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Corona-Pandemie: Bayerns Innenminister: "Querdenker-Szene radikalisiert sich weiter"

Corona-Pandemie

Bayerns Innenminister: "Querdenker-Szene radikalisiert sich weiter"

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    Halberstadt, Sachsen-Anhalt: Polizisten stehen vor den Teilnehmern einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen
    Halberstadt, Sachsen-Anhalt: Polizisten stehen vor den Teilnehmern einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen Foto: Matthias Bein, dpa

    Zuletzt ist es bei Demos von Querdenkern und Coronaleugnern immer wieder zu Gewalttaten und Bedrohungen gekommen. Sogar einen Fackelaufmarsch vor dem Privathaus der sächsischen Gesundheitsministerin gab es. Für wie gefährlich und gewaltbereit halten Sie die Szene?
    JOACHIM HERRMANN: Ich sehe die Gefahr einer zunehmenden Radikalisierung der Querdenker-Szene. Die Zahl der Versammlungsanmeldungen steigt in Bayern ebenso wie der Zulauf zu den Demos. Auch wenn die meisten Versammlungen störungsfrei verlaufen, beobachten wir mit Sorge, dass ein kleiner, aber wachsender Teil aus dem rechtsextremistischen Bereich, aus Reichsbürgern und Antisemiten diese Mischung aus Impfgegnern und Corona-Leugnern zu vereinnahmen versucht. Bei Demonstrationen der Querdenker-Szene traten NPD-Mitglieder als Ordner in Erscheinung oder mischten sich zusammen mit Mitgliedern der rechtsextremistischen Splittergruppe „III. Weg“ unter die Demonstranten.

    Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sieht die Gefahr einer zunehmenden Radikalisierung der Querdenker-Szene.
    Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sieht die Gefahr einer zunehmenden Radikalisierung der Querdenker-Szene. Foto: Bernd Weißbrod, dpa

    Besteht diese Szene aus lauter freien Radikalen oder vernetzt sie sich immer mehr? Besteht die Gefahr einer „Sammelbewegung“ beispielsweise aus Reichsbürgern, Rechtsextremisten und Querdenkern?
    JOACHIM HERRMANN: Die Querdenker-Szene ist nach wie vor sehr heterogen, vom Esoteriker bis hin zum Sternekoch gibt es eine große Bandbreite. Ich sehe aber die Gefahr, dass Rechtsextremisten, Reichsbürger und andere die Demonstrationen als Plattform nutzen, um ihre Ideologie unter die Leute zu bringen. Sie missbrauchen die Anfälligkeit der Demonstranten für Verschwörungstheorien und Fake News zur Verbreitung ihrer eigenen radikalen Ansichten. Und sie sehen in den Demos, auf denen ja oft gegen einen vermeintlich übergriffigen Staat in der Corona-Pandemie aufbegehrt wird, einen Nährboden für die eigene staatsfeindliche Ideologie.

    Wird die Querdenker-Szene in Bayern bereits teils oder in Gänze vom Verfassungsschutz beobachtet?
    JOACHIM HERRMANN: Einzelne Akteure der Querdenker-Szene werden beobachtet, weil sie dem Rechtsextremismus oder der Szene der so genannten „Reichsbürger und Selbstverwalter“ zugerechnet werden. Die Querdenker-Szene in ihrer Gesamtheit in Bayern ist kein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. Aber dass Einzelpersonen oder Gruppierungen zu Gewalt aufrufen und dass sie Stör- und Sabotagehandlungen gegen staatliche Infrastruktur planen oder durchführen, war für den Verfassungsschutz der Anlass, ein neues Sammelbeobachtungsobjekt "Sicherheitsgefährdende demokratiefeindliche Bestrebung" einzurichten. Es ist klar erkennbar, dass manche die Funktionsfähigkeit des Staates erheblich zu beeinträchtigen versuchen und dass auch Straftaten vorliegen. Das Sammel-Beobachtungsobjekt erfasst zum Beispiel Personen, die nachdrücklich und ernsthaft, beispielsweise vor dem Hintergrund der Verschwörungstheorie „QAnon“, zu gewalttätigem Widerstand gegen den aus ihrer Sicht illegitimen Staat aufrufen.

    Für wie politisch halten Sie diese Bewegung? Ist es am Ende nur eine Ansammlung von Staatsfeinden oder -verdrossenen?
    JOACHIM HERRMANN: Eine Ansammlung von Staatsfeinden wäre ja nicht „unpolitisch“, aber ich gehe nach wie vor davon aus, dass viele Mitläufer der „Querdenker“ keine staatsfeindlichen Absichten hegen, sondern eher ihrem Frust über die eigene Lebenssituation Luft machen wollen. Zum Beispiel, weil die eigenen Berufs- und Entwicklungsmöglichkeiten durch Corona stark beeinträchtigt sind. Aber es gibt auch jene, die die Bewegung politisch unterwandern und manipulieren wollen. Davor kann ich nur warnen. Die Gefahr scheint einigen Mitläufern nicht bewusst zu sein.

    Welche konkreten Maßnahmen ergreift der Freistaat Bayern, um Gewalttaten und Bedrohungen aus der „Querdenker“-Szene entgegenzuwirken?
    JOACHIM HERRMANN: Bereits Einschüchterungsversuche müssen im Keim erstickt werden. Die bayerische Polizei ist gut vorbereitet, sie geht jedem Verdacht auf Straftaten nach. Bei Bedrohungslagen ergreift die Polizei alle notwendigen Schutzmaßnahmen. Sie ahndet außerdem Verstöße gegen das Versammlungsgesetz ebenso konsequent wie sie auch Verstöße gegen die infektionsschutzrechtlichen Vorgaben zur Anzeige bringt. Ebenfalls sehr wichtig ist die enge Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz, der immer wieder wertvolle Hinweise auf die Beteiligung von Rechtsextremen gibt.

    Sehen Sie Parallelen zur „Pegida“-Bewegung?
    JOACHIM HERRMANN: Beiden gemeinsam ist: Je stärker die Krise empfunden wird, desto höher ist die Mobilisierung. Es gibt auch personelle Schnittmengen. In der Querdenker-Mischung aus Unzufriedenen, Impfgegnern, Verschwörungstheoretikern, Esoterikern und Extremisten steckt anders als bei Pegida ein ganzes Sammelsurium oder überhaupt keine Ideologie dahinter.

    Halten Sie das Phänomen „Querdenker“ für ein dauerhaftes oder könnte es mit Abebben der Corona-Pandemie wieder verschwinden?
    JOACHIM HERRMANN: Ich bin zuversichtlich, dass wir mit einem Erfolg im Kampf gegen das Virus auch den Querdenkern die Grundlage für ihre Proteste entziehen. Im vergangenen Sommer konnten wir schon beobachten, wie die Zahl der Demos mit der allmählichen Rücknahme der Infektionsschutzmaßnahmen wieder zurückgegangen ist.

    Zur Person

    Joachim Herrmann, 65, ist seit 2007 bayerischer Innenminister. Der CSU-Politiker aus Franken gehört dem Landtag seit 1994 an.

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