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Corona-Protest: Wie ticken die Corona-"Spaziergänger"? Erkundung am Straßenrand

Einmal um den Marktplatz und noch weiter: In Wertingen gingen zuletzt mehr als 700 Menschen, die sich selbst Spaziergänger nennen, auf die Straße.
Corona-Protest

Wie ticken die Corona-"Spaziergänger"? Erkundung am Straßenrand

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    Eine Kerze sei etwas Warmes, sagen sie hier. Etwas Friedliches. Genau das wollten sie ausstrahlen, bekommt man als Erklärung. Dutzende Kerzen stehen in der Dunkelheit des frühen Abends vor dem Zaun am Wertinger Schloss im Landkreis Dillingen. Wer „mitspaziert“, so nennt es die Frau, die die Flämmchen entfacht, kann sich eine davon wegnehmen. „Wir wollen keine Spaltung“, sagt der große junge Mann neben ihr. Seinen Namen möchte er – wie auch alle anderen der selbst ernannten Spaziergängerinnen und Spaziergänger, die in diesem Text zu Wort kommen – trotzdem nicht nennen.

    Vor wenigen Wochen noch Einzelphänomene, finden „Corona-Spaziergänge“ mittlerweile in allen Teilen Deutschlands statt. In den Hochburgen des – rechten – Protests, etwa in der Pegida-Stadt Dresden. In Leipzig und anderen einstigen DDR-Kommunen, wo die Menschen vor über 30 Jahren die Einheit

    Spazierengehen und die Gedanken schweifen lassen – an den Staat

    Unangemeldet, weil es sich ja offiziell nicht um Demonstrationen handelt. Es gibt auf dem Papier keine Veranstalter, rechtlich sind die Treffen nur schwer zu verbieten. Spazierengehen, das klingt harmlos. Ein bisschen was für die Gesundheit tun, die Gedanken schweifen lassen. Viele dieser Corona-Flaneure denken vor allem eines: dass der Staat ihnen nichts Gutes will.

    Die Zahl derer, die durch Wertingen laufen, wächst.
    Die Zahl derer, die durch Wertingen laufen, wächst. Foto: Ulrich Wagner

    Die meisten verabreden sich über den Nachrichtendienst Telegram, andere über Whatsapp. Wieder andere erfahren von Bekannten davon. Allein für den vergangenen Montag sind auf

    Ein Teilnehmer ist nicht einverstanden "mit dem Zeug"

    Dort sind es diesmal rund 720 Spaziergängerinnen und -gänger, wird die Polizei am nächsten Tag bekannt geben. Bayernweit kommen an diesem Abend rund 10.000 Demonstrierende zusammen. Ihr Zug in Wertingen reicht vom Schloss hinunter einmal rund um den Marktplatz mit seinem stattlichen Christbaum und noch ein paar hundert Meter weiter die Hauptstraße entlang. Manche sind Woche für Woche abends auf der Straße, andere zum ersten Mal. Warum? „Weil ich nicht einverstanden bin mit dem ganzen Zeug“, sagt einer aus dem Kreis Augsburg. Er meint wohl die Corona-Politik, aber das lässt sich nur erahnen, denn konkreter will er nicht werden gegenüber der Presse, für die viele hier vor allem Spott oder gar Verachtung übrig haben.

    Fest steht: Die Zahl derer, die in Wertingen wöchentlich mitlaufen, wächst. Brav auf dem Gehweg, aber mit Wut auf den Staat und seine Regeln.

    Die selbst ernannten Spaziergänger könnten auch beim Schafkopf sitzen

    An diesem Abend sind es Menschen im Rentenalter, Ehepaare mit Kinderwagen und Hund, Pärchen Hand in Hand, Jugendliche. Gruppen, die wirken, als säßen sie auch gerne beim Schafkopf zusammen oder noch auf einen selbst gemachten Eierlikör nach dem Step-Aerobic-Kurs. Fast niemand trägt eine Maske, viele aber eine Kerze und einer ein Schild, weiße Schrift auf schwarzem Grund: „Nein zur Impfpflicht“.

    An nahezu jeder Straßenkreuzung, die der Zug passiert, steht Polizei. Es ist fast gespenstisch leise. Hier ein Gespräch, da ein paar Lacher – anders als zum Beispiel in Augsburg, wo zuletzt mehrmals pro Woche mehrere tausend Demonstrierende laut lärmend und Schilder in den Himmel reckend durch die Straßen zogen.

    Sie vertraue den Impfstoffen nicht, sagt diese Frau.
    Sie vertraue den Impfstoffen nicht, sagt diese Frau. Foto: Ulrich Wagner

    In Wertingen strahlt eine Frau besonders aus dem Zug hervor. Eine Lichterkette um ihren Oberkörper beleuchtet die rosa Jacke und ihr Gesicht unter der schwarzen Bommelmütze. „Ich glaube, dass der Großteil wegen der Impfung da ist“, sagt sie. Auch sie selbst sei nicht überzeugt von den Impfstoffen. „Und ich habe das Recht auf meinen Körper.“

    Von der Politik fühlt sie sich hintergangen. „Vor der Bundestagswahl hat man gesagt, dass keine Impfpflicht kommt. Jetzt soll sie doch kommen. Sie haben uns angelogen.“ Außerhalb von Wertingen sei sie auch schon mitgelaufen, sagt die Frau noch. Viele hier kommen aus den umliegenden Orten und Landkreisen.

    Aus Dillingen zum Beispiel, wo der Spaziergang an Neujahr so gar nicht lief, wie manche Teilnehmerin und mancher Teilnehmer sich das vorgestellt hatte. „Was war heute in

    "Corona-Spaziergänge" als friedlichen Protest deklariert

    Friedlich. Das Wort, das die Spaziergänger ständig für sich reklamieren. Friedlicher Protest. Und das die Polizeistatistik für Schwaben bestätigt. Die „Spaziergänge und Versammlungen“ der vergangenen Wochen seien „durchweg friedlich“ verlaufen, sagt auch ein Sprecher des Präsidiums

    In Schweinfurt war ein Kind als lebendes Schutzschild benutzt worden.
    In Schweinfurt war ein Kind als lebendes Schutzschild benutzt worden. Foto: Josef Lamber/Main-Post/dpa

    Die Stadt in Unterfranken machte bundesweit Schlagzeilen, nachdem am Abend des 26. Dezember eine als Corona-Spaziergang etikettierte und nicht angemeldete Protestveranstaltung zu einem gewalttätigen Kräftemessen zwischen Demonstrierenden – darunter Mitglieder der rechtsextremen Kleinpartei „Der III. Weg“ – und Polizei geworden war. Dabei kam ein vierjähriges Kind mit einer Pfefferspraywolke in Kontakt und musste behandelt werden.

    Dieses und andere Kinder waren als lebende Schutzschilde benutzt worden. Protestierende hatten versucht, Absperrungen zu durchbrechen. Acht Polizisten wurden verletzt, Beamte beschimpft und bespuckt. Sie berichteten von Faustschlägen und Fußtritten. Davon, dass sie Schlagstöcke einsetzen mussten. Und Pfefferspray. Beim nächsten Schweinfurter Spaziergang in der Woche darauf dann schrieb die Polizei, dass in Messenger-Diensten „offen zum Angriff auf Polizeibeamte mit Messern aufgerufen“ worden sei. Mehrere Teilnehmer hatten dann auch solche dabei. Eingesetzt wurden sie nicht.

    Matthias Pöhlmann, der Sektenbeauftragte der Evangelischen Kirche in Bayern, beobachtet genau, was auf Telegram und auf den Straßen Deutschlands passiert. In Bautzen wie in Bamberg. Oder in Schweinfurt. Pöhlmann, Autor des kürzlich erschienen Buches „Rechte Esoterik. Wenn sich alternatives Denken und Extremismus gefährlich vermischen“, stellt neue Tendenzen und eine weitere Radikalisierung der Corona-Protest-Bewegung fest. Der Mythos des „Wir sind mehr und werden immer mehr“ werde verstärkt gepflegt. Bei einigen – nicht allen – Teilnehmerinnen und Teilnehmern sei das Frust- und Wutpotenzial enorm gestiegen. Sowie: Vermehrt würden Demonstrationen nicht mehr angemeldet und an verschiedenen, auch kleineren Orten durchgeführt. Mit dieser neuen Strategie solle der Eindruck erweckt werden, der Protest werde von sehr vielen Menschen flächendeckend getragen. Und: Es solle die Polizei lahm gelegt werden. Rechtsextreme wüssten den Protest zu nutzen und verstünden, ihn zu organisieren und zu orchestrieren.

    Zu Nazis will die Frau in Wertingen Abstand halten

    Was sie täte, wenn auch in Wertingen plötzlich Nazis oder Gewaltbereite mitliefen? Auf diese Frage antwortet die Frau mit der Lichterkette: „Dann würde ich Abstand zu denen halten. Das will ich nicht und das bin ich nicht.“ Ihre Nebenfrau wirft ein: „Das wollen wir alle nicht.“ Kurz vorher, als der Protestzug in einem spärlich beleuchteten Wertinger Wohngebiet stockte, hatte ein Mann betont, er glaube in Sachen Corona nur dem Ex-Mikrobiologie-Professor Sucharit Bhakdi. Dass gegen diesen wegen offen antisemitischer Behauptungen ermittelt wird, sagt er nicht oder er weiß es nicht oder es ist ihm egal.

    Matthias Pöhlmann hat den Protest in der Gesellschaft genau untersucht. Bei den Protestierenden handle es sich, „auch wenn es vielleicht einen anderen Eindruck macht, um eine Minderheit“, sagt der Wissenschaftler und Theologe. „Man darf sie aber nicht unterschätzen.“ Vor allem, wenn Kinder instrumentalisiert würden. „Die Berufung auf Kinderrechte begleitete Demos und Umfeldinitiativen von Anfang an. Denken Sie nur an die Schulschließungen.“ Dass Kinder gezielt als Schutzschilde eingesetzt werden beim Durchbrechen von Absperrungen, oder um Polizistinnen und Polizisten an einem harten Durchgreifen zu hindern, ist gleichwohl selbst für ihn „eine neuerliche, bedrohliche Entwicklung“.

    Dr. Matthias Pöhlmann - in der Oettinger Sankt-Jakobskirche.
    Dr. Matthias Pöhlmann - in der Oettinger Sankt-Jakobskirche. Foto: Verena Mörzl

    Pöhlmann, der sein Büro in München hat, war selbst bereits bei Protestveranstaltungen von sogenannten Querdenkern, Corona-Leugnerinnen und Impfgegnern. Als zunehmend erschrockener Beobachter. Im vergangenen September bilanzierte er ein ausgesprochenes „Hasspotenzial“, welches er erlebt habe. „Die Aggressivität ist im Laufe der Pandemie noch gestiegen.“

    Drei Monate später hat sich daran nichts geändert. Die Aggressivität ist weiter gewachsen, befeuert auch durch die Debatte um eine allgemeine Impfpflicht oder ein entschiedenes Vorgehen gegen Telegram. Pöhlmann schließt nicht aus, dass sich terroristische Gruppierungen aus der Protestbewegung herausbilden könnten – dazu brauche es seiner Ansicht nach allerdings zusätzliche Faktoren. Etwas wie einen erneuten Lockdown.

    Das Demonstrationsrecht, sagt der Forscher, sei ein hohes Gut. Wer an derartigen Veranstaltungen teilnehme, müsse sich aber genau umsehen, mit wem er protestiere und ob er instrumentalisiert werde. Doch wer tummelt sich auf Telegram und auf den Straßen? Es war eine anfangs schwer zu überblickende Mischung. Inzwischen ist das Bild klarer: Verschwörungsgläubige, Personen mit Bezug zu Esoterik und rechter Esoterik, Personen, die moderne Medizin ablehnen, und Menschen, die ein Widerstandsnarrativ und eine politische Endzeiterwartung eine. Überzeugt davon, so Pöhlmann, dass das System kippe; in Gegnerschaft zum Staat und seinen Repräsentanten.

    "Wir haben keine Meinung, wir gehen einfach spazieren", sagt die Frau mit dem Aluhut

    Im Begriff der „Besorgten Bürger“ würden sich hier in Wertingen vermutlich auch viele wiederfinden. Der Bhakdi-Anhänger hat Angst um das Grundgesetz. Eine Landwirtin, die eine dicke Kerze mit unruhiger Flamme in Händen hält, möchte mehr „wissenschaftlichen Diskurs“. Zudem wolle sie „Gesicht zeigen und Position beziehen“. Gegen „Zensur durch die Presse“, gegen die derzeitige „kollektive Angstneurose“, „gegen Gewalt – und für Meinungsfreiheit“.

    Eine andere Frau – sie trägt einen Aluhut auf dem Kopf – möchte gar keine Sichtweise äußern. Sie hält sich an das Narrativ des friedlichen Protests: „Wir haben keine Meinung, wir gehen einfach spazieren.“ Sagt sie und grinst.

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