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Übergriffe, Beschimpfungen: Das erleben Rettungskräfte im Einsatz

Lesetipp

"Beleidigungen zähle ich gar nicht mehr": Das erleben Rettungskräfte im Einsatz

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    Raphael Doderer, Martin Koller, Birgit Baier und Friedhelm Bechtel (von links) sind als Rettungskräfte im Einsatz. Aggressionen kennen sie alle.
    Raphael Doderer, Martin Koller, Birgit Baier und Friedhelm Bechtel (von links) sind als Rettungskräfte im Einsatz. Aggressionen kennen sie alle. Foto: Karl Aumiller, Barbara Wild, Janina Bechtel, Bernhard Weizenegger

    Menschen werfen Böller auf Polizisten, schießen mit Raketen auf Feuerwehrleute und schmeißen Steine auf Sanitäter. Szenen wie diese passierten in der Silvesternacht in mehreren deutschen Städten. Das löste nicht nur politische Debatten über dem Umgang mit Einsatzkräften aus. Es wühlt auch jene auf, die selbst im Einsatz sind. Zwei Feuerwehrmänner, eine Notärztin und ein Rettungssanitäter aus der Region erzählen, was die Bilder mit ihnen machen. Und berichten davon, dass auch sie schon angegriffen wurden. 

    Martin Koller ist seit 13 Jahren bei der Freiwilligen Feuerwehr.
    Martin Koller ist seit 13 Jahren bei der Freiwilligen Feuerwehr. Foto: Karl Aumiller

    Martin Koller, Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Lauingen

    Ich bin seit 13 Jahren bei der Freiwilligen Feuerwehr und habe das Gefühl, dass das Verständnis für unsere Arbeit deutlich abgenommen hat. Vor allem bei freiwilligen Absperrdiensten wie beim Maibaumaufstellen erleben wir vermehrt Widerstände. Einige wollen nicht akzeptieren, dass die Straße aktuell gesperrt ist und drohen sogar körperliche Gewalt an. Immer wieder umfahren Menschen die Absperrungen, einem Kollegen wurde sogar über den Fuß gefahren.

    Auf kurz oder lang muss man also überlegen, ob solche Veranstaltungen weiter stattfinden können oder bezahltes Sicherheitspersonal engagiert werden muss, wenn sich das verständlicherweise freiwillig keiner mehr antun will. Niemand will sich um 9 Uhr vormittags an die Straße stellen und eine Veranstaltung absichern, wenn man die ganze Zeit nur dumm angeredet wird. Von den Veranstaltern hingegen wird unsere Arbeit gewürdigt, da gibt es als Dank schon noch eine Brotzeit und ein Getränk. Das ist das Schöne hier in den ländlicheren Gebieten.

    Leitende Notärztin Dr. Birgit Baier aus Donauwörth im Einsatz.
    Leitende Notärztin Dr. Birgit Baier aus Donauwörth im Einsatz. Foto: Barbara Wild

    Birgit Baier, Notärztin im Donau-Ries

    Gerade eben erst habe ich ein Video aus der Silvesternacht gesehen: Ein Pulk von Menschen wirft Steine auf einen Rettungswagen. Der Sanitäter sitzt noch drin. Solche Bilder lösen in mir eine unglaubliche Wut aus. Wir kommen, um zu helfen, und werden dann in die Opferrolle gedrängt. In dem Moment ist niemand da, der uns hilft. Bis die Polizei kommt, dauert das fünf bis zehn Minuten. So lange ist man mit der Situation alleine. Und das passiert nicht nur in Berlin. Bei der Mess in Nördlingen wurde die Tür eines Notarztfahrzeuges eingetreten. In Rain haben Menschen Dellen in unser Auto geschlagen. Wir haben es erlebt, dass Leute mit Messern auf uns losgehen. Ich wurde im vergangenen Jahr mindestens zweimal bespuckt und die Beleidigungen zähle ich schon gar nicht mehr. Ich habe schon Bammel vor dem Nachtumzug in Bäumenheim, weil ich weiß, dass es zu Exzessen kommt. 

    Wir werden blockiert und angegrölt. Das ist die Mischung aus Alkohol, einer Gruppendynamik und der Nacht. Das macht die Leute hemmungsloser. Es sind selten Einzelpersonen, die aggressiv werden. Immer Gruppen – und meist von jungen Männern zwischen 17 und 30 Jahren. Dank meiner Krav-Maga-Ausbildung (eine Kampfsportart, Anm. d. Red) habe ich gelernt, solche Situationen besser einzuschätzen. Das gibt mir Sicherheit, weil ich weiß, dass ich mich wehren kann.

    Es gibt noch einen Unterschied zwischen dem Land und der Stadt. Auf dem Land kennt man sich, die soziale Kontrolle und das Zusammengehörigkeitsgefühl sind höher. Aber auch hier passieren solche Dinge.

    Warum ich das noch mache? Weil die meisten Einsätze gut verlaufen. Die Angehörigen freuen sich, wenn wir kommen. Die Patienten sind dankbar und ich kann Leben retten. Das ist eine Erfüllung. Aber sobald Alkohol im Spiel ist, wird es kritisch.

    Friedhelm Bechtel ist Kreisbrandrat im Augsburger Land.
    Friedhelm Bechtel ist Kreisbrandrat im Augsburger Land. Foto: Janina Bechtel

    Friedhelm Bechtel, Berufsfeuerwehr Augsburg

    Wir leben in Augsburg auf einer Insel der Glückseligkeit. Anfeindungen wie in Berlin oder Hamburg gibt es bei uns ganz selten. Die letzten größeren Fälle in

    Nur wenn Alkohol im Spiel ist, merkt man das. An Silvester vor ein paar Jahren war ich im Einsatz: Da wurden wir erst weggeschubst, dann aber sogar umarmt und schlussendlich geküsst, obwohl wir eigentlich nur unsere Arbeit machen wollten. Da fielen nach einem Brand auch Sätze wie: "Du stinkst nach Brandrauch, wasch´ dich mal". Aber das passiert meist nur, wenn Alkohol im Spiel ist und die Hemmungen fallen. Da lassen wir uns auch nicht provozieren. Ein Angriff wie in der Silvesternacht in Oberhausen auf unsere Feuerwehrautos war in dieser Weise für uns neu, aber meiner Meinung nach eine absolute Ausnahme.

    Rettungssanitäter Raphael Doderer.
    Rettungssanitäter Raphael Doderer. Foto: Bernhard Weizenegger

    Raphael Doderer, Rettungssanitäter bei den Johannitern in der Stadt Augsburg

    Die Bilder der Silvesternacht verstören und verärgern mich und sie rufen bei mir Erinnerungen an die Krawallnacht in Augsburg wach. Damals war ich mitten im Geschehen auf der Maxstraße und wurde mit Gegenständen beworfen. Ich bin seit 20 Jahren ehrenamtlich im Rettungsdienst, nach der Krawallnacht habe ich entschieden, dass ich keine Nachtschichten mehr fahren möchte. Zwar erleben wir auch in den Tagschichten Aggressionen, aber ich merke, die Dienste sind besser für mein Seelenheil. Wenn ich jetzt die Angriffe auf Einsatzkräfte sehe, frage ich mich: Wie lange mach’ ich das noch?

    Beleidigungen gehören fast schon zum Alltag, und auch Übergriffe kommen häufiger vor: Sei es von Patienten, die unter Alkoholeinfluss oder Drogen stehen, von Angehörigen, die sich beschweren, dass wir zu langsam sind, oder von Passanten, die sich aufregen, weil ein Rettungswagen ihren Weg blockiert. Die Leute denken zuerst an sich und vergessen, dass wir gerade ein Leben retten.

    Es verstört mich, dass so gegen Helferinnen und Helfer vorgegangen wird. Das ist nicht nur ein Problem an Silvester. Es ist ein ganzjähriges Problem. In der Stadt genau wie auf dem Land. Ich musste erst neulich den Rettungswagen über einen Notfallknopf verriegeln, weil jemand versucht hat, hineinzukommen. Etwas ist mir in der Debatte ganz wichtig: Das Problem hat nichts mit Migration zu tun. Es ist eine Milieu-Frage, wie sich Menschen gegenüber Einsatzkräften verhalten. Ich überlege mir schon, warum ich das eigentlich mache. Vielleicht ist es ein gewisses Maß an Altruismus, das ich in mir habe.

    Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast mit einem Feuerwehrmann aus der Reihe "Augsburg, meine Stadt" an:

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