Rein statistisch wird in Deutschland derzeit fast jede Sekunde ein Mensch gegen Corona geimpft. Das klingt nach viel – in Wahrheit ist das Impfen aber ziemlich eingeschlafen.
Pro Tag werden derzeit etwa 66.000 Impfungen verabreicht. In Spitzenzeiten waren es mehr als anderthalb Millionen. Rund 76 Prozent der Gesamtbevölkerung sind mittlerweile grundimmunisiert. Knapp über 62 Prozent haben eine oder zwei Auffrischungsimpfungen bekommen. Für wen wird eine vierte Spritze überhaupt empfohlen? Wie groß ist die Nachfrage nach den neuen, angepassten Impfstoffen? Und wie gut ist eigentlich deren Wirksamkeit?
Wie viele Menschen in Bayern sind ein viertes Mal geimpft und wie oft wurde dabei einer der an die Omikron-Subvarianten angepassten Impfstoffe verwendet?
Den Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) zufolge haben in Bayern rund 1,3 Millionen Menschen eine zweite Auffrischungsimpfung erhalten (Stand Dienstag). Davon wurden etwa 352.000 Impfungen mit einem angepassten Impfstoff von Biontech/Pfizer und rund 6600 Impfungen mit dem neuen Impfstoff von Moderna durchgeführt. „Die Nachfrage nach Corona-Impfungen ist insgesamt auf einem sehr niedrigen Niveau“, sagt Dr. Wolfgang Ritter, Vorstandsmitglied im Bayerischen Hausärzteverband, gegenüber unserer Redaktion. „Auch der angepasste Impfstoff führte nur zu einem moderaten Anstieg.“
Gibt es Daten über die Wirksamkeit der angepassten Impfstoffe?
Vor wenigen Tagen haben Biontech und Pfizer neue klinische Daten zu ihrem an BA.4/BA.5 angepassten Impfstoff veröffentlicht. Sie zeigten einen Anstieg der neutralisierenden Antikörper gegen BA.4/BA.5 in der Altersgruppe der Über-55-Jährigen um das etwa Vierfache im Vergleich zu Personen, die eine Auffrischung mit dem ursprünglichen Vakzin erhielten. BA.5 ist in Deutschland die aktuell dominierende Variante und macht mehr als 90 Prozent der Fälle aus.
Reichen die Daten, um die Wirksamkeit bewerten zu können?
„Wir dürfen auf der Basis dieser randomisierten Phase-II/III-Studie in den nächsten Monaten noch weitere, dann noch stärker belastbare Zahlen erwarten“, sagt Professor Dr. Clemens Wendter, Immunologe und Chefarzt an der München Klinik Schwabing, gegenüber unserer Redaktion. „Aber bereits jetzt ist klar, dass der adaptierte bivalente Impfstoff bezüglich seiner Neutralisationskapazität gegenüber Omikron BA.4/5 besser ist als der traditionelle Wildtyp-Impfstoff, auch wenn das genaue Ausmaß der Verbesserung erst nach noch weiteren wissenschaftlichen Auswertungen exakt fixiert werden kann.“ Darauf müsse – und solle – man aber nicht warten. „Angesichts des nahenden Winters drängt die Zeit, um sich und seine Nächsten zu schützen“, sagt der Mediziner.
Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt eine vierte Impfung ab einem Alter von 60 Jahren oder bei Menschen mit Vorerkrankungen. Können sich auch jüngere, gesunde Menschen erneut boostern lassen?
Die Stiko-Empfehlung basiere auf den neuesten wissenschaftlichen Daten, aus denen hervorgehe, dass jüngere Menschen ohne Vorerkrankungen kaum von einer vierten Impfung profitieren, erklärt Ritter vom Bayerischen Hausärzteverband. „Dennoch gibt es natürlich medizinisch sinnvolle Indikationen, auch jüngere Patienten zu impfen.“ Dies müsse aber in einem Gespräch am besten mit dem Hausarzt geklärt werden. Neben Personen über 60 Jahren wird eine vierte Impfung für Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen, Personal in medizinischen Einrichtungen oder Menschen ab fünf Jahren mit einem Risiko für einen schweren Verlauf, etwa durch Erkrankungen des Immunsystems, empfohlen.
Werden für die vierte Impfung jetzt ausschließlich die an Omikron angepassten Impfstoffe verwendet?
Die Stiko empfiehlt, für Auffrischungsimpfungen ab zwölf Jahren „vorzugsweise“ einen der Omikron-adaptierten bivalenten mRNA-Impfstoffe zu verwenden. „Dies gilt sowohl für die BA.1- als auch für die BA.4/5-adaptierten Impfstoffe, da beide im Vergleich zu den bisherigen monovalenten mRNA-Impfstoffen eine verbesserte Antikörperantwort gegenüber verschiedenen Omikron-Varianten auslösen und gegenüber dem SARS-CoV-2-Wildtypstamm eine gleichbleibend gute Antikörperantwort erzielen“, heißt es vonseiten der Stiko. Für die Auffrischimpfung von Kindern im Alter von fünf bis elf Jahren mit einer entsprechenden Indikation – etwa einer schweren Grunderkrankung – müssen der Stiko zufolge aber weiterhin die bisherigen Impfstoffe und nicht die angepassten verwendet werden.
Wirken die neuen Impfstoffe auch gegen die sich ausbreitenden Subvariante BQ.1.1?
Das kann man bisher nicht sagen. Wie gut die neuen – und auch bisherigen – Impfstoffe vor der Variante BQ.1.1. schützen, sei aufgrund der begrenzten Datenlage derzeit noch unklar, erklärt eine Sprecherin des bayerischen Gesundheitsministeriums.
Wie viele Fälle von BQ.1.1 gibt es bereits in Bayern?
Nach Angaben des bayerischen Gesundheitsministeriums verzeichnet das Netzwerk Bay-VOC im Freistaat bislang 131 nachgewiesene Fälle der BA.5-Sublinie BQ.1.1 (Stand Dienstag). Bundesweit wurde innerhalb eines Monats (von Mitte September bis Mitte Oktober) ein Anstieg der Sublinien BQ.1/BQ.1.1 von 0,3 Prozent der Neuinfektionen auf 8,1 Prozent verzeichnet. „Die Sublinie BQ.1.1 scheint eine erhöhte Fähigkeit zur Immunflucht zu haben, was auch bei geimpften und genesenen Personen zu vermehrten Ansteckungen führen kann“, sagt die Ministeriumssprecherin.