Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Corona-Krise: Warum sich die CSU immer häufiger über Hubert Aiwanger ärgert

Corona-Krise

Warum sich die CSU immer häufiger über Hubert Aiwanger ärgert

    • |
    Hände weg, das große Rednerpult ist für den Ministerpräsidenten reserviert: Hubert Aiwanger, bayerischer Wirtschaftsminister und Chef der Freien Wähler.
    Hände weg, das große Rednerpult ist für den Ministerpräsidenten reserviert: Hubert Aiwanger, bayerischer Wirtschaftsminister und Chef der Freien Wähler. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Er wird oft belächelt, und doch ist er nicht selten schneller als andere – gerade in entscheidenden Dingen. Zum Beispiel bei den Frauen. Als Hubert Aiwanger im Jahr 2008 mit seinen Freien Wählern in den Landtag einzog, war auch die damals 30-jährige Tanja Schweiger dabei – klug, attraktiv und freundlich, obendrein schlagfertig und politisch versiert. Einige abenteuerlustige Herren in der CSU-Landtagsfraktion versetzte das in helle Aufregung. Jahrelang gockelten und scharwenzelten sie um die junge Oppositionsabgeordnete herum. Sie ließ es geschehen. Aber das war’s auch schon. Landen konnte keiner bei ihr. Erst Jahre später wurde den Herren klar, dass die charmante Frau Schweiger – mittlerweile höchst respektierte und mit großer Mehrheit wiedergewählte Landrätin im Landkreis Regensburg – ihr Herz längst einem anderen geschenkt hatte: Hubert Aiwanger.

    Aktuell steht der Chef der Freien Wähler als Wirtschaftsminister im Kreuzfeuer der Kritik. Er ist nicht mehr das erstaunliche Unikum aus Niederbayern, sondern neben Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder die Zentralfigur der Corona-Krise in Bayern. Seine Welt hat sich verändert. Manche Weggefährten sagen, er auch.

    Bis zu seiner Familiengründung war Aiwanger nicht als Charmeur aufgefallen, der ein besonderes Händchen für Frauen hat – eher im Gegenteil als ein niederbayerischer Bauernbursch, der gegenüber der Damenwelt auch mal mit harter Hand zu Werke geht. Wesentlich zu diesem Image beigetragen hatte eine Episode im Jahr 2009, über die im Landtag heute noch gelacht wird.

    Aiwanger hatte es zwar bei der Wahl 2008 in den Landtag geschafft, aber nicht in die Regierung. Der damalige Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer hatte es vorgezogen, mit der FDP eine Regierungskoalition zu bilden. Dennoch fiel die Begrüßung zwischen Seehofer und Aiwanger beim Neujahrsempfang in der Münchner Residenz ungewöhnlich herzlich aus – so herzlich, dass die langjährige SPD-Abgeordnete Johanna Werner-Muggendorfer ihren niederbayerischen Oppositionskollegen hinterher kräftig auf die Schippe nahm: „Ja Hubert, schämst’ dich nicht, dich von dem so drücken zu lassen?“

    Die unbeschwerte Zeit in der Opposition ist vorbei

    Aiwanger sagte nicht viel, sondern packte zu, hob seine alte Bekannte mit beiden Armen hoch und ließ sie in der Luft zappeln. Das schmerzhafte Ergebnis: eine angebrochene Rippe. Als das Malheur öffentlich wurde, sah sich Aiwanger zu einer Erklärung veranlasst: „Ich hab gesagt, ich schenk ihr als Schmerzensgeld eine Flasche Bärwurz und ich reib’ sie auch selber ein.“ Werner-Muggendorfer lehnte dankend ab. Die offizielle Versöhnung gab’s dann einige Monate später: Aiwanger, von Beruf Landwirt und Schweinezüchter, stiftete für das Sommerfest der SPD-Landtagsfraktion eine Sau für den Grill und kam auch persönlich vorbei.

    Diese unbeschwerte Zeit in der Opposition ist passé. Zehn Jahre lang konnte Aiwanger im Landtag nach Herzenslust in freier Rede gegen die CSU-Staatsregierung wettern, ehe er im Jahr 2018 sein Ziel erreichte, mit eben dieser CSU eine Koalitionsregierung zu bilden. Aus Söder, den er im Wahlkampf wegen dessen Leidenschaft für die Raumfahrt noch zum Mond schießen wollte, war über Nacht sein Partner, „der Markus“, geworden. Sein Wunschressort, das Innenministerium, blieb Aiwanger zwar verwehrt, aber er wurde Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident.

    Die Kehrseite seines Erfolgs bekam er allerdings auch gleich zu spüren. Als er bei seiner ersten Pressekonferenz als Minister lang und breit über die Rettung von Landgasthäusern und den Nutzen der Energiepflanze „Durchwachsene Silphie“ für Bayerns Bauern parlierte, hatte er bei den Journalisten seinen Spitznamen „Dorfwirtschaftsminister“ weg. Und die „Altneihauser Feierwehrkapell’n“ begrüßte ihn bei der „Fastnacht in Franken“ als „Staatsminister Bauernschlau für Opflsoft und Trossenbau. Kauderwelsch und Rumgeeier“.

    Wird er – wieder einmal – unterschätzt? Aiwangers Amtszeit als Wirtschaftsminister lässt sich in mehrere Abschnitte teilen. Als von Corona noch keine Rede war, galt er mit seinen Freien Wählern aus Sicht der CSU als idealer Partner. Vorteil Nummer 1: Die CSU kann in der Bundespolitik weiterhin so tun, als würde sie Bayern immer noch alleine regieren. Sie muss sich von keiner Bundespartei reinreden lassen. Vorteil Nummer 2: Es gibt in der Landespolitik kaum unüberwindbare Streitthemen, weil die Freien im Kern genauso bürgerlich-konservativ sind wie die CSU. Vorteil Nummer 3: Als „konservative Protestpartei“ bieten sich die Freien jenen Wählern als Alternative an, die sich von der CSU abgewendet haben.

    Aiwanger ist so etwas wie der Rebell in der Staatsregierung

    Der einzige Unterschied zur Alleinregierung: Früher hatte die CSU die Rebellen noch in den eigenen Reihen. Seit November 2018 übernimmt Aiwanger diese Rolle – immer ein bisserl forscher als andere, immer ein bisserl unkalkulierbar, manchmal irritierend rustikal und manchmal Opposition und Regierung in einer Person.

    Markus Söder allerdings weiß, was er an ihm hat. Dass die Bauernproteste gegen die Annahme des Bienen-Volksbegehrens durch die Staatsregierung vergangenes Jahr letztlich politisch beherrschbar blieben, hatte die CSU dem Umstand zu verdanken, dass Aiwanger am Kabinettstisch saß. „Wäre der noch in der Opposition gewesen“, so heißt es im CSU-Vorstand, „der hätte uns das Land angezündet.“

    Die Großstadt ist Aiwanger fremd. Seine Domäne ist das Land. Bauern und Bürgermeister, Metzger und Bäcker, Wirte und Handwerker – ihnen gehört sein Ohr. Mit Gewerkschaften fremdelt er. Mit Konzernen und der Bankenwelt ebenso. Und auch mit „dem ganzen digitalen Zeug“. Das muss halt irgendwie sein. Aber seine Welt ist es nicht. Wenn sie in der CSU sagen, er solle mehr auf seine Experten im Wirtschaftsministerium hören, sagt Aiwanger, dass Beamte auf Politiker hören sollten und nicht umgekehrt.

    Wer ihn fragt, was denn sein Schlüsselerlebnis gewesen sei, das ihn in die Politik gebracht hat, erhält eine erstaunliche Antwort: die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986. Da hätte es erst geheißen, alles sei nicht so schlimm, und tags darauf, dass man das Gemüse aus dem eigenen Garten nun doch besser nicht essen, sondern wegschmeißen solle. Das habe sein Misstrauen geweckt – nicht unbedingt gegen die Atomkraft, aber gegen die Politik.

    Hubert Aiwanger kümmerte sich persönlich um Masken

    Als das Coronavirus Deutschland und Bayern erreichte, stand Aiwanger im Kabinett mit einem Schlag noch etwas höher im Kurs. Er machte Dampf, wo andere zögerten. Er kümmerte sich persönlich um Masken und Desinfektionsmittel. In der Zeit der ersten Aufregung galt der Begriff „hemdsärmelig“ als Lob. Da war einer, der sich von Dienstwegen, Vorschriften und Bedenken nicht irritieren ließ, sondern einfach handelte.

    Doch das hielt nur wenige Wochen an. Seit sich Aiwanger dafür stark machte, die Corona-Beschränkungen schneller zu lockern, als Söder wollte, kommen in der CSU die ganzen Ressentiments wieder hoch. Jetzt raunen sie im Landtag umso vernehmlicher: Er könne es nicht. Er habe keinerlei Erfahrung mit der Führung einer Verwaltung. Er sei eigensinnig bis hin zum Autismus. Er sei beratungsresistent und verstehe manchmal einfach nicht, dass ihn die freie Rede, die in der Opposition seine Stärke gewesen sei, als Mitglied der Staatsregierung „völlig in den Wald“ führe.

    Wenn es Ärger gibt zwischen Hubert Aiwanger (links) und CSU-Vertretern, biegt das Ministerpräsident Markus Söder in Vier-Augen-Gesprächen wieder hin.
    Wenn es Ärger gibt zwischen Hubert Aiwanger (links) und CSU-Vertretern, biegt das Ministerpräsident Markus Söder in Vier-Augen-Gesprächen wieder hin. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Eine Steilvorlage hat Aiwanger allen, die ihn mit Spott und Häme attackieren, erst vergangene Woche geliefert. Im Wirtschaftsausschuss des Landtags verteidigte er das Verhandlungsergebnis im Streit zwischen Wirten und Versicherungen, das unter seiner Regie zustande gekommen war.

    Die Sache ist kompliziert: Wirte können sich versichern für den Fall, dass ihre Betriebe wegen Hygienemängeln oder Seuchenbefall geschlossen werden müssen. Ob die „Betriebsschließungsversicherung“ auch im Falle einer Pandemie greift, ist rechtlich umstritten. Also hat Aiwanger ausgehandelt, dass Versicherungen einen Teilbetrag erstatten, wenn Wirte mit einer solchen Police im Gegenzug darauf verzichten, ihre möglichen Ansprüche vollständig einzuklagen.

    Und dann war da die Sache mit dem halben Hendl

    Im Wortlaut Aiwangers klang das so: „Die Versicherungen sind auf die Gastrobranche zugegangen und zahlen jetzt schon – also die haben jetzt schon das halbe Hendl bratfertig auf dem Tisch. Alternative wäre gewesen, wenn ich mich zurücklehne, dass ich sag, da läuft das Hendl irgendwo im Garten rum, fang’s dir ein, dann hast du ein ganzes Hendl. Da brauchst du aber einen Rechtsanwalt dazu, und ich garantier dir nicht, dass du das ganze Hendl jemals sehen wirst. Ich garantier dir das halbe Hendl bratfertig am Tisch. Und viele Wirte werden jetzt das halbe Hendl bratfertig am Tisch nehmen, weil sie sagen, das hab ich dann sofort und lauf nicht einem Hendl hinterher, das vielleicht andere Bundesländer ihren Wirten empfehlen.“

    Die Wohlwollenderen unter den Abgeordneten waren sich einig, dass Aiwanger mit dieser Rede mit Edmund Stoibers berühmter Transrapid-Rede („In zehn Minuten ...“) fast schon gleichgezogen habe. Andere sagen, dass man den stolzen Freistaat Bayern nicht mit so einer „Hendl-Logik“ regieren könne und dass das bayerische Wirtschaftsministerium mit so einem Chef „an Stil und Glanz verliert“. Und in der CSU-Fraktion wird gegen Aiwanger sogar noch ein weitaus giftigerer Spruch ins Feld geführt: „Wer nur einen Hammer hat, für den ist jedes Problem ein Nagel.“

    Steckbrief: Das ist Hubert Aiwanger

    Geboren 26. Januar 1971 in Ergoldsbach (Niederbayern)

    Wohnort Rahstorf (Niederbayern)

    Abitur 1990 in Mallersdorf-Pfaffenberg (Niederbayern)

    Studium 1991 bis 1995 an der Fachhochschule Weihenstephan, Abschluss: Agraringenieur

    Freie Wähler Mitglied seit 2001, Landesvorsitzender seit März 2006, Landtagsabgeordneter seit 2008, Vorsitzender der Landtagsfraktion von September 2008 bis November 2018, Bundesvorsitzender seit Februar 2010

    Staatsregierung Minister für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie seit November 2018

    Privates Lebensgefährtin Tanja Schweiger, Landrätin Kreis Regensburg, zwei gemeinsame Kinder

    Aus Sicht von Aiwanger und seinen Mitstreitern in der Landtagsfraktion der Freien Wähler freilich stellt sich die strategische Gefechtslage in der Koalition mit der CSU ganz anders dar. Offener Streit solle möglichst vermieden werden, weil das beiden Partnern in der Regierung schade. Aber es dürfe eben auch nicht so sein, dass die Freien nur als Anhängsel erscheinen und in den Augen der Bürger jedes eigenständige Profil verlieren. Und auch wenn sie es selber mit „dem Hubert“ öfters nicht leicht haben – wenn es mal wieder ernst wird im Ringen mit der CSU, verteidigen die Abgeordneten ihren Frontmann in der Regierung: Es sei halt eine Gratwanderung für Aiwanger, neben dem dominanten Söder weder als „Querulant“ noch als „Ministrant“ zu erscheinen. Seine manchmal seltsamen Redeweisen und eigenwilligen Schlussfolgerungen werden verständnisvoll kommentiert: „Ja mei, so is’ er halt.“

    In der Krise allerdings werden die Worte genauer gewogen. Aiwangers offenkundig zu forsche Versprechen an die Unternehmen: „Soforthilfe heißt: Geld schnell raus“ am 25. März, oder an die Bürger: „Corona-Schnelltests bis Mitte Mai“ am 30. März werden der Regierung insgesamt angelastet, ebenso seine Forderung nach einer kleineren „Ersatz-Wiesn“ fürs abgesagte Oktoberfest.

    Für die CSU hört da der Spaß auf. Sie reagiert arbeitsteilig nach dem Motto „Guter Bulle, böser Bulle“. Finanzminister Albert Füracker und Generalsekretär Markus Blume fiel die Rolle zu, Aiwanger öffentlich zurechtzuweisen. Söder biegt das dann in Vier-Augen-Gesprächen wieder hin. Beide, Söder wie Aiwanger, halten es für ein Markenzeichen ihrer Regierung, dass über den Inhalt dieser Gespräche öffentlich nichts bekannt wird.

    Als von den Wischmopps die Rede ist, wird er sauer

    Umgekehrt gibt es auch für Aiwanger rote Linien. Als ihm diese Woche im Landtag zu Ohren kam, dass in der CSU mächtig gelästert wird, weil er in den ersten Krisentagen angeblich Unmengen an Matratzen, Wischmopps, Desinfektionsmittel und Bettzeug bestellt habe, das nun doch nicht mehr gebraucht werde, reagierte er mit harschen Worten: „Hätte ich Leichensäcke kaufen sollen?“ Niemand habe gewusst, wie schlimm es kommen werde. Er habe dafür gesorgt, dass im Ernstfall Notunterkünfte für einige tausend infizierte Menschen zur Verfügung gestanden hätten. Wer ihm das vorhalte, müsse mit richtig Ärger rechnen.

    Aiwanger ist erkennbar dünnhäutiger geworden – auch wenn er es nicht zugibt. Er sagt sogar von sich, dass ihm das Regieren leichter falle als die Plackerei in der Opposition – schon allein aus praktischen Gründen. Er habe jetzt einen Apparat, und er müsse nicht mehr mitten in der Nacht selbst mit dem Auto heim nach Niederbayern fahren – zur Partnerin und den beiden Buben.

    Lesen Sie dazu auch:

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden