Wer in diesen Tagen und Wochen mit CDU-Mitgliedern über den Vorsitzenden Friedrich Merz spricht, bekommt vor allem zu hören, was der Chef gerade nicht macht. „Der Friedrich hat schon lange keinen mehr rausgehauen“, sagt einer aus der Parteispitze. Ein anderer ist „erleichtert, dass wir uns jetzt um unsere Politik kümmern können“. Ist Merz in den gut zwei Jahren seiner Amtszeit staatsmännischer geworden? Auf diese Frage gibt es nahezu unisono ein erleichtertes „Ja“ zur Antwort. Merz ist nicht nur angekommen in der Partei, es macht ihm auch niemand mehr die Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl streitig. Begeisterung löst das in der CDU zwar nicht aus. Aber derzeit läuft alles auf Merz hinaus. Stolpern kann er nur noch über sich selbst.
Migrantenkinder wurden bei Merz zu „Paschas“, ukrainische Flüchtlinge zu „Sozialtouristen“ – die Erschütterung darüber sitzt tief, nicht nur in der Partei. Im Juli letzten Jahres gab er dem ZDF ein Interview, in dem er eine Kooperation mit der AfD auf kommunaler Ebene nicht ausschloss. Es gilt vielen in der CDU „sicherlich als Tiefpunkt“ in der langen Liste von Ausfällen. Doch aus dem schimpfenden Polit-Rambo ist ein ausgeglichener Spitzenpolitiker geworden. Mangelnde Erfahrung in einem Regierungsamt macht er durch seinen großen Erfahrungsschatz wett. Merz war in Israel, er war in Kiew, in den Vereinigten Staaten und ihre Macher kennt der gut vernetzte Transatlantiker schon lange sehr genau. Er trifft Emmanuel Macron in Paris, parliert frei und ungezwungen mit dem französischen Präsidenten. Journalisten erleben seit einiger Zeit einen zugewandten, in sich ruhenden CDU-Vorsitzenden, der zu allen wichtigen Themen nicht nur wie früher eine Meinung, sondern jetzt auch die passenden Fakten vorträgt.
Die mäßige Beliebtheit von Friedrich Merz hat mit umstrittenen Äußerungen zu tun
Gleichwohl: Mehr als zwei Jahre nach Übernahme des CDU-Vorsitzes ist es Merz „nicht gelungen, die Wählersubstanz der CDU wieder auf das einstmals vorhandene Niveau anzuheben – trotz aller Schwäche der gegenwärtigen Bundesregierung“, wie der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, analysiert. „Dass die CDU unter Führung von Friedrich Merz trotz der großen Schwäche der amtierenden Bundesregierung weniger Wähler als bei der letzten Merkel-Wahl 2017 mobilisieren kann, dürfte zum großen Teil auf die geringe Popularität von Friedrich Merz zurückzuführen sein", meint der Forsa-Chef.
Die mäßige Beliebtheit von Merz in den Umfragen hat mit diesen umstrittenen Äußerungen zu tun, sind sich Parteifreunde einig. Dass er sich für die „Sozialtouristen“ entschuldigte, spielt keine Rolle, später haute er mit seinen abfälligen Bemerkungen über Zahnbehandlungen für Asylbewerber in die gleiche Kerbe. Allen ist klar, dass hinter solchen Äußerungen eine Absicht steckt. Merz pirscht sich an die Wählerschaft heran, die rechts von seiner Partei steht. Doch das allein beunruhigt sein direktes Umfeld nicht. Über die Worte hinaus ist es die Attitüde des ehemaligen Aufsichtsratschefs von Blackrock Deutschland, die sie sorgt.
Mit dem Privatflugzeug zur Lindner-Hochzeit
Auftritte wie seine Anreise mit dem Privatflugzeug zur Hochzeit von FDP-Chef Christian Lindner haben ihm die Kommunikationsstrategen im Konrad-Adenauer-Haus ausgetrieben. Wer Chef einer Volkspartei sein will, sollte nicht mit Statussymbolen protzen. Das Problem: Merz will es nicht sein, wirkt aber oft abgehoben. Der 68-Jährige schaut nicht nur wegen seiner Körpergröße auf andere herab. Wenn er während der Sitzungswochen im Bundestag im dritten Obergeschoss des Reichstagsgebäudes die Fraktionsebene betritt, wirkt er wie jemand, der vom wuseligen Geschehen um sich herum amüsiert ist. Wer als Jurist für die weltweit agierende Anwaltskanzlei Mayer Brown tätig war und milliardenschwere Deals betreut hat, tut sich in der Tat schwer, wenn es im Bundestag darum geht, „Betriebsräte vor mitbestimmungsfeindlichen Arbeitgebern zu schützen“.
Das sollen mal die anderen machen, strahlt Merz aus. Die Basisarbeit im Parlament erledigen CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und Unions-Fraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU). Auf sie kann sich Merz verlassen, Loyalität hat wieder einen Wert bei der CDU/CSU. Das war nicht immer so, ältere Abgeordnete erinnern sich mit einigem Grausen an die Zeiten der Merz-Vorgänger Ralph Brinkhaus und Volker Kauder, als die Fraktion nicht selten den Eindruck eines wild gewordenen Hühnerhaufens hinterließ.
Er hat das CDU-Team im Konrad-Adenauer-Haus umgebaut
Im Konrad-Adenauer-Haus trennte sich Merz von Generalsekretär Mario Czaja und machte Carsten Linnemann zu dessen Nachfolger. Die Personalie erwischte seine Partei kalt, bis in den engeren Zirkel hinein wusste kaum jemand von dem bevorstehenden Wechsel. Zuvor hatte sich Merz nach nur wenigen Wochen Zusammenarbeit von seiner Büro- und Leitungsstabchefin Andrea Verpoorten getrennt, weil die „Erwartungshaltungen nicht passten“. Danach versetzte der Sauerländer seinen Büroleiter Marian Bracht. Kommunikationschefin Kathrin Degmair verließ die CDU-Zentrale ebenfalls nach nur wenigen Wochen. Die einen warfen dem Vorsitzenden daraufhin Missmanagement vor und kritisierten, er habe keine glückliche Hand bei der Personalauswahl. Es gibt aber auch die andere Deutung: Hier hat sich einer die genau auf ihn passende Mannschaft zusammengestellt.
Der Bundestagsabgeordnete Linnemann ist ein gutes Beispiel dafür. Der promovierte Diplom-Volkswirt zeichnete zunächst als Chef der Grundsatzkommission und zuletzt eben als Generalsekretär für die eher konservative Ausrichtung des CDU-Grundsatzprogramms verantwortlich, das auf dem am Montag beginnenden Parteitag verabschiedet werden soll.
Friedrich Merz will die Schmach von damals vergessen machen
Auf dieser dreitägigen Veranstaltung im Hotel Estrel an der Neuköllner Sonnenallee stellt sich Merz zur Wiederwahl. Knapp 95 Prozent der Stimmen holte er vor zwei Jahren. Am Montag wird mit einem ähnlich guten Ergebnis gerechnet und es soll endlich die Schmach vergessen machen, die ihn vor ziemlich genau 17 Jahren zu folgendem Satz bewog: „Ich habe mich nach gründlichem Nachdenken und intensiven Gesprächen entschlossen, bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr für den Deutschen Bundestag zu kandidieren.“
Zwei Jahre vorher, 2005 also, hatte Merz bei der Bundestagswahl sein Direktmandat mit Bravour zurückerobert, doch CDU-Chefin Angela Merkel, die damals kurz vor der Wahl zur Bundeskanzlerin stand, sah für ihn keinen Platz in ihrer Führungsriege. Als zerrüttet galt das Verhältnis zwischen beiden schon, als die CDU-Vorsitzende den sehr beliebten Volljuristen nach der knapp verlorenen Bundestagswahl 2002 vom Fraktionsvorsitz verdrängte. Verziehen hat er ihr das nie und jetzt endlich hat er die Chance, den Thron zu besteigen, den sie ihm in seinen Augen entrissen hat. Doch kann Merz Kanzler?
Markus Söder hat sich wiederholt als Störer des Unions-Friedens erwiesen
In den Gesprächen mit Parteimitgliedern werden vor allem indirekte Gründe dafür genannt, warum Merz Spitzenkandidat werden soll. Einer davon: „Hauptsache, es wird nicht Markus Söder.“ Es gibt in der CDU einen schon fast fühlbaren Widerwillen gegen den bayerischen Ministerpräsidenten, das hat viel mit den Vorgängen bei der letzten Bundestagswahl zu tun. Armin Laschet setzte sich damals gegen Merz und andere Konkurrenten als Kanzlerkandidat durch, als er dann wackelte, brachte Söder sich ins Spiel.
Markus Söder hat sich, so verstehen es die Christdemokraten, wiederholt als Störer des Unions-Friedens erwiesen. Der bayerische Ministerpräsident betont zwar immer, sein Platz sei im Freistaat, doch das glaubt ihm in der Hauptstadt niemand. Allerdings kann er nur Spitzenkandidat werden, wenn die CDU verzichtet, so wie es 1980 bei Franz Josef Strauß und Helmut Kohl sowie 2002 bei Edmund Stoiber und Angela Merkel der Fall war. Sollte Söder auf jüngere Spitzenkandidaten als den am 11. November 1955 in Brilon (Sauerland) geborenen Merz schielen, kann er lange warten. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst mag eine Zeit lang „mit dem Amt kokettiert haben“, wie es ein CDU-Parteifreund ausdrückt. So richtig vorangetrieben hat er die Sache aber nie. Wüst wird im Juli 49 Jahre alt, er hat noch viel Zeit, um in der Bundespolitik zu reüssieren. Wenn er es denn überhaupt will. Ähnliches gilt für seinen schleswig-holsteinischen Amtskollegen und Parteifreund Daniel Günther.
Als Bundeskanzler wäre Friedrich Merz 70
Sollte Merz am Montag auf dem Parteitag ein gutes Ergebnis bekommen, festigt das seinen Anspruch. Danach kommt zunächst nichts, was ihn von der Kandidatur abbringen könnte. Die Europawahl dürfte für die CDU nicht brillant, aber stabil laufen. Bei den Landtagswahlen im Osten wird die Partei, Umfragestand heute, ihre Ergebnisse der letzten Wahl vor fünf Jahren wohl halten können. Was sein Alter angeht, sagte Merz – der bei seiner Vereidigung zum Kanzler 70 wäre – kürzlich dem Magazin Stern: „Ich fühle mich fit, und mein Alter kann ich nicht ändern.“
Allerdings sind die 16 Monate bis zur regulären Bundestagswahl noch eine lange Strecke, auf der die CDU ihres Vorsitzenden womöglich doch müde werden könnte. Die Begeisterung der Partei gilt der Sache, nicht dem Kandidaten – galt sie nie. Merz brauchte bekanntlich drei Anläufe, um Vorsitzender zu werden. Nach vier Jahren in der Opposition will die CDU unbedingt wieder an die Macht, will das Kanzleramt und andere Spitzenposten besetzen. Der Laschet-Effekt könnte diese Träume durchkreuzen: Wird Merz beim Volk nicht beliebter, summiert sich die Zahl derer, die wie damals bei dem in Ungnade gefallenen Armin Laschet zwar die CDU, nicht aber deren Spitzenkandidaten wählen wollen. In der Parteizentrale und den Landesverbänden wird das regelmäßig durchgerechnet. Sollte der Machtwechsel in Gefahr geraten, weil Merz stagniert, müsste er einem anderen weichen und seine Ambitionen begraben. Es wäre dann für immer.