Der im Frühjahr 2018 schon politisch heftig umstrittene „Kreuzerlass“ des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, wonach im Eingangsbereich aller staatlichen Behörden „gut sichtbar“ ein Kreuz aufzuhängen sei, wirft auch für die Justiz schwer lösbare Fragen auf. In der Hauptverhandlung vor dem 5. Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs am Mittwoch in München prallten die Meinungen der Rechtsgelehrten hart aufeinander. Gegen den Erlass geklagt hatten der Bund für Geistesfreiheit und rund zwei Dutzend Einzelpersonen, darunter auch der Liedermacher Konstantin Wecker.
Rückblick: Söder war im April 2018 erst kurze Zeit im Amt, im Herbst stand die Landtagswahl vor der Tür und die Sorge der CSU war groß, wegen des Streits um die Flüchtlingspolitik Stimmen rechtskonservativer Wähler zu verlieren. Da wollte der CSU-Ministerpräsident ein Zeichen setzen, dass Bayern historisch und kulturell ein christlich geprägtes Land sei und die CSU-Staatsregierung sich auch dazu bekenne. Das Kabinett beschloss auf seinen Vorschlag den so genannten „Kreuzerlass“. Wie das in der Praxis aussehen soll, demonstrierte er postwendend vor der versammelten Presse und hängte im Foyer der Staatskanzlei höchstpersönlich ein Kreuz an die Wand.
Kreuzerlass hatte für Söder nicht die erhoffte Wirkung
Was dann passierte, konnte Söder allerdings nicht gefallen: Nicht nur die Opposition im Landtag, Kommunalpolitiker und Kulturschaffende protestierten, sondern auch aus den Kirchen gab es Widerspruch. Nicht wenige Christen empfanden den Erlass als Missbrauch eines religiösen Symbols für politische Zwecke.
Und schlimmer noch: Die Fotos der politischen Marketing-Aktion, die Söder mit dem Kreuz in einem gruseligen Halbschatten zeigten, fielen denkbar unvorteilhaft aus – „peinlich“ und „draculahaft“, spottete zum Beispiel das Nachrichtenmagazin Der Spiegel. Söder musste zurückrudern. Die Anordnung blieb zwar bestehen, ihr Vollzug in den Behörden aber wurde nicht weiter kontrolliert.
Der Streit um den Kreuzerlass in Bayern betrifft einen komplexen Sachverhalt
Die Frage, ob die Anordnung rechtmäßig war, beschäftigt bis heute die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Und sie ist, wie die Präsidentin des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, Andrea Breit als Vorsitzende des 5. Senats in der Hauptverhandlung an diesem Mittwoch feststellte, juristisch höchst komplex. Es handle sich um „juristisches Neuland“.
Das beginnt schon bei den rechtlichen Formalien. Das Gericht habe sich „lange Gedanken darüber gemacht“, ob die Klagen überhaupt zulässig seien. Landesanwalt Marcus Niese, der in dem Verfahren den Freistaat Bayern vertritt, stellte sich zum Beispiel auf den Standpunkt, dass die Anordnung rechtlich gesehen keine „Außenwirkung“ entfalte, weil sie nur die Behörden des Freistaats und nicht die Bürger direkt betreffe. Die Anordnung als solche könne also gar nicht beklagt werden – zumindest nicht in einer „Normenkontrollklage“, bei der die Rechtmäßigkeit einer Vorschrift überprüft wird.
Rechtsanwalt Hubert Heinhold hielt dem entgegen, dass die eigentliche Motivation wahrscheinlich in „Wahlkampfgründen“ zu suchen sei und schon der Erlass an sich „eine Wirkung nach außen“ entfaltet habe. „Da geht es nicht um eine Anordnung, wann die Papierkörbe zu leeren sind.“ Seine Klage zielt nicht auf die Anordnung an sich. Er will mit einer „allgemeinen Leistungsklage“ nur durchsetzen, dass die Kreuze wieder abgehängt werden müssen.
Das setzt sich fort bei der Frage nach der Botschaft des Kreuzes an der Wand staatlicher Behörden. Die Kläger sehen in der Verwendung des Kreuzes eine „gleichheitswidrige Benachteiligung“ anderer Glaubens- oder Weltanschauungsgemeinschaften und pochen darauf, dass sich der Staat in diesen Fragen neutral verhalten zu habe. Die Vertreter des Freistaats beharren darauf, dass das Kreuz in diesem Fall eben kein religiöses Symbol sei, sondern dass damit nur die historisch-kulturelle Prägung des Freistaats zum Ausdruck gebracht werden solle. Entscheidend sei, so Niese, „dass der Staat nicht missionierend wirkt.“
Aufhängen von Kreuzen könnte Grundrechte verletzen
Ein dritter und möglicherweise entscheidender Streitpunkt betrifft die Frage, ob mit dem Aufhängen der Kreuze Grundrechte verletzt werden. Die bisherigen höchstrichterlichen Urteile, etwa zu Kreuzen in Gerichtssälen oder Kruzifixen in Klassenzimmern, helfen hier nicht so recht weiter. Sie schützen im Prinzip nur das Individuum, nicht aber eine Glaubens- oder Weltanschauungsgemeinschaft als Ganzes.
Ein Angeklagter mit einem nicht-christlichen Glaubensbekenntnis kann verlangen, dass das Kreuz im Gerichtssaal abgehängt wird. Gleiches gilt für nicht-christliche Schülerinnen und Schüler oder deren Eltern im Klassenzimmer. Obendrein wurde in diesen Fällen aber stets in Rechnung gestellt, dass die Gegenwart des Kreuzes „nicht nur flüchtig“, sondern anhaltend sei. Mit dem Kreuz im Eingangsbereich von Behörden stelle sich, wie die Richterin es formulierte, die Frage: „Ist das jetzt so schlimm, wenn man nur kurz daran vorbeigeht?“
Kreuz in staatlichen Behörden Diskriminierung Andersdenkender?
Für Rechtsanwalt Heinhold und den Bund der Geistesfreiheit ist das Kreuz in staatlichen Behörden eine Diskriminierung Andersdenkender. Landesanwalt Niese beteuerte, dass es so nicht gemeint sei. Heinhold hielt dagegen, dass es nicht darauf ankomme, wie es gemeint sei, sondern wie es wirkt. Und in den Augen Andersdenkender könne es eben als Benachteiligung durch den Staat empfunden werden.
Mit dem Urteil in dieser komplexen Materie will sich der der Senat zwei Wochen Zeit lassen. Eine Revision zum Bundesverfassungsgericht ist danach möglich.