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Corona-Pandemie: Welche Schwächen die Krankenhaus-Ampel offenbart

Corona-Pandemie

Welche Schwächen die Krankenhaus-Ampel offenbart

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    Die bayerische Krankenhaus-Ampel gerät immer mehr in die Kritik. Das System müsse deutlich regionaler sein, heißt es von mehreren Seiten.
    Die bayerische Krankenhaus-Ampel gerät immer mehr in die Kritik. Das System müsse deutlich regionaler sein, heißt es von mehreren Seiten. Foto: Sebastian Gollnow, dpa

    Bayern ist wieder mittendrin. In einer Kurvendiskussion, die man gehofft hatte, so schnell nicht wieder führen zu müssen. Im Freistaat steigen die Corona-Infektionszahlen massiv an, nur in Thüringen und Sachsen ist die Situation noch angespannter. Am Mittwoch lag die Sieben-Tage-Inzidenz in Bayern dem Robert-Koch-Institut zufolge bei 191,3. Und: Die fünf Landkreise mit den bundesweit höchsten Werten liegen allesamt im Freistaat.

    Eigentlich sollte die Inzidenz, diese Fieberkurve, auf die die Menschen über Monate Tag für Tag geblickt hatten, gar keine große Rolle mehr spielen, seit im September von der Bayerischen Staatsregierung die Klinik-Ampel eingeführt wurde. Sie schaltet auf Gelb, wenn bayernweit innerhalb von sieben Tagen mehr als 1200 Patientinnen und Patienten mit einer Corona-Erkrankung neu in Krankenhäuser aufgenommen werden mussten. Dann soll es schärfere Maßnahmen geben. Auf Rot schaltet die Ampel, wenn mehr als 600 Covid-Patienten auf den Intensivstationen des Freistaats liegen. Welche Maßnahmen dann getroffen werden, ist noch immer nicht ganz klar.

    Viele Krankenhäuser arbeiten wieder am Limit

    Derzeit steht die Klinik-Ampel – trotz der massiv gestiegenen Inzidenz – auf Grün. Nur: Das spiegelt nicht die Situation in den einzelnen Regierungsbezirken wider. Das bayernweite Farbensystem gerät immer mehr in die Kritik. Und der Fokus richtet sich wieder verstärkt auf die Inzidenz, die derzeit nur eine Richtung kennt: aufwärts.

    Viele Krankenhäuser arbeiten bereits wieder am Limit. Auch in Schwaben ist die Situation derzeit angespannt. Gäbe es eine regionale Klinik-Ampel für den Regierungsbezirk, dann stünde sie bereits auf Rot, wie Dr. Hubert Mayer, der ärztliche Koordinator für Schwaben, erklärt.

    Der Gesundheitsminister setzt weiter auf eine bayernweite Betrachtung

    Mayer, der auch Geschäftsführer der Kliniken an der Paar im Landkreis Aichach-Friedberg ist, macht im Gespräch mit unserer Redaktion ziemlich deutlich, was er vom Ampel-Model hält: „Ich erachte es als wenig hilfreich.“ Das gelte sowohl für die Steuerung in den Kliniken als auch für die Wahrnehmung in der Bevölkerung. „Die Menschen denken, dass alles okay ist, wenn die Ampel auf Grün steht und sie dann weniger vorsichtig sein müssten. Und das ist gefährlich. Denn in den einzelnen Regionen gibt es große Unterschiede. In Nordbayern würde die Ampel tatsächlich derzeit voll auf Grün stehen, in Schwaben aber eben nicht.“ Er plädiert deshalb für eine regionalere Ausrichtung der Ampel – was er auch schon Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek vorgeschlagen habe.

    Der sieht die Sache so: Eine regionale Betrachtung sei ein gutes ergänzendes Mittel, um auf unterschiedliche Dynamiken zu reagieren, sagt Holetschek gegenüber unserer Redaktion und ergänzt: „Dennoch halte ich die bayernweite Betrachtung weiterhin für ein grundsätzlich geeignetes Instrument vor dem Hintergrund, dass wir bei stark ausgelasteten Krankenhäusern auch das Instrument von Abverlegungen haben.“

    Für die Kliniken ist die Inzidenz noch immer ein wichtiges Frühwarnsystem

    Nach der bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung sollen die Kreisverwaltungsbehörden von Landkreisen mit einem regional hohen Ausbruchsgeschehen zusätzliche Schutzmaßnahmen ergreifen, fügt ein Sprecher des Gesundheitsministeriums hinzu. Diese regionalen Schutzmaßnahmen seien von der landesweiten Krankenhaus-Ampel unabhängig. „Die Staatsregierung ist hierzu in Kontakt mit den von hohen Ausbruchsgeschehen derzeit besonders betroffenen Landkreisen“, sagt der Sprecher.

    Schwabens ärztlicher Koordinator Mayer plädiert nicht nur für mehr Regionalität, er ist zudem überzeugt, dass es besser gewesen wäre, an der Inzidenz als Gradmesser festzuhalten. In seinem Krankenhaus würde man die Inzidenz immer noch als Frühwarnsystem im Blick haben. Denn wenn die Zahlen plötzlich stark steigen, dann wüssten die Mediziner, dass sie bald wieder viele Patienten behandeln müssen. Mayer macht aber auch klar, dass man mittlerweile andere Maßstäbe ansetzen müsse: „Eine Inzidenz von 200 ist heute anders zu betrachten als Anfang 2021. Damals sind deutlich mehr Patienten und Patientinnen stationär geworden.“ Das liege an der Impfung, die das Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken, deutlich reduziere.

    Opposition kritisiert Klinik-Ampel der Staatsregierung

    Auch in der Politik gibt es Kritik am Ampel-System. Christina Haubrich, die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bayerischen Landtag, macht deutlich: „Die Staatsregierung darf regionale Überlastungen der Intensivstationen, welche die Krankenhaus-Ampel nicht abbildet, nicht ignorieren. Die Corona-Situation ist zu komplex, um auf einen einzigen landesweiten Wert zu schauen. Es wird immer deutlicher, dass die Schwellenwerte der Ampel mit der Realität nicht zusammenpassen.“ Außerdem müsse man flexibler auf die Situation in den Kliniken reagieren können. „Wenn mehr Personal im Herbst und Winter krankheitsbedingt ausfällt, könnte dies den ohnehin ernsten Personalmangel verschärfen, mit dem die Kapazität der Krankenhäuser steht und fällt“, sagt Haubrich.

    Professor Dr. Axel Heller, Ärztlicher Leiter der Krankenhauskoordinierung für den Rettungsdienstzweckverband Augsburg, der Stadt und Landkreis Augsburg sowie die Landkreise Aichach-Friedberg, Dillingen und Donau Ries beinhaltet, blickt besorgt auf die kommenden Monate. Zumal die Situation bereits jetzt ernst sei. Die mit Intensivpflegepersonal betreibbaren Intensivbetten am Uniklinikum Augsburg seien voll ausgelastet. "Jedes frei werdende Intensivbett wird unmittelbar wieder neu belegt“, macht Heller deutlich. „Planbare Eingriffe, die hinterher eine Intensivbetreuung benötigen, werden nach individueller Dringlichkeit von Tag zu Tag aufgeschoben“, fährt er fort. Die Versorgung von lebensbedrohlichen Notfällen könne aber nach wie vor sichergestellt werden.

    Die Inzidenz verdoppelt sich alle zwölf Tage

    Nach Berechnungen des Gesundheitsamtes Augsburg liege die Verdopplungszeit sowohl der Inzidenz als auch der Hospitalisierung derzeit bei zwölf Tagen, sagt Heller, der auch Direktor der Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin am Uniklinikum Augsburg ist. „Das heißt, dass wir, wo immer personell möglich, noch Behandlungsplätze ausbauen beziehungsweise Patienten überregional verlegen müssen.“

    Wenn man Heller fragt, was er von der bayernweiten Klinik-Ampel hält, fällt sein Urteil deutlich aus: „Diese Ampel hat einen entscheidenden Fehler: Sie gilt für ganz Bayern und ist nicht regional angepasst. Wenn sie regional für unseren Bereich angewendet werden würde, dann wäre sie seit Wochen rot.“ Eine solche landesweite Klinik-Ampel ohne regionalen Bezug habe „nichts mit der Behandlungsrealität oder den Notwendigkeiten des Infektionsschutzes zu tun“.

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