Herr Heidl, inmitten der Corona-Krise ist in den Supermärkten der Kampf entbrannt. Kunden räumen Regale leer. Die einen hamstern Klopapier und Konserven, andere bevorraten sich mit Brot, Fleisch und Kartoffeln. Ist das noch zu verstehen?
Heidl: Ich habe großes Verständnis für die Verunsicherung der Menschen. Schließlich handelt es sich bei der Corona-Pandemie um eine Ausnahmesituation. Aber die Versorgung unserer Bevölkerung mit Lebensmitteln ist gewährleistet. Insbesondere unsere bayerischen Produkte werden aufgrund der kurzen Wege zur Verfügung stehen. Wir sollten nicht in eine totale Hysterie verfallen. Wichtig ist, dass sich die Menschen weiterhin ausgewogen ernähren. Es gibt keinen Grund, nur noch Nahrung aus Konserven zu essen. Eine ausgewogene Ernährung ist immer noch die beste Grundlage für unsere Gesundheit und das Immunsystem.
Auf sozialen Netzwerken weisen Bauern darauf hin, dass die heimische Landwirtschaft die Lebensmittelversorgung sicherstellt und nicht der Handel. Ist das nicht ein falscher Konkurrenzkampf in diesen Tagen?
Heidl: Die Arbeit auf den Feldern und im Stall ist das erste und wahrscheinlich entscheidendste Glied in einer langen Kette. Für die sichere Versorgung der Bevölkerung muss die ganze Kette funktionieren. Jetzt merken wir aber: Eine regionale Lebensmittelerzeugung ist der Garant dafür, dass wir nicht abhängig sind von internationalen Handelsströmen. Dass die Landwirte vor Ort Lebensmittel erzeugen, ist ein hohes Gut. In solchen Situationen lernt man das wieder zu schätzen.
Milchprodukte und Fleisch stellen die heimischen Landwirte ja genug her. Aber was ist mit anderen Produkten – mit Kartoffeln, Gemüse und Obst?
Heidl: Was Rind- und Schweinefleisch angeht, sind wir in Bayern gut aufgestellt. Auch Milch, Butter und Käse, Getreide, Kartoffeln und Zucker produzieren unsere bayerischen Landwirte genug für die heimische Bevölkerung, der Selbstversorgungsgrad liegt deutlich über hundert Prozent. Bei Obst und Gemüse sollten wir uns ein Stück weit darauf besinnen, wie es unsere Großeltern gehandhabt haben. Damals standen auch nicht das ganze Jahr sämtliche Produkte aus aller Herren Länder zur Verfügung. Man hat gegessen, was Natur und Jahreszeit erlaubt haben. Aber noch einmal: In Bayern muss niemand hungern.
Also Feldsalat statt Kopfsalat, rote Beete statt Zucchini?
Heidl: Genau. Deshalb fordern unsere Landfrauen seit Jahren ein Schulfach Alltagskompetenz, um bereits den Kindern dieses verloren gegangene Wissen zu vermitteln.
Haben wir eine gewisse Vorratshaltung verlernt?
Heidl: Die Vorratshaltung ist ins Hintertreffen geraten, weil heute eben alles immer frisch zur Verfügung steht. Vielleicht führt diese Krise auch zu einem gewissen Lerneffekt in unserer Bevölkerung. Aber noch einmal: Die Bauern tun alles, damit die Regale in den Supermärkten weiterhin gefüllt sind.
Merken die Bauern bereits, dass die Nachfrage steigt?
Heidl: Bei den Milchprodukten ist es bereits bemerkbar. Beim Schweinefleisch haben wir eher das Problem, dass bestehende Handelswege zum Teil nicht mehr funktionieren. Denn während wir Edelteile wie Filets importieren, exportieren wir Ohren, Pfoten und Rüssel. Wenn China diese Produkte nicht abnehmen würde, macht das den Erzeugern enorm zu schaffen.
Befürchten die Landwirte durch die Corona-Krise Einschränkungen?
Heidl: Die Lagerhäuser sollen geöffnet bleiben. Auch die Molkereien haben klargestellt, dass es mit der Abholung der Milch keine Probleme geben soll. Wir haben aber noch einige Punkte, die nicht klargestellt sind – etwa, wie geht man in der Bauernfamilie damit um, wenn es einen Corona-Fall auf dem Betrieb gibt.
Auf einem Hof müssen die Tiere ja weiter versorgt werden, selbst wenn der Landwirt sich mit dem Coronavirus infiziert hat. Gibt es Ausfallpläne? Schließlich sind Betriebshelfer ja schwer zu finden.
Heidl: Es fehlen hier noch die letzten verbindlichen Aussagen. Aber wir tun alles dafür, dass die Versorgung der Tiere gewährleistet bleibt. Und deswegen sind genügend Betriebshelfer nötig. Ich kann im Moment aber nicht ausschließen, dass es hier und da zu Engpässen kommt. Wir bemühen uns aber nach Kräften, gemeinsam Lösungen zu finden.
In der deutschen Landwirtschaft sind 300.000 Saisonarbeitskräfte tätig. Gerade die Spargelbauern bangen bereits um Erntehelfer aus Osteuropa ...
Heidl: Wir steuern auf ein riesiges Problem zu. Es gibt inzwischen zum Thema Corona mehrsprachige Informationsblätter für Saisonarbeitskräfte. Aber was wir brauchen, ist ein Reglement, wie Saisonarbeitskräfte trotz geschlossener Grenzen nach Deutschland kommen können. Wir sind deswegen bereits in Kontakt mit der Bundesregierung und Ministerin Klöckner.
Schon jetzt wird gewarnt, dass Teile der Spargelernte auf den Feldern verrotten könnten.
Heidl: Das kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden. Aber nicht nur die Spargelbauern haben Probleme, sondern auch Gemüsebauern, die in den nächsten Wochen zum Beispiel ihre Gurken aussäen wollen. Viele fragen sich, ob es überhaupt Sinn macht, auszusäen, wenn dann keine Erntehelfer zur Verfügung stehen. Die Betriebe bemühen sich zwar, Helfer zu organisieren. Aber sie brauchen in Coronavirus-Zeiten auch klare Aussagen von den Behörden, etwa vom Bundesinstitut für Risikobewertung, und flexible, möglich unbürokratische Lösungen.
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner hat vorgeschlagen, dass Beschäftigte aus der Gastronomie aushelfen könnten. Wie sinnvoll ist das?
Heidl: Auf unseren Höfen ist jeder willkommen. Vielleicht gibt es auch den ein oder anderen, der sich dafür eignet. Aber eine Lösung ist das nicht: Wir haben vor einigen Jahren schon versucht, Arbeitslose auf den Feldern einzusetzen, und das war wenig erfolgreich. Es ist letztlich doch ein Unterschied, ob man zum Beispiel als Koch oder Kellner in einer Gaststätte arbeitet oder ob man auf dem Feld Salat erntet oder Spargel sticht.
Am 3. April sollte der Bundesrat über die verschärfte Düngeverordnung abstimmen, gegen die viele Landwirte über Monate demonstriert haben. Ist das realistisch?
Heidl: Im Moment kann der politische Betrieb kaum aufrechterhalten werden, ein ordnungsgemäßes politisches Verfahren ist nicht gewährleistet. Daher fordern wir, die Entscheidung über die Düngeverordnung zu vertagen. Ohnehin war das Prozedere auch ohne Corona bereits völlig überhastet. Die öffentliche Anhörung läuft bis zum 2. April und tags darauf soll schon entschieden werden. Das kann und darf doch nicht sein!
Die EU-Kommission hat dem deutschen Regierungsentwurf ja bereits zugestimmt.
Heidl: Hier muss man festhalten: Die Vorgaben, die in der neuen Düngeverordnung stehen sollen, sind nicht die Forderungen aus Brüssel, sondern sind Ideen aus dem Bundesumwelt- und Bundeslandwirtschaftsministerium. Brüssel prüft nur, ob sie denn den Vorgaben aus der Nitratrichtlinie entsprechen. Wir halten diesen Entwurf in vielen Punkten für fachfremd und kontraproduktiv – auch für die Umwelt. Dass etwa Zwischenfrüchte in roten Gebieten nicht mehr gedüngt werden dürften, wäre nachteilig für den Gewässerschutz.
In Bayern soll das Nitrat-Messstellennetz ja von 600 auf 1500 Messpunkte erweitert werden.
Heidl: Nach jetzigem Zeitplan des Bundesrats wird diese Ausweitung aber ja gar nicht abgewartet. Es werden völlig übereilte Entscheidungen getroffen. Das ist für mich untragbar. Die Abstimmung über die neue Düngeverordnung muss vertagt und die Zeit genutzt werden, um die bestehenden Messstellen zu überprüfen. Nur in den Gebieten, wo weitere Maßnahmen zum Gewässerschutz notwendig sind, sollte die Düngeverordnung tatsächlich nachjustiert werden.
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