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Corona-Pandemie: "Schlimmste Zeit meines Lebens": Pfleger, Ärzte und Tester über den Pandemie-Alltag

Corona-Pandemie

"Schlimmste Zeit meines Lebens": Pfleger, Ärzte und Tester über den Pandemie-Alltag

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    Der Kampf in der ersten Reihe gegen das Coronavirus ist hart. Für "Querdenken"-Demonstrationen haben viele Ärzte, Pfleger und Tester daher wenig Verständnis.
    Der Kampf in der ersten Reihe gegen das Coronavirus ist hart. Für "Querdenken"-Demonstrationen haben viele Ärzte, Pfleger und Tester daher wenig Verständnis. Foto: Bodo Schackow, dpa (Symbolbild)

    Auch wenn die Zahl der täglichen Neuinfektionen mit Corona schwankt – der Trend zeigt aktuell klar nach oben. Viele fürchten sich vor der dritten Welle; die Lage in Krankenhäusern ist angespannt. In der Situation planen nun sogenannte "Querdenker" eine Großdemo in Kempten. Mit 8000 Menschen wollen Kritiker der Corona-Schutzmaßnahmen die Stadt am Samstag nach eigenen Worten "fluten".

    Die Stadt hatte das verboten, die Eilanträge der Organisatoren wurden vom Augsburger Verwaltungsgericht abgelehnt, weil bei derart vielen Menschen der vorgeschriebene Mindestabstand nicht sicher einzuhalten sei. Komplett ausgefochten ist die Sache aber nicht, der letzte Schritt ist noch eine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof.

    Welche Gedanken kommen Menschen, die täglich mit dem Kampf gegen Corona zu tun haben oder hatten, angesichts der angekündigten Großdemo in den Kopf? Menschen, die Kranke versorgen oder versuchen, der Ausbreitung der Pandemie entgegenzuwirken. Die Redaktion hat sich umgehört.

    "Es geht um Leben und Tod": Das sagt ein Memminger Lungenarzt zur aktuellen Corona-Situation

    "Die schlimmste Phase in der Pandemie", erlebt Dr. Radu Braga zurzeit am Memminger Klinikum. Die Intensivstation sei voll mit Covid19-Patienten. "Wer Corona als grippe-ähnlichen Infekt abtut, hat nicht gesehen, was wir hier im Alltag sehen", sagt der Pneumologe in Richtung all jener, die die Krankheit verharmlosen. Zwar gebe es gerade bei den Jüngeren milde Verläufe. Aber diese Gruppe könne aus Sorglosigkeit Eltern und Großeltern anstecken – bei denen gehe es dann oft um Leben und Tod: "Und das sind keine Fake-News", sagt Braga. Dauerhafte Inzidenzwerte über 100 könne das Gesundheitssystem nicht verkraften.

    Das Coronavirus mit einer Grippe sei schwer verharmlosend, sagt Lungenfacharzt Dr. Radu Braga vom Klinikum Memmingen.
    Das Coronavirus mit einer Grippe sei schwer verharmlosend, sagt Lungenfacharzt Dr. Radu Braga vom Klinikum Memmingen. Foto: Ulrich Haas

    Vor diesem Hintergrund hält es der Oberarzt für hochriskant, wenn sich Tausende zu einem Treffen verabreden, bei dem Abstandsregeln sowie Mund- und Nasen-Schutz wenig gelten. Die Wahrscheinlichkeit sei nicht zu unterschätzen, dass Infizierte, die selbst keine Beschwerden haben, in dieser Umgebung das Virus massenhaft verbreiten. Eine Wundertherapie gegen Corona sei nicht in Sicht. Also gelte es jetzt noch Geduld zu haben, Kontakte zu meiden und sich impfen zu lassen, wenn man an der Reihe ist.

    "Die schlimmste Zeit meines Lebens": Was ein Kemptener Intensivpfleger erlebt

    "Ich habe die Patienten behandelt, ich habe sie sterben gesehen." Über 40 Jahre war Michael Weigel Krankenpfleger, davon fast 30 auf der Intensivstation in Kempten. So eine Situation wie 2020 habe er nie zuvor erlebt: "Es war die schlimmste Zeit meines Lebens und ein Grund, vorzeitig in Rente zu gehen." Der 63-Jährige findet es unmöglich, wenn sogenannte "Querdenker" jetzt in großer Zahl demonstrieren wollen. Das Virus verbreite sich von Mensch zu Mensch. Je mehr sinnlose, ungeschützte Kontakte es gebe, desto mehr müssten wichtige Kontakte etwa in Handel und Gastronomie reduziert werden.

    Als Intensivpfleger sah Michael Weigel Covid19-Patienten sterben.
    Als Intensivpfleger sah Michael Weigel Covid19-Patienten sterben. Foto: Weigel

    Der langjährige Intensivpfleger verweist auf eine Studie der Humboldt-Uni Berlin und eines Forschungsinstituts: Danach trugen Querdenker-Demos dazu bei, dass sich das Coronavirus in Deutschland stark verbreitet hat. Die Corona-Kritiker führten an, sie wollten ihre Freiheit und Grundrechte gewahrt haben. "Aber meine Kollegen in den Krankenhäusern und ich haben auch Grundrechte, zum Beispiel auf Unversehrtheit", sagt Weigel.

    Er fühlte sich bei seiner Arbeit durch die Angst, sich anzustecken, stark eingeschränkt. "Und ich verliere langsam das Vertrauen in unsere Gerichte: Grundrechte müssen für beide Seiten gelten." Weigel ist heilfroh, dass er vor dem Höhepunkt der zweiten Welle aus dem Beruf rauskam. Es gehe nicht nur darum, wer "mit oder an" Corona sterbe. Die Überlastung von Kliniken führe auch dazu, dass Kranke nicht immer sofort oder im nächsten Haus versorgt werden könnten.

    "Sollen Behandlung selbst zahlen": Tester in Kempten kritisiert die Demonstranten

    Eine Großdemo sogenannter "Querdenker" in Kempten? Da hat Helmut Klaus keinerlei Verständnis. Er sagt, solche Demonstranten sollten die Behandlungskosten selbst zahlen müssen, wenn sie an Corona erkranken. Und man müsste sie alle zum Testen schicken. Der 62-Jährige vom Roten Kreuz in Kempten arbeitet seit September in den Testzentren, nennt sich selbst mit einem Augenzwinkern den "Stricher vom Dienst".

    Denn ob Abstriche in der Ari-Kaserne, in Heimen, dem Hospiz oder der Markthalle – unzähligen Menschen schob er Teststäbchen in Rachen oder Nase und brachte sie nebenbei zum Lachen. Viele Menschen hätten vor dem ersten Test Angst gehabt. Wie viele Tests es waren, vermag er nicht zu sagen. 20.000, schätzt er spontan. Ob das wirklich reicht? Allein an seinem persönlichen "Spitzentag" hätten sie an einem Tag zu zweit 1156 Rachenabstriche übernommen, sagt Klaus. Auch sonst seien es oft 500 bis 600 Tests am Tag gewesen.

    Helmut Klaus ist im BRK Testzentrum in Kempten tätig. Mit einem Kollegen hat er an einem Tag 1156 Rachenabstriche genommen.
    Helmut Klaus ist im BRK Testzentrum in Kempten tätig. Mit einem Kollegen hat er an einem Tag 1156 Rachenabstriche genommen. Foto: Martina Diemand

    Im "supertollen Schutzanzug" sei man hinterher je nach Wetter verschwitzt oder durchgefroren. "Nach vier Stunden an der Teststation im Freien hast du kalte Füße, egal wie gut die Schuhe sind." Die Gefahr der Pandemie? Klaus stellt sie nicht infrage. Die Test- und Impfstationen, die vielen Stunden Arbeit in Sechs- bis Sieben-Tage–Wochen, all das leiste man doch, um Kempten wieder auf die Beine zu stellen und irgendwann wieder ein normales Leben zu haben. "Das will doch jeder." Und die Tests seien schließlich auch ideal, um die eigenen Eltern zu schützen.

    "Wir schaffen das nur, wenn alle mithelfen": Sonthofener Hausarzt über den Weg aus der Pandemie

    "Wir haben ständig mit Corona-Patienten zu tun", sagt Dr. Alexander Scharmann, Sprecher des Hausarztvereins Oberallgäu. Er betreibt eine Praxis in Sonthofen. "Der Verlauf schwerer Infektionen ist mühsam." Er könne jedem, der das leugnet, empfehlen, eine Woche freiwillig auf einer Intensivstation zu arbeiten. "Da kann man sehen, wie schlimm es ist." Scharmann besucht dort seine Patienten, wenn sie dorthin verlegt werden mussten. Auf eine natürliche Immunisierung zu setzen, indem alle die Infektion durchmachen, sei keine gute Idee. "Impfen, Impfen, Impfen", laute die Devise. Die gesamte Menschheit zu impfen, habe in der Geschwindigkeit noch nie stattgefunden.

    Dr. Alexander Scharmann ist Hausarzt in Sonthofen und impft gegen das Coronavirus.
    Dr. Alexander Scharmann ist Hausarzt in Sonthofen und impft gegen das Coronavirus. Foto: Scharmann

    Daher seien die Probleme, die auftauchen, als minimal einzuschätzen. Jeder, der noch nicht geimpft sei, könne das Virus verbreiten. Schutzkittel und Masken seien in seiner Praxis daher obligatorisch. "Wir schaffen das nur, wenn alle mithelfen. Wenn Einzelne ausscheren, gefährdet das die gesamte Gesellschaft." Jeder habe ein Recht auf Gesundheit. Das Fatale bei sogenannten "Querdenkern" sei, dass sie sich vor den Karren von Radikalen sperren lassen, die das System kippen wollen. "Das hat mit Freiheit nichts zu tun."

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