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Bayern: Politischer Aschermittwoch in Bayern: Ein Prosit der Ungemütlichkeit

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Politischer Aschermittwoch in Bayern: Ein Prosit der Ungemütlichkeit

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    Hubert Aiwanger und Markus Söder beim politischen Aschermittwoch.
    Hubert Aiwanger und Markus Söder beim politischen Aschermittwoch. Foto: Karl-Josef Hildenbrand, Peter Kneffel, beide dpa

    In der „Südkurve der CSU“ ist längst nicht mehr alles so, wie es einmal war. Man darf sich Markus Söder an diesem politischen Aschermittwoch in Niederbayern als Kapitän auf einem großen alten Schiff mitten im Bermudadreieck vorstellen. Der alte Dampfer ist die CSU und die drei Ecken des stürmischen und politisch höchst tückischen Seegebiets heißen Ampel, AfD und Aiwanger. In zwei Richtungen hat Söder keine Probleme, seine Worte in angemessener Deftigkeit zu wählen. Auf die Ampel kann er nach Herzenslust draufhauen. Vor der AfD muss er in düstersten Farben warnen. Aber wie ist das mit dem Parteichef seines Koalitionspartners in der Bayerischen Staatsregierung? Da will die Kritik wohl- dosiert sein, um eine Havarie zu vermeiden – vor allem, weil Aiwanger, der zeitgleich in der Stadthalle in Deggendorf auftritt, in dem seit Wochen schwelenden Streit mit der CSU eine Strategie fährt, gegen die selbst ein Markus Söder schwer ankommt. 

    Nun hat das öffentliche Fingerhakeln zwischen den beiden Parteichefs Tradition. Schon mehrfach hat es die Koalition ins Schlingern gebracht. Bevor man sich nach den Landtagswahlen auf eine Fortsetzung verständigte, war zuerst einmal eine Aussprache hinter verschlossenen Türen angesagt. So richtig lang hat die Paartherapie aber nicht nachgewirkt. Auch, weil die Liste der Nickligkeiten immer länger wird und es zwischen CSU und Freien Wählern, zwischen Söder und Aiwanger, längst nicht mehr stimmt. Zuletzt schob man einander die Verantwortung für die Niederlage bei einem Bürgerentscheid zu, in dem es um Bayerns größten Windpark ging.

    Politischer Aschermittwoch in Bayern: Markus Söder teilt aus

    Weil es wohl dazugehört, hat CSU-Chef Söder, wie jedes Jahr, am Vortag im Interview mit der Passauer Neuen Presse eine erste Duftmarke gesetzt und versucht, seinem Koalitionspartner die Grenzen aufzuzeigen. Söder sagte: „Die Werte der Freien Wähler sinken und auch die persönliche Akzeptanz von Hubert Aiwanger lässt nach. Mein ernst gemeinter Rat: Aufpassen, dass die Freien Wähler nicht dauerhaft rechts von der CSU zwischen AfD, Werteunion und Wagenknecht landen.“ 

    In der voll besetzten Dreiländerhalle in Passau, bei der CSU, dürfen dann erst einmal andere sticheln. Den Auftakt macht CSU-Generalsekretär Martin Huber. Er spottet über die Konkurrenzveranstaltungen andernorts in Niederbayern: „Bei den Freien Wählern sind noch Plätze frei und bei der FDP sind mehr Kellner da als Gäste.“ Der niederbayerische CSU-Bezirkschefs, Bauminister Christian Bernreiter – von Huber als „Niederbayernbomber“ angekündigt – legt noch ein bisserl nach: „Ein Minister ist in erster Linie zum Regieren gewählt und nicht zum Demonstrieren.“

    Hubert Aiwanger spricht in Deggendorf

    Nur 50 Kilometer weiter, in Deggendorf, ist die Stadthalle tatsächlich nicht ganz voll, die Zuschauertribüne weist deutliche Lücken auf. Die Freien Wähler sprechen später von mehr als 1000 Besuchern – angeblich so viele wie noch nie. Darunter sind auch etwa 60 oder 70 protestierende Bauern, welche die Freien Wähler eigens eingeladen hatten. Sie sind mit ihren Traktoren vor der Halle aufgefahren, sogar aus dem Schwarzwald sind Landwirte gekommen. „Einer der zuhört, danke Hubert“ steht auf einem der Fahrzeuge geschrieben.

    Spannender ist das, was drinnen passieren wird. Wird Aiwanger auch draufhauen? Wird er sich die Ampel vorknöpfen nach allen Regeln der Kunst? Und wie wird er auf Markus Söder und die beständig lauter werdende Kritik aus der CSU reagieren? 

    Kurz vor elf Uhr hallen die ersten „Hubert-Rufe“ durch die Stadthalle von Deggendorf, da ist Aiwanger noch gar nicht auf der Bühne. Gerade hat Generalsekretärin Susann Enders verkündet, dass die Grünen in Landshut von protestierenden Bauern mit Buh-Rufen empfangen worden sind. Niederbayern, wo der politische Aschermittwoch einst erfunden wurde, ist kein gutes Pflaster für die Grünen. Niederbayern ist Freie-Wähler-Hochburg. 29 Prozent der Stimmen haben sie hier bei den letzten Landtagswahlen geholt, fast doppelt so viel wie im Landesdurchschnitt. Die CSU lag hier in dem regierungsinternen Rennen nur noch um drei Prozentpunkte vorn.

    Markus Söder in Passau: "Zwang zum Gendern? Nicht in Bayern!"

    Das weiß auch Söder. Doch er sagt dazu erst einmal nichts. Der CSU-Chef startet mit einem Frontalangriff auf die Bundesregierung. Seine Botschaft: „Die Ampel muss weg.“ Es folgen deftige Sprüche fast im Sekundentakt. „Die Ampel“, so sagt Söder, „liegt in der Sympathiekurve irgendwo zwischen Strafzettel, Steuererklärung und Zahnwurzelbehandlung“. Dass das Wahlrecht zum Nachteil der CSU geändert werden solle, nennt er „eine echte Ampel-Sauerei“. Bayern solle „mundtot“ gemacht werden“, sagt Söder und schlägt fast schon separatistische Töne an: „Bayern kann ohne Deutschland leichter leben als Deutschland ohne Bayern.“ Seine politischen Forderungen: Heizungsgesetz? Weg! Bürgergeld? Zurück zur alten Sozialhilfe! Zwang zum Gendern? Nicht in Bayern! Kürzungen beim Agrardiesel? Zurücknehmen! Migrationspolitik? Korrigieren! Grundrecht auf Asyl? Ändern! Neubau des Kanzleramts? Verzichtbar!

    Den Grünen und ihrer Agrarpolitik widmet Söder sich in besonderer Weise. Er verteidigt die Anbindehaltung im Winter und schwärmt davon, wie schön es die Rinder im Sommer auf der Weide im Alpenraum haben: „Hätte ich die Wahl, dann wäre ich lieber Bulle in Bayern als ein Rindviech in Berlin.“ Seine politischen Lieblingsgegner kanzelt Söder ab mit den Worten: „Die Grünen machen so viel Mist, eigentlich müssten die selbst unter die Düngeverordnung fallen.“

    Hubert Aiwanger in Deggendorf: „Wer die Bauern ignoriert, ignoriert den Kern der Gesellschaft.“

    Auch Aiwanger arbeitet sich – ausgehend von den Bauernprotesten – zunächst an der Ampel ab. Bürgergeld, hohe Energiepreise, Bürokratie: Betriebe und Leistungsträger kehrten Deutschland den Rücken. Die Ampel müsse ihre Politik fundamental ändern, ruft Aiwanger. Der Freie-Wähler-Chef trägt dunkle Hose, weißes Hemd, graue Trachtenjacke und macht den auch von der CSU umworbenen Bauern ein dickes Kompliment, indem er sie kurzerhand zur Speerspitze eines breiten bürgerlichen Protests erklärt. „Wer die Bauern ignoriert, ignoriert den Kern der Gesellschaft.“ Auch Pflegekräfte, Ärzte oder Spediteure hätten sich den Landwirten angeschlossen.

    Aiwanger fordert Steuersenkungen auf einen Höchstsatz von 25 Prozent, ein steuerfreies Einkommen von 2000 Euro auch für Rentner, kein Bürgergeld mehr für arbeitsfähige Empfänger und geflüchtete Ukrainer. Stattdessen eine Sicherung der europäischen Außengrenzen und eine Zuwanderungspolitik für Qualifizierte. Ein Arbeitsplatz sei der beste Platz für die Integration von Zuwanderern und „kein Grammatikkurs mit Feinheiten, die wir am Ende selber nicht kennen.“ 

    In solchen Sätzen blitzt der hemdsärmelige Bierzelt-Redner Aiwanger auf, dem in der Vergangenheit schon mancher Satz verrutscht ist. Diesmal ist keine Rede davon, dass man sich die Demokratie zurückholen müsse. Diesmal sagt Aiwanger: „Wir stellen nichts infrage. Wir sagen nur, wir müssen wieder mehr auf die normalen Leute hören.“ Die Ampel beschreibt Aiwanger nicht viel anders, als die CSU das tut: als ideologiegetriebenes Bündnis, das wenig vom praktischen Leben verstehe. Die Freien Wähler dagegen stünden für die politische Mitte, sie seien das „Bollwerk der Mitte und der Demokratie“. Je größer die Zukunftsängste, desto leichter hätten es Links- und Rechtsextremisten. Diese Leute müsse man „stellen und kaltstellen.“

    Markus Söder teilt auch gegen den Koalitionspartner aus

    Das war es dann aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten zwischen den Koalitionspartnern. In Passau stellt Söder klar, dass die CSU in der politischen Mitte steht. Die Freien Wähler dagegen sieht der Ministerpräsident auf einem riskanten Kurs. Zunächst kritisiert er Aiwanger im Zusammenhang mit dem schleppenden Ausbau der Windkraft. Da brauche es den vollen Einsatz – „und zwar von allen, auch vom zuständigen Minister“. Regierungsarbeit sei besser als Demo-Hopping, „Ministrieren geht vor Demonstrieren“, sagt Söder. 

    Etwas später weist er auf die sinkenden Umfragewerte der Freien Wähler hin und betont, dass es nicht funktioniere, radikale Parteien kopieren zu wollen. FW heiße Freie Wähler und nicht Frustrierte Wähler. „Populismus und Frustriertheit können andere besser“, sagt Söder. Der Bonus an Wählerstimmen, den Aiwanger vergangenes Jahr nach seiner Flugblatt-Affäre erhalten habe, sei weg. Der CSU-Chef fasst die politischen Kräfteverhältnisse in Bayern sogar in einen Reim: „Auch wenn sich der Freie noch so quält, die Mehrheit hat CSU gewählt. Dabei bleibt es.“ Und er rät seinem Koalitionspartner: „Schuster bleib bei deinen Leisten.“ Das bedeute, die Freien sollten ihre Arbeit machen „und einfach ab und zu auf die CSU hören“. 

    Aus dem nur gut 50 Kilometer entfernten Deggendorf allerdings hallen keine Widerworte nach Passau. Aiwanger sagt zur Kritik aus der CSU, zu den Krisen in der selbst ernannten „Bayern-Koalition“ und auch zu den Vorhaltungen Söders kein einziges Wort. Die Begründung liefert er hinterher auf Fragen unserer Redaktion nach. Man kann, was er sagt, selbstverständlich auch als kleinen Seitenhieb verstehen: „Ich habe mich um die Themen des Landes gekümmert. Das andere ist eh klar.“

    Koalitionsstreit zwischen CSU und Freien Wählern beigelegt?

    Am Ende dieses politischen Aschermittwochs der Freien Wähler ist es so wie am Beginn der Veranstaltung. Stand Aiwanger morgens um halb zehn Uhr inmitten der protestierenden Bauern und hörte sich ihre Klagen an, so posierte er später geduldig für Selfies und suchte das Gespräch mit der Parteibasis. Um 13.21 Uhr dann hatte er genug gehört: „So, jetzt geh´ma.“ 

    Es ist nicht das erste Mal, dass ein Zwist in der Koalition auf diese Art und Weise beigelegt wird: Die CSU ärgert sich über den Chef der Freien Wähler, kritisiert ihn öffentlich mehr oder weniger scharf, und Aiwanger lässt alles an sich abprallen. Was seine Anhänger von dieser Strategie des Schweigens halten, muss mangels eindeutiger Stellungnahme offenbleiben. 

    Ganz anders in Passau. Dort wird Söder von seinen Fans auch für seinen strengeren Umgang mit Aiwanger gefeiert wie einst nur Franz Josef Strauß oder Edmund Stoiber. Minutenlang singt das Publikum in der Dreiländerhalle „Oh, wie ist das schön!“. Dann darf nach Söder auch noch der CSU-Spitzenkandidat für die Europawahl im Juni ans Rednerpult, um ein Grußwort zu sprechen. Auch Manfred Weber kritisiert die Ampel scharf und fordert den Rücktritt der Bundesregierung „zum Wohl des Volkes“. Er spricht auch darüber, worüber weder Aiwanger noch Söder ein Wort verloren haben: den Klimawandel und seine „noch nicht absehbaren Folgen für uns alle“.

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