Etwa zehn bis 15 Prozent der Pflegestellen sind nicht besetzt

    Das Gleiche gelte für den diagnostischen Bereich, fügt Peter Steinbigler hinzu. „Herzkatheter, Endoskopien, Ultraschalluntersuchungen, EKGs werden ebenfalls, sofern nicht absolut nötig, auf Dauer vertagt.“ Noch so eine Entwicklung, die im Prinzip für die meisten Krankenhäuser in Bayern gilt.

    Um ein nächstes großes Problem zu verdeutlichen, läuft Nuscheler ein paar Meter weiter in einen Bereich der Intensivstation, der jüngst erst durch eine Erweiterung entstanden ist. Er kommt vor einem Zimmer mit einer weit geöffneten Tür zum Stehen. Darin befinden sich zwei Intensivbetten mit entsprechender technischer Ausrüstung und Anschlüssen, etwa für Sauerstoff – essenziell für den Betrieb einer Beatmungsmaschine.

    Sinnbild für die aktuellen Probleme: Dieses Intensivbett im Klinikum Mindelheim ist wegen Personalmangels nicht in Betrieb. Die Chefärzte Peter Steinbigler (links) und Manfred Nuscheler sowie Fachkrankenpflegerin Brigitte Kienle bedauern das sehr.
    Sinnbild für die aktuellen Probleme: Dieses Intensivbett im Klinikum Mindelheim ist wegen Personalmangels nicht in Betrieb. Die Chefärzte Peter Steinbigler (links) und Manfred Nuscheler sowie Fachkrankenpflegerin Brigitte Kienle bedauern das sehr. Foto: Markus Bär

    „Das Zimmer war früher eigentlich mal mein Büro“, sagt der 59-Jährige und lächelt. Er habe es gegen ein anderes Zimmer getauscht, damit die Intensivstation wegen der Pandemie von acht auf elf Plätze vergrößert werden konnte. „Doch was sieht man hier?“, fragt er und gibt die Antwort im nächsten Satz gleich selbst: „Die beiden Betten sind leer. Wir können nur neun statt elf Betten betreiben.“ Aber warum? „Wieder das gleiche Problem: Es gibt einfach nicht genügend Intensivfachpersonal.“

    Etwa zehn bis 15 Prozent der Pflegestellen – also nicht nur auf der Intensivstation, sondern im ganzen Klinikum Mindelheim – sind nicht besetzt. Es ist nicht absehbar, dass sich das schnell ändern könnte. Wegen der inzwischen herrschenden Dauer-Arbeitsbelastung haben in Mindelheim kürzlich erst zwei Pflegekräfte ihren Job quittiert, andere haben ihre Arbeitszeit deutlich reduziert. Die Folge: Die Arbeit für das verbliebene restliche Personal verdichtet sich weiter.

    Der DBfK, der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe, sieht kein Ende dieser Spirale nach unten, solange beispielsweise so mancher Facharbeiter etwa in der Autoindustrie nach wie vor mehr verdiene als eine Intensivpflegekraft, die in drei Schichten arbeiten müsse. „Die Arbeitsbelastung ist zu hoch, sowohl körperlich als auch psychisch – und die Pflegequalität leidet“, sagt Sabine Karg vom

    Über die Idee eines einmaligen Pflegebonus sagt Karg: „Pflegende werden sich nicht mit Mini-Einmalzahlungen abspeisen lassen.“

    Das Versprechen von einem Pflegebonus löste einen Flächenbrand aus

    Solange sich nichts grundsätzlich ändere, sieht Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz in Dortmund, die Patientinnen und Patienten weiterhin in vielen Fällen nicht ausreichend versorgt. „Die Bundesregierung will eine Milliarde Euro für einen weiteren Pflegebonus zur Verfügung stellen. Doch wer von den 1,5 Millionen Pflegekräften in Krankenhäusern, Pflegeheimen und ambulanten Pflegediensten diese Leistung erhalten soll, ist vollkommen unklar. Ebenso ist nicht nachvollziehbar, warum Personal der Intensivstationen keinen Bonus erhalten soll, das sich etwa um Schlaganfall- oder Herzinfarkt-Patienten kümmert“, kritisiert Brysch am Telefon.

    Immer mehr zeichne sich auch ab, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Altenpflege gar nicht mehr im Fokus der Zusatzleistung stünden, obwohl in diesem Bereich die Hälfte der Corona-Toten zu verzeichnen sei. „Auch wird eine Milliarde Euro nicht ausreichen, um die Anerkennungsleistung bis zu mehreren tausend Euro tatsächlich zu zahlen. Es wird also wieder ein Gezerre mit den Betreibern von Krankenhäusern und Pflegediensten geben. Schließlich haben die dann den Großteil der Kosten des Pflegebonus zu tragen.“ So löse das Versprechen von einem Pflegebonus einen Flächenbrand aus, der die schlechte Stimmung in der Pflege befeuere.

    „Wir befürworten eine Impfpflicht, aber sinnvoller- und dann gerechterweise für alle“

    Schlechte Stimmung. Dr. Manfred Nuscheler vom Klinikum Mindelheim spricht sogar von einer sehr angespannten Stimmung, die er wahrnehme. „Viele Pflegekräfte haben einfach die Nase voll nach fast zwei Jahren Covid“, sagt er. „Und für Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen und die furchtbare Realität dieser Pandemie verleugnen, existiert immer weniger Verständnis.“ Er ärgert sich auch über die beschlossene Impfpflicht für medizinisches Personal. „Dann werden jetzt noch mehr Pflegekräfte aufhören. Weil sie wieder zu Recht das Gefühl haben, dass nur sie allein die Suppe auslöffeln müssen“, sagt er. „Wir befürworten eine Impfpflicht, aber sinnvoller- und dann gerechterweise für alle.“

    Auch sein Kollege Dr. Peter Steinbigler hat etwas auf dem Herzen. Er möchte ausdrücklich einen „Wahnsinnsdank an die Marathonleistungsfähigkeiten in der Pflege“ aussprechen, wie er es formuliert.

    Unterdessen geht der Dauerkatastrophenbetrieb im Mindelheimer Krankenhaus weiter. Die SOS-Signale, die jüngst nachts etwa auf die Mauern der Kliniken in Kaufbeuren oder München-Großhadern projiziert wurden, um auf den Corona-Notstand in den Krankenhäusern hinzuweisen, findet Chefarzt Dr. Manfred Nuscheler „nur gut“. „Wir würden auch so etwas machen“, sagt er. Denn es werde erst einmal sicher nicht besser. „Können wir im neuen Jahr bald wieder normal operieren, wurde ich jüngst gefragt“, erzählt er. Wieder gibt er die Antwort gleich selbst: „Ich fürchte nein, musste ich sagen. Ich fürchte nein.“

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