Herr Felßner, Pendler kamen am Montag zu spät zur Arbeit, Schüler nicht zum Unterricht, in Kliniken mussten Operationen verschoben werden. Haben Sie nicht Sorge, dass Sie so das Verständnis in der Bevölkerung verspielen?
Günther Felßner: Ich hatte diese Sorge vor Beginn der Proteste. Denn einerseits wollen wir mit unseren Aktionen auf berechtigte Interessen hinweisen. Auf der anderen Seite geht es nicht ganz ohne eine Beeinträchtigung der Bürgerinnen und Bürger. Nun, zum Ende der Aktionswoche, sehe ich überwiegend positive Rückmeldungen. Nach der Demonstration in Augsburg haben viele Passanten gewunken oder den „Daumen hoch“ gezeigt. Wir haben auch keine gezielten Blockaden gemacht.
Bisweilen haben Landwirte mit ihren Schleppern Kreisverkehre unpassierbar gemacht ...
Felßner: Laut Polizei gab es mehrere kleine Zwischenfälle im Allgäu, wo Landwirte Autobahnauffahrten und Kreisverkehre blockiert haben – ohne Genehmigung. Als ich davon informiert wurde, habe ich sofort das Telefon in die Hand genommen. So etwas braucht es nicht. Es gab von den über 200 Aktionen in dieser Woche in ganz Bayern nur wenige, die nicht angemeldet waren. Und wir spüren eine wahnsinnige Rückendeckung aus der Bevölkerung, die unter Umständen gar nichts mit der Landwirtschaft und dem Thema Agrardiesel zu tun hat. Viele sagen: Endlich steht jemand auf und spricht aus, dass es nicht gut läuft.
Werden die Bauern zum Sprachrohr der Unzufriedenen?
Felßner: Wir bekommen Solidarität von ganz unterschiedlichen Berufsgruppen. Vom überlasteten Krankenpfleger, über Metzger, Bäcker oder Gastronomen. Ich fühle aber auch eine Diskrepanz zwischen der medialen Diskussion und der Realität. In der Berichterstattung ging es oft darum, ob unsere Proteste von Rechtsextremen unterwandert werden. Auf den Demonstrationen sieht man: Da gehen Landwirte auf die Straße und grenzen sich ab von Rechten.
Fühlen Sie sich zu Unrecht in die rechte Ecke gedrängt?
Felßner: Ich glaube, niemand wollte die Bauern in eine Ecke stellen. Aber es wird schon versucht, eine Stellvertreterdiskussion aufzumachen, um nicht über das eigentliche Thema sprechen zu müssen. Ich kann den Habeck-Vorfall in Schlüttsiel nicht beurteilen. Aber klar muss sein: Die Privatsphäre von Politikern ist tabu. Alle Aktionen des Bauernverbands sind angemeldet. Ich bin wahnsinnig stolz auf die Tausenden Landwirtinnen und Landwirte, die hart in der Sache, aber friedlich und geordnet demonstrieren.
Wenn wie in Augsburg ein Galgen mit einer Ampel zu sehen ist – ist das für Sie in Ordnung?
Felßner: Das ist laut Staatsanwaltschaft zwar rechtlich nicht angreifbar, aber ich lehne solche Symbole ab. Wir brauchen keine martialischen Bilder, die Botschaft ist bei den Menschen angekommen, dass diese Maßnahmen die Bauern in der Existenz bedrohen.
Wie hart träfe ein Ende der Agrardiesel-Rückvergütung die Landwirte tatsächlich?
Felßner: Für einen Vollerwerbsbetrieb bedeutet die Agrardieselvergütung ein bis zwei Monatseinkommen – bei meinem Hof 4500 Euro jährlich. Und das, wo jedes Jahr ein Prozent der Höfe aufhört – auch wegen der Einkommenssituation.
Im Durchschnitt hatte ein Haupterwerbsbetrieb zuletzt einen Ertrag von 115.400 Euro – ein Plus von 45 Prozent.
Felßner: Aber das ist nicht mit einem Arbeitnehmereinkommen zu vergleichen – auf einem Betrieb arbeiten oft zwei bis drei Personen. Wir hatten tatsächlich das erste Mal seit 50 Jahren ein Einkommen, das in etwa an den gewerblichen Vergleichslohn herangereicht hat, allerdings nach sehr vielen schwachen Jahren. In Bayern waren es bei Haupterwerbsbetrieben im Schnitt 80.000 bis 90.000 Euro, kleinere Betriebe verdienen deutlich weniger. Davon müssen noch Sozialversicherungsbeiträge und Steuern bezahlt werden, außerdem muss investiert werden.
Die Höfe im Freistaat sind deutlich stärker von Subventionen abhängig als im Rest Deutschlands. Warum?
Felßner: In Bayern haben wir innerhalb Deutschlands die kleinsten Strukturen. Je größer ein Betrieb ist, desto effizienter wird er pro Einheit – ob in der Tierhaltung oder im Ackerbau. Und je kleiner ein Hof ist, desto größer ist der Anteil von Subventionen. Dieses ganze Fördersystem, das uns hohe Umweltstandards, eine gepflegte Kulturlandschaft und eine Lebensmittelversorgung in höchster Qualität sichert, kostet jeden EU-Bürger 33 Cent am Tag. Ich meine: Das muss es uns wert sein!
Die Ampel hat die Pläne, die Kfz-Steuer für landwirtschaftliche Maschinen einzuführen, zurückgenommen. Warum sind Sie nicht in den Dialog gegangen?
Felßner: Die Bauern sollen trotzdem fast eine halbe Milliarde pro Jahr mehr zahlen beim Agrardiesel.
Ein fauler Kompromiss also?
Felßner: Er ist indiskutabel. Es ist ungerechtfertigt, die Rückvergütung abzuschaffen. Die Grundidee dieser Erstattung, die ja keine Subvention ist, besteht darin: Die Landwirte bekommen, weil sie den Großteil auf dem Acker und nicht auf der Straße fahren, einen Teil der Mineralölsteuer zurück. Bislang sind das 21,5 von 47 Cent. Im Übrigen nützt es dem Klima gar nichts, die Agrardieselbeihilfe zu streichen. Wir Landwirte können nicht einfach auf andere Energieträger oder Technologien umsteigen, denn die gibt es nicht. Wenn ich ackern muss, muss ich ackern – und dafür brauche ich Kraftstoff. Wenn die Ampelregierung etwas fürs Klima tun will, muss sie Kerosin besteuern, dann wird weniger geflogen.
Sie haben gesagt: Wenn die Ampel Ihre Pläne nicht zurücknimmt, legen Sie nach der Demo in Berlin am Montag "eine Schippe drauf". Was heißt das?
Felßner: Wir haben bisher davon abgesehen, Infrastruktur zu blockieren, etwa die Lebensmittelversorgung. Aber wir lassen uns nicht einfach mehrere Monatseinkommen aus der Tasche ziehen.
Alles deutet auf ein Patt hin. Sie haben einen „heißen Januar“ angekündigt ...
Felßner: Wir wollen diesen „heißen Januar“ nicht. Aber klar ist: Wir werden unsere Aktivitäten erst einstellen, wenn beide Maßnahmen zurückgenommen werden – die Kfz-Steuer und die Streichung der Agrardieselbeihilfe. Wir haben zwölf Kröten geschluckt in den letzten zwei Jahren – unter anderem haben wir drei Milliarden pro Jahr für den vereinbarten Tierwohl-Umbau nicht bekommen, 200 Millionen für Flurneuordnung und Dorferneuerung wurden gestrichen, 77 Millionen Euro für die Unterstützung der Sozialversicherung der Landwirte. Deswegen sagen wir: Zu viel ist zu viel!
Günther Felßner ist seit einem Jahr Präsident des Bayerischen Bauernverbands. Der 57-Jährige führt mit seiner Familie einen landwirtschaftlichen Betrieb in Lauf an der Pegnitz.