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Coronavirus: Ein Betroffener in Italien erzählt: "Es ist wie auf einem anderen Planeten"

Coronavirus

Ein Betroffener in Italien erzählt: "Es ist wie auf einem anderen Planeten"

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    Als erstes europäische Land hat Italien weite Teile des Landes zum Sperrgebiet erklärt.
    Als erstes europäische Land hat Italien weite Teile des Landes zum Sperrgebiet erklärt. Foto: Cecilia Fabiano, dpa

    Herr Passmore-Cox, Sie leben mitten im Sperrgebiet in der Lombardei in Italien. Wie sieht Ihr Alltag denn gerade aus?

    Graham Passmore-Cox: Die Lomardei ist unglücklicherweise momentan der schlimmste Ort, an dem man sich aufhalten kann, seit das Virus ausgebrochen ist. Die Region ist komplett abgeriegelt. Gestern bin ich mit meiner Frau spazieren gegangen. Es waren keine Autos unterwegs, keine Menschen, alle Geschäfte, alle Bars, Restaurants, Büros sind geschlossen. Gestern rief meine Frau bei unserem örtlichen Supermarkt an, um dort nachzufragen, ob wir online Lebensmittel bestellen können. Die erste Lieferung wäre erst in einem Monat möglich.

    Das heißt, Sie können nicht mal Lebensmittel einkaufen gehen?

    Passmore-Cox: Wir müssen jetzt einfach das essen, was wir zu Hause haben. Übers Fernsehen haben wir erfahren, dass es zwar noch Lebensmittel in den Supermärkten zu kaufen gibt. Aber dort müssten wir zu jedem Menschen mindestens zwei Meter Abstand halten, wir müssten die Einkaufswagen desinfizieren, bevor wir reingehen, und wir müssten Handschuhe und Masken tragen. Meine Frau und ich haben aber zu große Angst, um einkaufen zu gehen. Wir sind beide in den Siebzigern und fürchten uns davor, uns anzustecken.

    Haben Sie denn überhaupt Vorräte angelegt?

    Passmore-Cox: Wir haben Milch und Fleisch eingefroren und haben - natürlich - ganz viel Pasta zu Hause, die reicht uns für Monate. In Italien wird sicherlich niemand verhungern, weil jeder Italiener immer eine volle Vorratskammer hat. Aber wir müssen trotzdem aufpassen und mit unseren Vorräten haushalten. Denn die Lage wird unglücklicherweise jeden Tag immer schlimmer. Ich habe in den Nachrichten gehört, dass die Regierung in der Lombardei den gesamten öffentlichen Nahverkehrs stoppt und alle Läden außer der Supermärkte schließt.

    Das hört sich sehr skurril an, wie in einem Hollywood-Film.

    Passmore-Cox: Absolut. An einem normalen Tag sind in meiner Heimatstadt viele viele Menschen unterwegs, die zum See fahren und spazieren gehen. Touristen, die übers Wochenende zu Besuch kommen. Wenn ich aus meinem Fenster schaue, habe ich viele Wohnungen im Blick. Normalerweise sind alle Fensterläden tagsüber geschlossen, weil niemand zu Hause ist. Aber jetzt ist jeder zu Hause und alle Fenster stehen offen. Das habe ich noch nie gesehen. Das ist total bizarr. Italiener mögen es nicht, wenn die Sonne in ihre Wohnung scheint. Es wie auf einem anderen Planeten.

    Was machen Sie denn dann jetzt den ganzen Tag?

    Passmore-Cox: Im vergangenen Jahr bin in Rente gegangen. Wir bleiben zu Hause, essen und schauen Fernsehen. Draußen ist es gespenstisch ruhig, niemand ist auf der Straße. Alle Hotels sind leer und geschlossen.

    Fühlen Sie sich gut informiert?

    Passmore-Cox: Ich lebe seit Jahrzehnten in diesem Land, die Züge haben immer Verspätung, nichts funktioniert zu 100 Prozent. Aber in dieser Krise arbeitet die Regierung außergewöhnlich gut. Aus unserer Sicht tut die Regierung alles für unsere Sicherheit, was möglich ist. Ich fühle mich sehr gut informiert, wir haben sogar einige Fernsehsender, die nur für Nachrichten rund um das Virus reserviert sind.

    Aber Sie sind dann komplett eingesperrt?

    Passmore-Cox: Vollkommen. Wir dürfen unsere Kommune nicht verlassen, alle Straßen werden von der Polizei versperrt. Und zu einem Flughafen können wir auch nicht, denn der nächste liegt in einer anderen Kommune. Wir brauchen nicht mal ein Auto, wir können sowieso nirgendwohin fahren.

    Wie groß ist denn gerade Ihre Angst vor dem Virus?

    Passmore-Cox: Unser Premierminister informiert uns schnell und effizient. Er verbreitet keine Panik und bleibt sachlich und hält sich an die Fakten. Aber wir haben trotzdem Angst um unser Leben. Wir sind in unseren Siebzigern, und wenn wir uns infizieren, werden wir womöglich sterben, weil uns vermutlich kein Krankenhaus aufnehmen wird. Aber wir sind beide gesund. Wenn wir zu Hause bleiben, dann wird alles in Ordnung sein.

    Gibt es schon Informationen darüber, wann sich die Lage wieder verbessern wird?

    Passmore-Cox: Nein, im Moment nicht. Die Zahlen steigen schnell. Allein in unsere Region gibt es hunderte Fälle. Die Polizei kontrolliert sehr streng, das finde ich gut so. Denn es gibt Menschen, die sehen die Gefahr nicht und verhalten sich einfach dumm. Ich höre mich wahrscheinlich wie ein alter Mann an, aber ich merke, dass junge Leute das Virus viel weniger ernst nehmen. Für sie ist es einfach ein kleineres Problem, wie eine Erkältung.

    Graham Passmore-Cox, ging mit 18 Jahren ans Münchner Goethe-Institut, um Deutsch zu lernen, und lernte dort seine italienische Frau kennen. Er lebt seit mehreren Jahrzehnten in Italien, sein Sohn und seine Schwiegertochter wohnen in Nördlingen.

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