Hubert Mayer eilt in diesen Tagen von einem Gespräch zum nächsten, eine Video-Konferenz jagd die andere. Kriegt man ihn ans Telefon, redet er nicht groß drum herum, verpackt die derzeitige Dramatik in prägnante Sätze. „Die Lage ist nach wie vor sehr angespannt“, sagt Mayer, ärztlicher Koordinator des Regierungsbezirks Schwaben. Die Auslastung der Intensivstationen liege bei 93 Prozent, etwa die Hälfte davon seien Corona-Fälle. „Das ist extrem hoch und lässt uns kaum Spielraum“, sagt Mayer. „Wir leben noch immer von der Hand in den Mund.“
Die Pandemie hat den Freistaat fest im Griff, die Zahl der Corona-Patientinnen und -Patienten auf den bayerischen Intensivstationen steigt seit Wochen – derzeit allerdings nur noch leicht. Das bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) meldete am Dienstag bei der Anzahl der belegten Intensivbetten ein Plus von 0,5 Prozent im Vergleich zur Vorwoche, bei den Infektionszahlen scheint ein Plateau erreicht zu sein. Von Entspannung oder gar Entwarnung will aber freilich noch niemand sprechen, auch Mayer nicht. „In Bayern sind nach wie vor rund 1000 Intensivbetten mit Covid-Patienten belegt. Entspannung sieht wirklich anders aus.“
Kliniken in der Corona-Krise: Viele aus dem Personal haben sich mit Corona infiziert
Zu den hohen Patientenzahlen kommt nun noch etwas erschwerend hinzu: Massive Engpässe beim Personal. Der Grund: Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind jetzt, in der der kalten Jahreszeit, erkältet, andere haben sich mit Corona infiziert, sind deshalb krank oder in Quarantäne. „Es gibt derzeit einen nicht unerheblichen Anteil an Pflegekräften, der nicht zur Verfügung steht“, macht Mayer, der auch Geschäftsführer der Kliniken an der Paar im Landkreis Aichach-Friedberg ist, deutlich.
Die Dramatik der aktuellen Lage wird derzeit etwa im Allgäu sichtbar. „Für unser gesamtes Klinikpersonal, besonders jedoch für die am Limit arbeitenden Pflegekräfte ist jeder Tag ein enormer Kraftakt. Wir kommen an den Rand unserer Kapazitäten“, beschreibt Axel Wagner, Vorstandsvorsitzender der Kliniken Ostallgäu-Kaufbeuren, die aktuell extrem angespannte Lage in einem Pressestatement. Mittlerweile würden teilweise auch Verwaltungsangestellte, die eine pflegerische Ausbildung haben, auf den Stationen arbeiten. Um auf die prekäre Lage hinzuweisen, hat das Klinikum Kaufbeuren nun zu einem deutlichen Mittel gegriffen: Das Wort „SOS“ leuchtet derzeit in großen Lettern an der Fassade des Krankenhauses – ein Hilfeschrei.
Krankenhaus in Bobingen hat Hilfe von der Bundeswehr angefordert
Auf der Intensivstation in Kaufbeuren gibt es der Klinik zufolge insgesamt 14 Betten, welche alle belegt seien (Stand Montagnachmittag). „Wir haben seit Wochen kein freies Bett. Wenn eines frei wird, ist es innerhalb von wenigen Stunden wieder belegt“, erklärt Wagner und fügt hinzu: „Alle unsere Patienten auf den Intensivstationen sind ungeimpft und müssen beatmet werden. Die Bilder die man aus dem Fernseher kennt, passieren auch hier vor Ort.“
Auch in der Wertachklinik in Bobingen (Landkreis Augsburg) ist die Situation extrem angespannt. Es gebe immer mehr Personalausfälle, auch, weil Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter positiv getestet würden, heißt es aus dem Krankenhaus. Die Klinikleitung hat deshalb einen Hilferuf abgesetzt, umliegende Einrichtungen wurden gebeten, das Krankenhaus in Bobingen zu unterstützen – was nun auch geschieht. Auch intern wurde agiert, sämtliche Mitarbeitende mit Krankenpflege-Hintergrund wurden angesprochen. Die Klinikleitung hat außerdem Soldaten der Bundeswehr angefordert.
Auf der Intensivstation der Uniklinik Augsburg gibt es noch einen kleinen Puffer
Dass ein Krankenhaus auf die Hilfe von Soldaten setzt, ist nicht ungewöhnlich: Nach Angaben der Bundeswehr sind in 19 bayerischen Krankenhäusern derzeit 341 Soldaten beschäftigt. Am Uniklinikum Augsburg sind 18 Soldaten im Einsatz. Denn auch dort ist die Situation gerade enorm angespannt. „Die Soldaten helfen uns bei vielen Dingen, unterstützen die Stationen und machen auch mal ein Bett“, sagt Susanne Arnold, die Pflegedirektorin der Uniklinik. „Wir bitten auch Kollegen von anderen Stationen, dass sie auf der Intensivstation mithelfen. Am Klinikum Süd haben wir außerdem den Allgemeinpflegebereich reduziert und Betten gesperrt“, fährt sie fort.
Dass die Lage derzeit besonders prekär ist, liege auch am Uniklinikum vor allen an den vielen Krankheitsfällen. „Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben Erkältungen oder wurden positiv auf Corona getestet“, sagt Arnold und ergänzt: „Natürlich gibt es auch immer wieder Kündigungen und die Zahl hat in den vergangenen Monaten wegen der großen Belastung auch zugenommen. Wir haben aber derzeit keine akute Kündigungswelle, das will ich betonen.“
Auf der Intensivstation gebe es noch einen kleinen Puffer. „Aber wir müssen gut jonglieren“, macht Arnold deutlich. „Und wir müssen Patienten regional und überregional verlegen. Ich hoffe, dass nicht der Fall eintritt, dass andere Bundesländer keine Kapazitäten mehr haben. Sollte das so kommen, haben wir Maßnahmen, um die Triage so lange wie möglich hinauszuzögern, etwa das Aufweichen des Versorgungsschlüssels und die kurzfristige Erhöhung der Intensivkapazitäten“, erklärt Arnold.
49 Patienten aus Bayern wurden in andere Bundesländer verlegt
Bisher wurden 49 Patienten und Patientinnen aus Bayern in andere Bundesländer verlegt, und zwar nach Hessen, Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und ins Saarland, wie das bayerische Innenministerium auf Nachfrage unserer Redaktion mitteilt.
Aus Schwaben wurden bisher 19 Menschen verlegt, teils per Flugzeug, teils auf dem Landweg, wie der ärztliche Koordinator Hubert Mayer berichtet. Das sogenannte Kleeblatt-System werde seiner Meinung nach aber bald an seine Grenzen stoßen. „Das wird so kommen, dass das so nicht weitergeht. Denn auch in anderen Bundesländern spitzt sich die Lage zu. Die Welle erreicht nun vor allem die Mitte Deutschlands.“ Mayer rechnet damit, dass es künftig vor allem Verlegungen innerhalb Bayerns geben werde, und zwar aus dem schwerer gebeutelten Süden in den Norden, wo die Lage besser sei. „Unsere Prognosemodelle sagen auch für Nordschwaben einen Patientenrückgang voraus. Wir sind dann nicht mehr so eingeschränkt wie etwa noch vor zehn Tagen. Im Allgäu sieht es leider anders aus. Die werden noch Hilfe brauchen.“