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Bildung: Augsburger Pädagoge: "Einfach allen Schülern ein Tablet zu geben, ist unsinnig"

Bildung

Augsburger Pädagoge: "Einfach allen Schülern ein Tablet zu geben, ist unsinnig"

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    Wie viel Sinn macht es, alle bayerischen Schülerinnen und Schüler mit einem Tablet auszustatten?
    Wie viel Sinn macht es, alle bayerischen Schülerinnen und Schüler mit einem Tablet auszustatten? Foto: Armin Weigel, dpa

    Die Bayerische Staatsregierung will alle Schüler mit Tablets ausstatten. Herr Zierer, Sie sind Professor für Schulpädagogik an der Universität Augsburg und haben in diesem Zusammenhang vor einem "Digitalisierungswahn" gewarnt. Was fürchten Sie?

    Prof. Dr. Klaus Zierer: Ich fürchte politischen Aktionismus und warne vor einem Digitalisierungswahn, weil drei schulpädagogische Aspekte nicht beachtet werden. Als Erstes muss die Nutzung digitaler Medien altersgemäß sein. Einfach allen Schülern ein Tablet zu geben, ist unsinnig.

    Was heißt das, soll es beispielsweise an Grundschulen noch gar keine Tablets geben?

    Zierer: Die Frage beantwortet mein zweiter Aspekt: Digitale Medien müssen auch immer zielgemäß eingesetzt werden. In der Grundschule geht es in erster Linie darum, Lesen, Rechnen und Schreiben zu lernen. Wir wissen aus zahlreichen Studien, dass dies mit analogen Mitteln, also mit Stift, Papier und gedrucktem Buch, wesentlich besser gelingt als mit digitalen Medien. Hier einfach Tablets zu nutzen, weil gerade alle von der Digitalisierung sprechen und sie toll finden, bringt gar nichts. Auf der anderen Seite wissen wir aber auch, dass beispielsweise im Sachunterricht Versuche besser verstanden werden, wenn es dazu ein Video gibt, mit dem der Versuch noch einmal in Zeitlupe verfolgt werden kann. Dann ist der Einsatz zielgemäß.

    Und der dritte Aspekt?

    Zierer: Digitale Medien müssen evidenzbasiert eingesetzt werden, es müssen also die Forschungsergebnisse berücksichtigt werden. Wir wissen beispielsweise aus zahlreichen Studien, dass die häufige Nutzung von Handys und Tablets den Wortschatz der Kinder reduziert. Vor diesem Hintergrund kann man doch Dritt-, Fünft- oder Neuntklässlern nicht einfach nur Tablets in die Hand drücken.

    Der Augsburger Schulpädagogik-Professor Klaus Zierer plädiert für einen sehr bewussten, altersgemäßen und zielorientierten Einsatz von digitalen Medien im Unterricht.
    Der Augsburger Schulpädagogik-Professor Klaus Zierer plädiert für einen sehr bewussten, altersgemäßen und zielorientierten Einsatz von digitalen Medien im Unterricht. Foto: Klaus Zierer

    Auch bleibt ja das Grundproblem: der eklatante Lehrermangel …

    Zierer: Der Lehrermangel ist seit Jahren die dringlichste Problematik an Schulen. Eine naive Digitalisierung verschärft die Situation an Schulen sogar, weil Digitalisierung gefeiert und sogar behauptet wird, damit den Lehrermangel zu lösen und auch gleich den Unterricht moderner zu machen. Dabei ist das mehr Wunsch als Wirklichkeit. Denn gerade Lehrpersonen sind mit keiner Technik zu ersetzen. Erziehung und Unterricht sind im Kern Beziehung und brauchen eine pädagogische Begleitung, die Impulse gibt, die bestärkt, fordert und fördert, damit selbstständiges Arbeiten überhaupt möglich wird. Das funktioniert nur von Mensch zu Mensch. Wir wissen doch auch aus der Zeit der Pandemie, wie viele Kinder völlig überfordert sind, wenn sie ohne pädagogische Begleitung lernen sollen.

    Das Problem ist aber doch auch, dass in vielen Elternhäusern kein reflektierter Umgang mit digitalen Medien stattfindet. Ist der analoge Ansatz nicht weltfremd?

    Zierer: Dem Vorwurf, weltfremd zu sein, setzt man sich immer aus, wenn man aktuelle Entwicklungen kritisch hinterfragt. Ich verteufle digitale Medien ja keineswegs. Was ich an dieser Stelle aber auch sagen muss: Leider sind wir in der Schule von einem reflektierten Umgang mit digitalen Medien weit entfernt. Da gibt es Lehrpersonen, die beispielsweise während des Unterrichts telefonieren, WhatsApp-Nachrichten schreiben oder Computerspiele spielen. In den

    Ein Kampf gegen Windmühlen …

    Zierer: Wir haben in den Schulen oft einen Kampf gegen Windmühlen zu führen, das gehört dazu. Die Digitalisierung ist so eine große gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dass sich Schulen gar nicht wegducken können. Allerdings kann die Schule allein das Problem natürlich nicht lösen. Sie hat aber einen gesamtgesellschaftlichen Bildungsauftrag. Und wir wissen: Schule kann die Gesellschaft verändern. Erinnern wir uns nur an die Umwelterziehung in den 1980er-Jahren. Die Mülltrennung hat in den Schulen begonnen und ein Bewusstsein für Umweltschutz geschaffen, das heute in weiten Teilen der Gesellschaft verankert ist. Doch zu Ihrer Frage nach der Rolle der Eltern zurück: Schulen müssen bei der Digitalisierung selbstverständlich mit den Eltern kooperieren. So müssen beispielsweise in Gesprächsreihen mit Eltern die Fragen diskutiert werden: Was gilt es bei der Handynutzung zu beachten? Wie viel Medienkonsum ist noch zuträglich? Und welche Vorbildrolle haben Eltern?

    Ihr neues Buch heißt "Demokratie in die Köpfe". Die Nutzung sozialer Medien spielt auch beim Demokratiebewusstsein eine Rolle …

    Zierer: Das Interessante bei sozialen Medien ist, dass sie auf den ersten Blick sehr demokratisch wirken: Jeder kann sie nutzen, jeder kann mitreden. Das Problem nun aber ist, dass hier jeder in einer Art Blase verharrt und in seiner Meinung bestärkt wird. Wer anderer Meinung ist, wird ausgegrenzt und auch schnell beleidigt. Demokratie lebt aber von der Meinungsvielfalt, der Diskussion. Umso wichtiger ist es, dass Schulen Orte der Demokratie werden.

    Wie kann das konkret gelingen?

    Zierer: In jeder Schule sollte es ein Schülerparlament geben, in dem Themen diskutiert werden und darüber abgestimmt wird. Wünschenswert wäre auch, wenn im Unterricht über aktuelle politische und gesellschaftliche Fragen diskutiert wird. Nur so lernen Schülerinnen und Schüler die Grundlagen von Demokratie: dass ich dem anderen zuhören und auch versuchen muss, seine Position zu verstehen und dann zu diskutieren, ohne den anderen zu beleidigen, um schlussendlich zu einer gemeinsamen Position zu kommen.

    Mancher Lehrer sagt jetzt vielleicht: Auch das noch …

    Zierer: Da ist was dran. Aber es gibt ebenso sehr viele Lehrpersonen, die die Zeichen der Zeit erkannt haben und nach vorne gehen. Gleichwohl werden Schulen oft überfrachtet, deshalb brauchen wir mehr Freiräume, was mithilfe einer Lehrplanreform möglich ist: in manchen Fächern entrümpeln und andere Fächer neu gewichten, allen voran Musik, Kunst und Sport. Das sind die wichtigsten Fächer. Denn sie haben den höchsten Bildungswert, weil die Schüler in diesen Fächern kooperieren und kommunizieren sowie kreativ sein müssen. Und sie lernen, mit eigenen Fehlern und Schwächen umzugehen. Das sind alles Fähigkeiten, die auch unserer Demokratie zugutekommen.

    Zur Person: Prof. Dr. Klaus Zierer, 47, ist seit 2015 Inhaber des Lehrstuhls für Schulpädagogik an der Universität Augsburg und Buchautor.

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