Schultüte, Ranzen, Lehrkräftemangel: Seit einigen Jahren fassen diese drei Wörter in Bayern treffend den ersten Schultag zusammen. Wenn am Dienstag der Unterricht beginnt, werden nicht alle Lehrerstellen mit ausgebildeten Kräften besetzt sein, die Personalnot bleibt vor allem an Mittelschulen groß. Die FDP im Landtag fürchtet, dass der Schulstart dieses Jahr besonders dramatisch werden könnte. Matthias Fischbach, deren bildungspolitischer Sprecher, wirft Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) "Taschenspielertricks" vor, um das Ausmaß des Mangels zu verschleiern.
Er hat interne Planungsschreiben aus dem Kultusministerium ausgewertet. In einer Nachricht von Mitte Juli an die Bezirksregierungen geht es um die Klassenbildung an Grund- und Mittelschulen und um die dafür nötige Zuteilung der Lehrkräfte. Anders als in den vergangenen Jahren weist das Kultusministerium dafür zwei verschiedene Budgets aus: das verpflichtende "Unterrichtsbudget", das ab dem ersten Schultag sichergestellt sein muss, und ein sogenanntes "flexibles Budget". Bei diesem flexiblen Budget handelt es sich um Stunden, die die Schulen "im Laufe des Schuljahres und im Rahmen der Möglichkeiten" aufstocken können – etwa zur Einrichtung von Deutschklassen für Geflüchtete oder zur individuellen Förderung einzelner Schüler in bestimmten Fächern.
Kultusministerium weist Vorwürfe zum Lehrermangel zurück
FDP-Experte Fischbach spricht von einer "bildungspolitischen Bankrotterklärung". Kultusminister Piazolo habe die fehlenden Stunden "auf dem Papier einfach wegdefinieren lassen". Fischbachs Berechnungen zufolge fehlen allein an Grund- und Mittelschulen zum Schulstart über 27.000 Lehrerstunden pro Woche. "Das entspricht rund 1000 unbesetzten Vollzeitstellen", sagt der Politiker. "Während also gerade bundesweit über die Bedeutung von Deutschklassen und Sprachförderung diskutiert wird, kürzt die Staatsregierung von CSU und Freien Wählern genau hier still und leise."
Das Kultusministerium weist die Vorwürfe zurück. "Die Personalplanung im Bereich Grund- und Mittelschule verläuft nicht anders als in anderen Jahren", teilt eine Sprecherin mit. Man habe lediglich für einzelne Planungsbereiche neue Bezeichnungen eingeführt. Hierzu zähle die Unterteilung in Unterrichtsbudget und flexibles Budget. Diese Konkretisierung "erleichtert es, im Rahmen der Personalplanung bedarfs- und sachgerechte Priorisierungen vorzunehmen". Das flexible Budget komme etwa bei Erkrankungswellen im Spätherbst und Winter, Personalausfall infolge von Schwangerschaften oder auch bei einer möglichen erneuten Flüchtlingswelle aus der Ukraine zum Einsatz. Piazolos Sprecherin betont: "Das Unterrichtsbudget umfasst circa 98 Prozent des Gesamtbudgets; das flexible Budget lediglich etwa zwei Prozent."
Aber wer hat nun recht, die FDP oder das Kultusministerium? Einer Antwort auf diese Frage kann man sich nur annähern. Unsere Redaktion hat dafür bei mehreren Schulämtern nachgefragt. Fakt ist, dass in Bayern fertig ausgebildete Lehrkräfte fehlen. Wie viele, dazu gibt es keine offiziellen bayernweiten Berechnungen. Allerdings bleiben viele dieser Lücken im Stundenplan nicht leer. Die Schulämter in den Städten und Landkreisen suchen seit Monaten nach Aushilfskräften, schlossen viele Zeitverträge ab. Studierende und Quereinsteiger stopfen viele Löcher im Personalplan, aber längst nicht alle. Fakt ist auch, dass selbst der Pflichtunterricht im kommenden Schuljahr zum Teil von solchen Drittkräften übernommen wird. Heißt: Das verpflichtende Unterrichtsangebot mag zwar vielerorts am ersten Schultag gesichert sein, allerdings halten es nicht überall auch fachlich hoch qualifizierte Lehrkräfte.
In einer Sache sind sich die FDP und die von unserer Redaktion kontaktierten Schulamtsleitungen einig: Dass das Kultusministerium schriftlich zwei Budgets ausweist, mit konkreten Vorgaben, was zum ersten Schultag gelehrt werden muss und was nicht, ist neu. Damit räumt die Behörde den großen Lehrkräftemangel ein. Allerdings hatten Schulämter auch früher schon die Erlaubnis, bei fehlendem Personal Angebote zu streichen – und werden das, wenn nötig, auch im kommenden Schuljahr wieder tun. Was wegfällt, wird meist vor Ort entschieden. Hier entfällt eine Wochenstunde Sport für Grundschulkinder, dort werden kleinere Klassen zu einer großen zusammengelegt, anderswo werden Integrationsangebote und Förderstunden für Kinder ausgesetzt, die beim Lernen etwas mehr Hilfe brauchen. Man könnte es so zusammenfassen: Man kann die Anweisung aus dem Ministerium als Eingeständnis des Lehrkräftemangels sehen – und gleichzeitig als Hilfestellung für die Schulämter, aus der Notsituation das Beste zu machen.
In dieser großen Aufgabe ist auch der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband erprobt. Dort ist man nicht ganz so pessimistisch wie in der FDP, geht sogar davon aus, dass das kommende Schuljahr bei der Erfüllung des Stundenplans besser laufen wird als das alte. Allerdings unterscheide sich die Lage an Grund- und Mittelschulen je nach Ort extrem. "An der einen Schule sind nur ausgebildete Lehrkräfte am Start, anderswo sind ganz viele keine studierten Lehrer", bemängelt Präsidentin Simone Fleischmann. "Deshalb können wir uns auch nicht mehr die Frage nach der Bildungsqualität stellen. Es geht nur darum, irgendwie durchzukommen."