Der politische Streit um die Corona-Inzidenzzahlen des Landesamtes für Gesundheit in Bayern eskaliert. Die FDP im Landtag lässt sich auch von einer Erklärung der Behörde nicht beschwichtigen, die am Sonntag vorgelegt worden war. Sie wirft dem Landesamt vor, die Zahl der infizierten Ungeimpften „systematisch zu hoch angegeben“ zu haben, spricht von „Täuschung“ und „Manipulation“ und fordert „personelle Konsequenzen“. Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) und der Präsident des Landesamtes, Walter Jonas, weisen die Vorwürfe zurück. Es gehe um eine „rein fachliche Frage“, von Täuschung könne keine Rede sein, betont Holetschek. Das Landesamt habe bei seinen Berechnungen von Anfang an für volle Transparenz gesorgt.
Wurde die Zahl der Ungeimpften systematisch zu hoch angegeben?
Konkret geht es bei dem Streit um die Fragen, ob bei der Berechnung der Inzidenzzahlen durch das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) das Verhältnis zwischen ungeimpften und geimpften Infizierten korrekt angegeben wird und ob das LGL die Infizierten, deren Impfstatus noch unbekannt ist, zunächst einfach der Gruppe der Ungeimpften zuschlagen darf.
Auslöser der hitzigen Debatte war ein Bericht der Zeitung Die Welt vom Wochenende, der Zahlen infrage stellte, die Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am 18. November verbreitet hatte. Söder hatte via Twitter zum Impfen aufgerufen und eine Grafik gepostet, wonach die Sieben-Tage-Inzidenz der Ungeimpften bei 1469, bei Geimpften dagegen nur bei 110 lag. Die Zahlen, die das LGL danach für die Woche vor dem 24. November nannte, schürten Zweifel an dieser Darstellung. Demnach seien in dieser Zeit rund 82.000 Coronafälle gemeldet worden – darunter rund 9600 Geimpfte, rund 14.600 Ungeimpfte und knapp 57.500 mit unbekanntem Impfstatus. Daraus ergab sich der Verdacht, dass die Inzidenz der Geimpften in Wirklichkeit viel höher, die der Ungeimpften deutlich niedriger sein könnte.
LGL-Präsident Jonas wies den Verdacht einer verzerrten Darstellung bereits am Sonntag als „absolut abwegig“ zurück. Das Landesamt habe seine Berechnungsgrundlagen stets offen gelegt, erklärte er. Und er verteidigte das Verfahren: „Wir haben uns entschieden, die Fälle ohne Angaben zum Impfstatus zunächst zu den Ungeimpften zu zählen. Denn es hat sich herausgestellt, dass diese – nach später vorliegenden Daten – in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle ungeimpft waren. Ein bloßes Weglassen der fehlenden Werte hätte zu völlig falschen Inzidenzverhältnissen geführt.“
FDP-Chef Hagen fordert personelle Konsequenzen
FDP-Fraktionschef Martin Hagen und der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP im Landtag, Matthias Fischbach, akzeptieren diese Erklärung nicht. „Für uns werfen sich durch die Stellungnahme des LGL mehr Fragen auf als Antworten“, sagt Hagen. Er habe große Zweifel an den Aussagen und fühle sich auch persönlich getäuscht – schließlich müsse er sich auf regierungsamtliche Zahlen verlassen können. „Personelle Konsequenzen sind unserer Meinung nach unumgehbar“, sagt Hagen, „Persönlichkeiten in führenden Ämtern, die Bürger täuschen, sind nicht länger tragbar.“
Nach eigenen Modell-Berechnungen Fischbachs könnte die Zahl der geimpften Infizierten in Wirklichkeit doppelt oder dreimal so hoch sein wie vom LGL angegeben. Der Abgeordnete hat den Verdacht, dass mit den Zahlen bewusst Politik gemacht wurde. Er kündigt parlamentarische Anfragen im Landtag an, um zu klären, was Söder und Holetschek über die Verzerrung der Zahlen gewusst haben. Die Staatskanzlei sei schon auf Distanz zum Gesundheitsministerium gegangen. Fischbach: „Es werden bereits Brandmauern hochgefahren, um den Ministerpräsidenten aus diesem Skandal herauszuhalten.“
Holetschek: Viele Patienten auf Intensiv sind nicht geimpft
Gesundheitsminister Holetschek und LGL-Präsident Jonas bemühten sich am Montagnachmittag um eine „rein fachliche“ Erwiderung. Jonas rechnete vor, dass das LGL mit seiner Verfahrensweise bisher gut gefahren sei. „Wir lagen mit unserer Methode sehr nah an den tatsächlichen Daten.“ Dies habe sich im Rückblick bisher stets bestätigt.
Holetschek machte deutlich, dass er von der ganzen Debatte nichts hält, die von der FDP angezettelt worden sei. Er frage sich, „welche Intention dahinter steckt.“ Entscheidend sei, dass die Intensivstationen voll seien und dass sehr viele Patienten dort nicht geimpft seien. Die Schere zwischen Geimpften und Ungeimpften gehe immer noch auseinander.