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Foto: Marcus Merk
Foto: Marcus Merk

Hausarzt Dr. Jakob Berger, der in Wemding im Landkreis Donau-Ries praktiziert, warnt seit langem davor, dass immer mehr MVZ in die Hände von Finanzinvestoren geraten.

Bayern
30.05.2022

Ärzte warnen davor, dass Finanzinvestoren immer mehr Praxen aufkaufen

Von Daniela Hungbaur

Bayern hat schon jetzt die höchste Dichte an Medizinischen Versorgungszentren. Ärzte fürchten, dass immer mehr einzelne Praxen von Finanzinvestoren aufgekauft werden.

Die freie Arztwahl sei massiv bedroht. Davon ist Dr. Jakob Berger überzeugt. Auch Behandlungswege, die sich ausschließlich an den bestmöglichen Heilungschancen des einzelnen Patienten orientieren, laufen seiner Ansicht nach Gefahr, von einer am möglichst hohen Gewinn orientierten Therapie ersetzt zu werden. Berger ist der schwäbische Bezirksvorsitzende im Bayerischen Hausärzteverband. Er warnt eindringlich „vor einer Katastrophe“. Denn nicht nur Pflegeheime seien längst lukrative Objekte für private Finanzinvestoren geworden, auch immer mehr Arztpraxen würden aufgekauft und zu einem MVZ, einem Medizinischen Versorgungszentrum, zusammengelegt.

Alle Fachbereiche betroffen und auch Hausarztpraxen

Und zwar in allen Fachbereichen: Schon jetzt könne man auch in Bayern beispielsweise die Bündelung von Praxen in der Augenheilkunde, in der Radiologie, aber auch bei Nephrologen, also Nierenspezialisten, sowie in der Onkologie beobachten. Auch Hausarztpraxen stünden zunehmend im Fokus. Daher will der Bayerische Hausärzteverband nun massiv Front gegen Großpraxen in Investorenhänden machen.

Auf die enormen Gefahren macht Hausarzt Dr. Berger, der in Wemding im Kreis Donau-Ries praktiziert, schon lange aufmerksam. Denn MVZ gibt es seit 2004. Hätte zunächst praktisch jeder ein MVZ gründen können, dürfen dies seit einigen Jahren nur noch Ärzte, Kliniken und Kommunen. „Doch längst werden unrentable Krankenhäuser von Finanzinvestoren nur aufgekauft, um ein MVZ zu gründen“, sagt Berger. Alles habe er schon probiert, um diese Entwicklung zu stoppen. Politiker habe er aufgefordert zu handeln, Verbände gebeten, aktiv zu werden. Doch das Thema scheine keinen zu interessieren, was dazu führe, „dass die Entwicklung sich immer mehr beschleunigt“.

Auch Professor Dr. Eckhard Nagel spricht von einer „alarmierenden“ Lage. Den Transplantationsexperten, der über Jahre Mitglied des Deutschen Ethikrates war und heute unter anderem Geschäftsführender Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften der Uni Bayreuth ist, stört vor allem die Intransparenz. So sei es nicht nur ein Unding, dass keiner überhaupt sagen könne, wie viele MVZ oder Praxen schon in den Händen von Finanzinvestoren sind, es fehlten generell Informationen über die Träger und Geldgeber.

Dabei sei es doch essenziell, dass man gerade im Gesundheitsbereich weiß, wer hinter welcher Praxis steckt. Nicht zuletzt, um Strukturen der Abhängigkeit – sei es bei den Ärzten selbst, aber auch bei ihrer Wahl der medizinischen Produkte und Therapien – erkennen zu können. „Das unentbehrliche Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient droht hier, verletzt zu werden.“ Zumal längst auch Konzerne als Investoren im Spiel seien, die selbst Medizinprodukte herstellen.

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Gleichwohl dürfe man nicht vergessen, dass der Druck in den Einzelpraxen enorm gestiegen ist, sagt Nagel. Schließlich ist es bekannt, dass Ärzte fehlen und die Zahl der Praxen – besonders in ländlichen Räumen – rückläufig ist. Für praktizierende Ärzte bedeute dies nicht selten eine massiv erweiterte Arbeitszeit und dennoch das Problem, Patienten oft ablehnen zu müssen.

Viele junge Mediziner sind lieber angestellt als selbstständig

Und dann gelte es auch noch zu berücksichtigen, dass gerade viele junge Medizinerinnen und Mediziner nicht selten eine Anstellung der Selbstständigkeit vorziehen. Doch diejenigen, die eine eigene Praxis aufbauen wollen, würden sich vor dem Hintergrund, dass private Investoren mit enormen Summen Kassensitze aufkauften, immer schwerertun.

Aber haben es Ärzte, die beispielsweise in den Ruhestand gehen, nicht selbst in der Hand, wem sie ihre Praxis übergeben? „Klar, die Verantwortung liegt auch bei den Ärzten selbst“, sagt Nagel. „Da geht es aber um exorbitant hohe Summen. Und oft zieht eben doch das Geld.“ Zumal älteren Kolleginnen und Kollegen oft die Möglichkeit eingeräumt werde, noch ein paar Jahre weiter als Angestellter in der Praxis zu arbeiten – ohne Personalverantwortung und Bürokratie, „aber mit deutlicher Einschränkung der Therapiefreiheit“.

Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Bayern macht seit längerem auf diese Entwicklung aufmerksam und hat bereits eine Studie zu dem Thema in Auftrag gegeben. Demnach habe sich die Anzahl von Arztpraxisstandorten, die privaten Finanzinvestoren gehören, allein in den Jahren 2018 und 2019 um 72 Prozent erhöht. Besonders groß falle der Versorgungsanteil von MVZ demnach in der Augenheilkunde, aber auch im Bereich Orthopädie und Unfallchirurgie aus. Ergeben habe die Analyse aber auch, „dass bei gleicher Patientenstruktur, gleichen Vorerkrankungen und gleichen Behandlungsanlässen das Honorarvolumen von Arztgruppenfällen in MVZ fachrichtungsübergreifend um 5,7 Prozent höher ausfällt als in Einzelpraxen“. Bei MVZ im Eigentum von Finanzinvestoren gebe es demnach sogar ein Plus von 10,4 Prozent gegenüber Einzelpraxen.

Warum also schlagen nicht auch die Krankenkassen Alarm? Schließlich müssten sie doch ein großes Interesse daran haben zu klären, was hinter diesen Honorarsteigerungen steckt: Doch beim GKV-Spitzenverband hält man sich auf Anfrage unserer Redaktion sehr bedeckt bei dem Thema, „da es um Ausübungsrechte, Freizügigkeit, et cetera der Berufsgruppe der Ärzteschaft geht“. Betont wird nur, dass natürlich auch die GKV einen gesunden Versorgungsmix aus Einzelpraxen und MVZ für sinnvoll hält. Und: „Unabhängig davon, wem eine Praxis oder ein MVZ gehört, muss sichergestellt sein, dass die Versorgung der Versicherten allein medizinischen Erwägungen und den gesetzlich vorgegebenen Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und Notwendigkeit folgt.“

Bundesverband der MVZ: "Panikmache auf breiter Front"

Doch gerade wenn die Versorgung in Gefahr ist, müssten ja auch Patientenschützer aktiv werden. Bei der Deutschen Stiftung Patientenschutz nachgefragt, heißt es dort von Vorstand Eugen Brysch: „Ganz gleich, wie groß eine Praxis ist oder wer sie betreibt, allein die Qualität der Therapie ist für die Patienten entscheidend. Genesungschancen dürfen nicht durch wirtschaftliche Strukturen und Interessen gefährdet werden.“ So könne es nicht sein, dass die lukrativste Behandlung oder die windigste Abrechnungsstrategie im Vordergrund steht. Vielmehr müssten Patienten sicher sein, dass eine gute medizinische Versorgung immer unabhängig von Zeit und Budget erfolge. „Für die Kontrolle sind die Kassenärztliche Vereinigung und der Medizinische Dienst verantwortlich. Doch leitliniengerechte Behandlung wird in den Praxen so gut wie gar nicht kontrolliert.“

Wie aber reagiert man beim Bundesverband der MVZ auf die Kritik? Dort ärgert man sich über „diese Panikmache auf breiter Front“, sagt BMVZ-Geschäftsführerin Susanne Müller und betont, dass weniger als ein Prozent aller MVZ bundesweit in den Händen von Finanzinvestoren liegen würden. Von dieser sehr geringen Ausgangslage aus, würden Steigerungen immer als sehr dramatisch empfunden werden. Etwa zehn bis 15 Finanzgruppen seien deutschlandweit bei MVZ aktiv und ja, Bayern stehe mit seinen 805 MVZ (Stand 31.12.2020), was die regionale Dichte angeht, bundesweit an der Spitze.

Müller erklärt aber auch, dass der Vorwurf der kompletten Intransparenz nicht zutreffend sei: So könne eine Praxis ja nicht einfach so übernommen werden, hier müsse stets der Weg über den Zulassungsausschuss bei den Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder gegangen werden. „Diesem Zulassungsausschuss liegen detaillierte Daten vor, wer der Träger ist, wem also die Praxis sozusagen gehört.“ Ein Problem allerdings sei, dass diese Daten nicht bundesweit zusammengeführt werden.

In Augsburg werden viele Augenärzte übernommen

Dessen ungeachtet beobachtet auch Müller in einzelnen Regionen Entwicklungen, bei denen sie nachvollziehen kann, dass sich Patienten Sorgen machen. Müller spricht von „regionaler Anklumpung“ und nennt als Beispiel die augenärztliche Versorgung in Augsburg. „Hier werden in der Tat immer mehr einst selbstständige Augenarztpraxen von großen Anbietern übernommen.“ Dies könne dann beispielsweise dazu führen, dass sich Patienten schwertun, eine zweite unabhängige ärztliche Meinung zu bekommen. Daher müsse darüber geredet werden, wie hier Transparenz gegenüber dem Patienten hergestellt werden kann. Vorschläge dazu habe der BMVZ mehrere.

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek verfolgt die Entwicklung ebenfalls mit großer Sorge, betont er im Gespräch mit unserer Redaktion. Er habe das Thema auch bereits in die Gesundheitsministerkonferenz eingebracht: „Ich habe eindrücklich auch das Bundesgesundheitsministerium gebeten, sich des Themas anzunehmen und so schnell wie möglich eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einzurichten – geschehen ist bisher leider nichts.“ Dabei entstehen seines Erachtens tatsächlich nun Strukturen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können.

"Gefährlich wird es, wenn die Gewinnmaximierung im Mittelpunkt steht"

Der CSU-Minister betont aber auch, dass nicht jedes MVZ an sich zu verurteilen sei. „So haben auch Kliniken oft ein MVZ, und gerade in ländlichen Regionen, in denen ein Ärztemangel herrscht, tragen sie wesentlich zur Versorgungssicherheit bei. Gefährlich wird es aber, wenn die Gewinnmaximierung im Mittelpunkt steht. Und es ist schon auffallend, dass gerade bestimmte Fachärzte wie Augenärzte, Nephrologen, aber auch Radiologen offenbar besonders interessant für Finanzinvestoren sind.“

Beim Bundesgesundheitsministerium heißt es auf unsere Nachfrage, dass die Rahmenbedingungen für die Teilnahme von investorenbetriebenen MVZ an der ambulanten Versorgung in der Vergangenheit mehrfach gesetzlich eingeschränkt worden seien. „Der Gesetzgeber begründete die getroffenen Schutzvorkehrungen insbesondere mit der Annahme, dass der Betrieb von MVZ in Investorenhand mit einer Gefahr für die Integrität, Qualität und Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Berufsausübung, mit Verdrängungseffekten zulasten selbstständig niedergelassener Ärztinnen und Ärzte sowie mit der Gefährdung einer ausgewogenen flächendeckenden Versorgung verbunden ist.“

Auch lägen mittlerweile ja mehrere Gutachten und Analysen vor, wie etwa die von der KV Bayern. „Die politische Diskussion über die Erkenntnisse der vorliegenden Gutachten sowie über das weitere Vorgehen“ sei aber bislang nicht abgeschlossen. Aus dem Länderkreis sei man gebeten worden, eine Zusammenfassung der Gutachtenergebnisse zu erstellen und den Ländern zur Verfügung zu stellen. Dieser Bitte werde man nachkommen, „um damit eine fachliche Grundlage für die weitere Diskussion zu schaffen“.

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