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Bayern: Steinwurf auf Schulze und Hartmann: Woher kommt diese Verrohung?

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Steinwurf auf Schulze und Hartmann: Woher kommt diese Verrohung?

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    Katharina Schulze und Ludwig Hartmann auf der Bühne im Neu-Ulm. Bei der Veranstaltung wurde plötzlich ein Stein auf die beiden Politiker geworfen.
    Katharina Schulze und Ludwig Hartmann auf der Bühne im Neu-Ulm. Bei der Veranstaltung wurde plötzlich ein Stein auf die beiden Politiker geworfen. Foto: Dagmar Hub

    Nach der Attacke sitzt der Schock tief. „Ich habe mich nicht mehr sicher gefühlt", sagt Ludwig Hartmann, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bayerischen Landtag. "Dieser Stein hat uns gegolten. Er hat uns nicht verletzt, aber unsere demokratischen Werte", fährt Hartmann gegenüber unserer Redaktion fort. Ähnlich äußert sich Katharina Schulze, Co-Fraktionsvorsitzende: „Das war schon ein Schock. Gut, dass niemandem etwas passiert ist." Sie erlebe immer wieder Hass und Hetze, nicht mehr nur im Internet, sondern auch auf der Straße, erzählt sie. „Aber Steine werfen? Das hat mit Protesten oder Unzufriedenheit nichts mehr zu tun." Schulze spricht von einer „zunehmenden Verrohung in diesem Wahlkampf", die ihr Sorgen bereite.

    Das Spitzenduo Hartmann und Schulze stand am Sonntagabend bei einer Wahlkampfveranstaltung in Neu-Ulm auf der Bühne, als plötzlich ein Stein auf die beiden Politiker geworfen wurde. Mittlerweile gibt es einige Details über den mutmaßlichen Täter: Es soll sich um einen 44-Jährigen aus Baden-Württemberg handeln – der Mann gilt als polizeibekannt. Die Delikte, eher niederschwellige Kriminalität, sollen allerdings schon lange zurückliegen. Vor Ort hatten sich Personen aus der Szene der Querdenker, aber auch Sympathisanten der AfD aufgehalten. Nach Polizeiangaben soll der Steinwerfer ein Kritiker der Corona-Maßnahmen sein, als Querdenker soll er bisher aber nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten sein. 

    Katharina Schulze wurde schon in Chieming massiv angegangen

    Was in Neu-Ulm passiert ist, ist ein besonders drastischer Fall – aber längst nicht der einzige, bei dem die Stimmung gegenüber den Grünen kippte. Vor einigen Wochen etwa wurden Katharina Schulze und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir bei einem Auftritt im oberbayerischen Chieming so massiv angegangen, dass rund ein Dutzend Polizisten und Polizistinnen eine Kette zwischen dem Podium und den Zuschauern bilden mussten. Anfang September wurde das Auto der Grünen-Landtagsabgeordneten Gabriele Triebel mit Eiern beworfen, als sie gerade in Kaufering im Landkreis Landsberg Wahlplakate aufhängen wollte.

    Gabriele Triebel neben ihrem Auto, das mit Eiern beworfen wurde.
    Gabriele Triebel neben ihrem Auto, das mit Eiern beworfen wurde. Foto: Christian Rudnik

    Und auch auf Bundesebene gab es Vorfälle: Katrin Göring-Eckardt etwa, Bundestagsvizepräsidentin, wurde vor Kurzem in Dessau-Roßlau in Sachsen-Anhalt als „grüner Abfall" beschimpft. Freilich, nicht nur Grünen-Politiker und -Politikerinnen spüren bei öffentlichen Auftritten mitunter einen massiven Gegenwind. Bei der Demo gegen das Heizungsgesetz, die im Juni in Erding stattgefunden hatte, wurde CSU-Chef Markus Söder von Tausenden wütenden Bürgerinnen und Bürgern ausgepfiffen. Dennoch: Hauptadressat der Wut sind in den meisten Fällen die Grünen.

    Grüne

    : Söder und Aiwanger "senken die Hemmschwelle"

    Eine Verantwortung dafür, dass das Klima im Freistaat in diesem politisch gewichtigen Herbst rauer geworden ist, sieht Eva Lettenbauer, Vorsitzende der Grünen in Bayern, bei zwei besonders tragenden Figuren in diesem Wahlkampf: dem Ministerpräsidenten und seinem Stellvertreter. „Wenn Markus Söder und Aiwanger bei Hetze mitmachen, Menschen aggressiv machen, senken sie die Hemmschwelle", schreibt sie auf der Plattform X (ehemals Twitter). Und weiter: „Aus Worten werden Taten. Ein Steinwurf. Was kommt als Nächstes? Gewalt geht gar nicht in der politischen Auseinandersetzung."

    Grünen-Fraktionschef Hartmann äußert sich gegenüber unserer Redaktion ähnlich: „Söder und Aiwanger trifft keine Schuld für den Steinwurf, aber sie tragen Verantwortung für die aufgeheizte Stimmung in Bayern." Es sei nun „allerhöchste Zeit, runterzukühlen und wieder Debatten über die besten Ideen zu führen."

    Markus Söder besorgt über „zunehmend destruktive Demokratie"

    Söder verurteilt den Steinwurf auf die beiden Grünen-Politiker auf Anfrage unserer Redaktion. „Hier gilt die Solidarität aller Demokraten", sagt Söder. Er sei besorgt über eine „zunehmend destruktive Demokratie". Als Ursache sieht er „digitale Blasen“, in denen nur noch Platz für die jeweils eigenen Standpunkte sei. Das führe zu einem immer raueren Ton und der Unfähigkeit zu Kompromissen. Er selbst habe bei seinen öffentlichen Auftritten keine Angst und fühle sich gut beschützt. Doch in der Corona-Zeit sei er heftigen persönlichen Drohungen ausgesetzt gewesen. Bei einem Feuerwehrfest in Oberbayern vor einem Jahr wurde der Politiker Ziel eines Eierwurfs.

    Als „ungeheuerlichen Vorgang“ bezeichnet Bayerns Kultusminister Michael Piazolo (FW) den Steinwurf. Auch er macht soziale Netzwerke im Internet als Ursache für die Verrohung aus. „Gerade was auf Social Media stattfindet, zeugt von einer Brutalität, die Sorge macht.“ Nach den Wahlen müssten sich die Parteien unbedingt über den Umgang miteinander unterhalten, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. 

    Wahlkampfhelferin der Grünen mit Essigreiniger bespritzt

    Bei Wahlkampfauftritten sind die Grünen mittlerweile vorsichtig geworden. „Als Partei sensibilisieren wir unsere Orts- und Kreisverbände, melden jede Veranstaltung der Polizei vor Ort, treffen weitere Sicherheitsmaßnahmen", sagt eine Sprecherin der Grünen. Auch sie berichtet von vermehrten Beleidigungen, Bedrohungen und Störungen bei Veranstaltungen. Auch Plakate würden immer öfter zerstört, eine ehrenamtliche Wahlkampfhelferin sei rassistisch beleidigt und mit Essigreiniger bespritzt worden. „Nach dem Steinwurf werden wir noch mal unsere Sicherheitskonzepte für Veranstaltungen gemeinsam mit der

    Dass es auf Wahlkampfveranstaltungen Pöbeleien gibt, ist normal. Was in Neu-Um passiert ist, allerdings nicht. So etwas habe man nicht erwartet, sagt Arno Görgen. Der Kulturhistoriker ist Mitglied der Neu-Ulmer Grünen und war am Sonntagabend einer von zehn Ordnerinnen und Ordnern beim Wahlkampfauftritt von Schulze und Hartmann. Der Abend, sagt er, habe ihn an die Anfänge der Nazi-Zeit denken lassen. „Diese Einschüchterungsversuche und der Hass, das erinnert mich an die 30er-Jahre." Aggressive Zwischenrufe, Drohungen, das gezielte Stören von Veranstaltungen. All das diene nur dazu, eine andere Meinung zu unterdrücken. Dass nun auch ein Stein auf die Bühne flog, sei eine neue, beängstigende Stufe der Eskalation. (mit krom, mase)

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