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Bodensee: Ein Museum für Speisekarten zeigt Menüs, die die Welt bedeuten

Bodensee

Ein Museum für Speisekarten zeigt Menüs, die die Welt bedeuten

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    Manfred Bertele in seinem Museum. „Speisekarten sind ein echtes Kulturgut der Menschheit", sagt er.
    Manfred Bertele in seinem Museum. „Speisekarten sind ein echtes Kulturgut der Menschheit", sagt er. Foto: Erich Nyffenegger

    Was haben eigentlich Ronald Reagan und Michail Gorbatschow am Abend des 31. Juli 1991 in Moskau gegessen, als sie bei ihrem Abrüstungsgipfel ein historisches Abkommen unterzeichneten? Welche Leckerbissen ließen sich Prinz Charles und Lady Diana bei ihrem Kanada-Besuch schmecken? Was hat sich Papst Johannes Paul II. 1979 da über den Wolken bei seinem USA-Besuch für ein enormes Menü im Flugzeug einverleibt? Und wie teuer war in einem Restaurant am Bodensee am 10. August 1941 das Mittagsmenü mit „Königinsuppe, Rehkeule, Rotkraut, Kartoffeln inklusive 50 Gramm Fleisch und 20 Gramm Fett“? Antworten auf diese Fragen hat Manfred Bertele – als Koch und Hotelmanager Weltenbummler von Berufs wegen – in über 60 Jahren zusammengetragen. Und zwar in Form von Speisekarten als Dokumente der Zeitgeschichte. Oder wie Bertele es ausdrückt: „Speisekarten sind ein echtes Kulturgut der Menschheit.“

    Dieser Manfred Bertele – aufrechter Gang, weißes Haar um einen lichter werdenden Kopf und ausgeprägte Augenbrauen – hat's mit den Zahlen: 22-mal sei er umgezogen in seinem Leben, bevor er in seinen Heimatort Eriskirch am Bodensee zurückgekehrt sei. Weit über 2000 Speisekarten hat er in 60 Jahren gesammelt, wovon sich mehrere 100 im Museum befinden, nicht zu vergessen 700 Kochbücher. Wenn man aufschreiben möchte, hinter welchen Herden der heute 84-Jährige schon gestanden hat, reicht ein Notizzettel nicht, man nimmt besser gleich einen Atlas. Bis auf Südafrika – „da war ich nie“ – hat Bertele die Welt einigermaßen komplett durch. Wenn nicht stationär für längere Zeit – wie zum Beispiel Berlin, Trinidad, New York, Montreal oder Athen – dann für kürzere Zeiten, sozusagen ambulant.

    Konrad Adenauer aß Kalbsmedaillons vom Grill mit Erbsle

    Die Ausstellung in Eriskirch folgt keiner strengen Chronologie. Die Sammlung beinhaltet einerseits historische Speisekarten, die im Umfeld gravierender Ereignisse bei speziellen Menüs zum Einsatz kamen – etwa an Adelshöfen oder im Rahmen politisch, kirchlich oder sportlich bedeutender Ereignisse, etwa der Olympischen Spiele 1972 in München. Darüber hinaus gibt es eine regionale Abteilung mit Speisekarten aus Restaurants am Bodensee. Und schließlich eine kleine Galerie mit Widmungen berühmter Köche, denen Bertele persönlich verbunden war oder ist, zu nennen wären da die Jahrhundertköche Eckart Witzigmann und Paul Bocuse. Darüber hinaus erklären Tafeln Ursprung und Bedeutung von Speisekarten.

    Das Menü, das Ronald Reagan und Michail Gorbatschow aßen, als sie bei ihrem Abrüstungsgipfel ein historisches Abkommen unterzeichneten.
    Das Menü, das Ronald Reagan und Michail Gorbatschow aßen, als sie bei ihrem Abrüstungsgipfel ein historisches Abkommen unterzeichneten. Foto: Erich Nyffenegger

    Glück hat, wer das Privileg genießt, von Manfred Bertele persönlich durch die Ausstellung geführt zu werden, die immer samstags von 14 bis 17 Uhr Besucher empfängt, übrigens bei freiem Eintritt. Denn für Bertele ist jedes Menü – übrigens fast ausschließlich Originale – ein Erinnerungsstück auf seiner persönlichen Lebensreise durch die Küchen, Kreuzfahrtschiffe, Fluglinien und Hotels der Welt. Sein Weg begann in einem Hotel in Ravensburg, wo er seine Kochlehre absolvierte. Das Hotel Hildenbrand gibt es zwar längst nicht mehr, aber Bertele hat noch die von Konrad Adenauer signierte

    Die Speisekarten sind Dokumente der Zeitgeschichte

    Dass die Speisekarten Dokumente der Zeitgeschichte sind, zeigt sich nicht nur bei Menüs historischer Gipfeltreffen. Angekommen bei den eingerahmten Speisekarten aus den Restaurants des World Trade Centers, das bei den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zerstört wurde, tritt kurz Stille ein bei Manfred Bertele. „Das benachbarte Hotel, das zu Hilton gehörte, konnte rechtzeitig evakuiert werden. Alle Mitarbeiter sind unverletzt geblieben“, sagt er mit leiser Stimme. Es gibt viele Speisekarten in der Ausstellung, die ein eigentümliches Gefühl auslösen, weil der Anlass ihres Zustandekommens von der Weltgeschichte inzwischen hinweggefegt worden ist. Zum Beispiel die Abkommen zur atomaren Abrüstung, unterzeichnet von Gorbatschow und Reagan, die mittlerweile Makulatur sind.

    Einen großen Fehler hat das Museum allerdings: Wer sich durch die Menüs liest, den überkommt ein beträchtlicher Appetit. Ein Jammer, dass es weder ein Museums-Café noch ein -Restaurant gibt. Es wäre interessant gewesen zu sehen, was Manfred Bertele sich selbst heute auf die Speisekarte geschrieben hätte.

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