Herr Schäffer, wie war das Jahr 2023 aus Sicht des Naturschutzes?
Norbert Schäffer: Ich bin jetzt seit zehn Jahren LBV-Vorsitzender und 2023 war für mich – obwohl es dem LBV als Verband sehr gut geht – eines der schlechtesten Jahre, was den Natur- und den Artenschutz in Bayern angeht. Wir hatten 2019 diesen großen Schub durch das Volksbegehren "Rettet die Bienen". Da haben wir einiges erreicht, aber die Maschine ist ins Stottern gekommen. Schauen Sie zurück auf den Landtagswahlkampf – da hat der Naturschutz eigentlich überhaupt keine Rolle mehr gespielt. Und damit wird man einer der großen Krisen unserer Zeit, dem Zusammenbruch der biologischen Vielfalt, nicht gerecht.
Sie haben eben die Landtagswahl angesprochen. Seit Oktober gibt es eine neue Staatsregierung. Wie bewerten Sie den Koalitionsvertrag? Kritiker sprechen von einem massiven Rückschritt für den Naturschutz.
Schäffer: Es sind einige Punkte drin, die uns freuen. Etwa der Streuobst-Pakt, der weiter umgesetzt werden soll. Im Koalitionsvertrag steht dann aber auch einiges, wo etwas nur mit Freiwilligkeit erreicht werden soll, oft werden alte Ziele auch nur kopiert, etwa die Reduktion des Flächenverbrauchs. Und man muss auch festhalten: Es geht nicht nur um das, was im Koalitionsvertrag drinsteht, sondern eben auch um das, was nicht erwähnt wird. Zum Beispiel vermissen wir ein klares Bekenntnis zum Biotopverbund.
Was sagen Sie zur Regierungserklärung von Markus Söder? Man hatte nicht den Eindruck, dass die Themen Umwelt und Natur bei ihm ganz weit vorne stehen...
Schäffer: Er hat in seiner Regierungserklärung wieder das Übliche gesagt, etwa, dass Bayern kein Land für Raubtiere sei. Solche Aussagen nützen uns nichts. Wir haben es beim Fischotter gesehen, da ist eine völlig untaugliche Verordnung vorgelegt worden, die dann natürlich von den Richtern kassiert wurde. Generell muss man leider sagen, dass in der Regierungserklärung wenig bis nichts zum Naturschutz drin war, und das gerade in einer Zeit, in der die biologische Vielfalt da draußen zusammenbricht. Dabei bräuchten die Menschen gerade jetzt noch mehr die Natur als Quelle des Wohlfühlens. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sagen uns immer wieder, dass Naturbegegnungen den Menschen in vielerlei Hinsicht guttun. Und das brauchen wir in Zeiten, wo man von einer Krise zur anderen geht.
Droht das Thema Naturschutz angesichts dieser vielen Krisen – etwa die Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine – ins Hintertreffen zu geraten?
Schäffer: Das glaube ich tatsächlich. Ein Krieg ist natürlich dramatisch und er zieht verständlicherweise die Aufmerksamkeit auf sich. Ich selbst war viele Jahre im internationalen Naturschutz, habe viel in der Ukraine gearbeitet und ich bekomme nach wie vor Nachrichten von Kolleginnen und Kollegen aus dem Luftschutzbunker. Dass die öffentliche Aufmerksamkeit davon ein Stück weit belegt wird, ist nachvollziehbar. Was mich aber ärgert ist, dass versucht wurde, diese Krisen ein Stück weit zu instrumentalisieren. Etwa beim Thema Lebensmittelproduktion. Es wurde erklärt, dass wir nun selbst vermehrt Lebensmittel produzieren müssten und deswegen keinen Platz mehr für Naturschutz hätten. Das ist so natürlich nicht richtig und ich finde es auch unanständig, einen Krieg so zu instrumentalisieren.
Die Krisen werden also gegeneinander ausgespielt?
Schäffer: Ja. Und leider ist das unvermeidbar. Manche Medien spielen da auch eine ungute Rolle. Man hat oft das Gefühl, dass immer nur eine Krise das aktuelle Geschehen dominiert. Erst war es Corona, dann der Krieg in der Ukraine, jetzt der Überfall der Hamas auf Israel. Man geht einfach von einer Krise zur anderen. Und diejenigen, die noch nie etwas für den Naturschutz übrig hatten, nutzen die Situation, um ihn noch weiter zurückzudrängen.
Wie kann es denn gelingen, die Menschen in solchen Krisenzeiten mehr für den Naturschutz zu sensibilisieren?
Schäffer: Wir dürfen nicht darum konkurrieren, wer die dramatischeren Meldungen hat. Unser Weg ist ein anderer: Wir weisen beim Artenschutz immer wieder darauf hin, dass er den Menschen guttut, dass Natur glücklich macht. Eine Amsel, die im Frühling auf dem Hausdach sitzt und singt, ist einfach etwas Schönes. Wir müssen die Menschen dafür begeistern.
Diese Begeisterung, die Sie wecken wollen, wird aber aktuell oft von Betroffenheit überschattet. Womit hat denn der Naturschutz in Bayern derzeit vor allem zu kämpfen?
Schäffer: Nach wie vor haben wir einen immensen Druck auf unsere Fläche, damit meine ich den Flächenverbrauch für Gewerbegebiete, Wohngebiete, Infrastruktur. Das ist das eine. Das andere: Die Flächen, die wir noch haben, werden so intensiv genutzt, dass die Natur kaum mehr Rückzugsmöglichkeiten hat. Das gilt vor allem in der Agrarlandschaft. Der LBV ist nicht gegen die konventionelle Landwirtschaft, wir wollen 30 Prozent Bio-Landwirtschaft bis 2030, der Rest kann konventionell bleiben. Aber wir brauchen auf diesen Flächen dann Rückzugsräume für die Natur, wir brauchen Feldränder und Gewässerrandstreifen. Die intensive Agrarlandschaft ist für uns einfach die größte Belastung für die Natur.
Wie optimistisch blicken Sie denn in die Zukunft? Am Anfang unseres Gesprächs haben Sie ja schon gesagt, dass viele wichtige Punkte nicht im Koalitionsvertrag stehen...
Schäffer: Im nächsten Jahr jährt sich das Volksbegehren "Rettet die Bienen" zum fünften Mal. Und in diesen fünf Jahren haben wir einiges erreicht – leider kam jetzt vieles zum Stillstand. Wenn es dabei bleibt, dann sehe ich schwarz. Ich weiß aber, dass wir erfolgreich sein können. Ein Beispiel: Obwohl wir in den letzten 40 Jahren in Bayern fast 99 Prozent der Rebhühner verloren haben, ist es uns innerhalb von drei Jahren gelungen, in einem Projekt in Oberfranken den Bestand zu vervierfachen. Nicht in Schutzgebieten, sondern in der konventionellen Agrarlandschaft. Es geht also. Wir wissen, was wir tun müssen. Aber wir brauchen die politische und gesellschaftliche Unterstützung.
Zur Person: Norbert Schäffer ist Biologe und der Vorsitzende des Landesbundes für Vogel- und Naturschutz (LBV) in Bayern, dem ältesten Naturschutzverband des Freistaats.