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Bauern-Protest: Voll in Fahrt: Bauern gehen in Bayern an über 200 Orten auf die Straße

In München machten tausende Landwirte ihrem Ärger über die Ampel Luft.
Bauern-Protest

Voll in Fahrt: Bauern gehen in Bayern an über 200 Orten auf die Straße

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    Mit einem Mal ist sie da, die Wut. Wie eine Welle schwappt sie durch die mehrere Tausend Köpfe starke Menge. Die Menschen pfeifen, buhen und rufen: „Hau ab“. Je länger der Mann auf der Bühne spricht, desto lauter werden sie. Dass Karl Bär überhaupt zu Wort gekommen ist, hat er nur dem massiven Einsatz von Günther Felßner zu verdanken. Mehrfach appelliert der Präsident des Bayerischen Bauernverbands an die Menge, den Grünen-Bundestagsabgeordneten Bär ausreden zu lassen. Doch was der Agrarpolitiker aus dem Kreis Miesbach vorbringt, wollen die Bauern nicht hören, die bei minus drei Grad in die Landeshauptstadt gekommen sind. Als Bär dann auch noch sagt, „der demokratische Staat lässt sich nicht erpressen“ und einen Vergleich zu den „Klima-Klebern“ zieht, denen das mit ihren Blockaden auch nicht gelungen sei, hat auch Felßner genug. Die Proteste der Bauern seien keine Erpressungsversuche, sondern Meinungsbekundungen, die mehr als 200 Protestaktionen, mit denen Bayerns Bauern an diesem unwirtlichen Januar-Montag im gesamten Freistaat auf die Straße gehen, seien alle ordentlich angemeldet und genehmigt. Von der Polizei klingt das mancherorts anders. 

    Rund 10.000 Menschen sollen zum Bauernprotest nach München gekommen sein.
    Rund 10.000 Menschen sollen zum Bauernprotest nach München gekommen sein. Foto: Frank Hoermann

    München ist an diesem Tag das Zentrum der Bauernproteste, aus weiten Teilen Bayerns sind die Landwirte in einer Sternfahrt hierhergekommen. 7000 Traktoren steuerten nach Angaben des Bauernverbandes die Landeshauptstadt an, rund 10.000 Menschen seien zu der zentralen Kundgebung am Odeonsplatz gekommen. Im Vorfeld hatte es große Befürchtungen vor einem Verkehrschaos in der Millionenstadt gegeben. Aber nach Angaben der Polizei verlief die sternförmige Anfahrt zur großen Versammlung in

    Günther Felßner, Präsident des Bayerischen Bauernverbands.
    Günther Felßner, Präsident des Bayerischen Bauernverbands. Foto: Daniel Löb, dpa

    Anderswo im Freistaat legen Hunderte von Traktoren Verkehr, Alltag und teils auch das Gesundheitswesen lahm. An Kliniken im Allgäu müssen Operationen verschoben werden. An den Krankenhäusern in Kaufbeuren, Buchloe und Füssen etwa ist Personal zu spät im Dienst erschienen oder schaffte es wegen der Blockaden erst gar nicht ins Krankenhaus. Klinikvorstand Andreas Kutschker ist im Gespräch mit unserer Redaktion besorgt: „Ich glaube nicht, dass den Beteiligten wirklich bewusst ist, welche Konsequenzen ihre Blockaden haben“, kritisiert er. „Wenn das noch die ganze Woche so weitergeht, wird das nicht zu stemmen sein. Schließlich haben wir ja nicht endlos Kapazitäten, um geplante OPs einfach zu verschieben.“ Auch der Rettungsdienst werde durch die Blockaden behindert. Das könne lebensbedrohlich sein. 

    Die Bauern selbst bestreiten, mit ihren Aktionen Menschen in Gefahr zu bringen. Man achte streng darauf, dass eine Rettungsgasse freigehalten werde und der Winterdienst durchkomme, heißt es immer wieder. Auch Menschen, die in systemrelevanten Berufen arbeiten, sollen durchgelassen werden. Im Allgäu klappt das augenscheinlich nicht. 

    Nahe Lindau werden Bauern wegen Nötigung angezeigt

    Ein Konvoi mit etwa 50 Traktoren blockiert am Montag den Kreisverkehr an der Lindauer Auffahrt zur Autobahn 96. Die Aktion ist unangemeldet. Strafrechtlich gilt das als Nötigung, drei Landwirte werden deswegen angezeigt. Mehrfach ermittelt die bayerische Polizei wegen „extremer Langsamfahrt“. Solche „Bummelfahrten“ werden aus mehreren Teilen Bayerns gemeldet - etwa aus dem Kreis Aichach-Friedberg. Innerhalb von Minuten bilden sich dort morgens Autoschlangen, weil Bulldogs in Schrittgeschwindigkeit über die Straßen rollen. Auf den Autobahnen A7, A8 und A96 geht entweder nichts mehr oder sie sind fast leer wie im Unterallgäu, weil es wegen der Blockaden kaum PKW auf die Schnellstraßen schaffen. 

    Überhaupt ist das Unterallgäu ein Brennpunkt der Proteste, Mindelheim ist vormittags nahezu ganz blockiert, kirchliche Schulen haben vorsorglich schon am Sonntag Distanzunterricht angeordnet. Bayernweit erlaubt das Kultusministerium Schülerinnen und Schülern mit Entschuldigung zu Hause zu bleiben, wenn ihre Busse es nicht zu den Schulgebäuden schaffen. 80 Schulen und Kitas rund um

    Nicht nur die Bäuerinnen und Bauern protestieren

    Viele der Protestkundgebungen verlaufen aber ohne größere Zwischenfälle. Friedlich demonstrieren über 2000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Beispiel auf der Kaiserwiese in Nördlingen. Mancher Lebensmittel-Einzelhändler lässt aus Solidarität mit den Landwirten sein Geschäft geschlossen. „Sie sind Vorlieferanten für die Produkte, die bei uns im Regal stehen. Und wir arbeiten auch mit Landwirten zusammen, die uns direkt beliefern“, sagt etwa der Betreiber mehrerer Lebensmittelmärkte im Allgäu. 

    Auch in München sind es nicht nur Bäuerinnen und Bauern, die demonstrieren. Bäcker, Metzger, Gastwirte und Müller protestieren gegen die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent im Gastro-Bereich sowie gegen den Wegfall der Strom- und Gaspreisbremsen, außerdem gegen die Erhöhung der CO2-Abgabe und die neue Lkw-Maut. Auch der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung zeigt Flagge. Das Bild aber prägen die Bauern mit ihren PS-starken Traktoren, die vom Odeonsplatz ab die gesamte Ludwigstraße entlang stehen und an vielen anderen Stellen in der Innenstadt. Nevio Kusik und seine Mutter Christine haben aus Oberneul bei Dasing (Kreis Aichach-Friedberg) im Traktor rund eineinhalb Stunden an den Odeonsplatz gebraucht. Sie betreiben einen Reitstall und fühlen sich den vielen Landwirten eng verbunden. Angesichts der Größenordnung der Proteste glaubt Christine Kusik an eine Wirkung: „Wenn zehn Leute durch die Straße ziehen, interessiert das keinen.“ Dabei gehe es schon lange nicht mehr um KfZ-Steuer und Diesel-Subvention, meint Nevio Kusik: „Das war nur der Auslöser, der Tropfen, der Fass zum Überlaufen gebracht hat.“ 

    Die B12 zwischen Kempten und Marktoberdorf war teilweise komplett dicht.
    Die B12 zwischen Kempten und Marktoberdorf war teilweise komplett dicht. Foto: Ralf Lienert

    Tatsächlich spricht der bayerische Bauernpräsident Felßner von einer „Orgie von Einschnitten“, die die Berliner Ampel-Regierung zulasten der Bauern vorgenommen habe. Felßner sieht seine Bauern als Speerspitze des bürgerlichen Protests gegen die Ampelregierung und mahnt sie deshalb mehrfach, es mit ihren Protesten nicht zu übertreiben. „Bleiben wir sympathisch.“ Übergriffe wie gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck verurteilt Felßner, für rechts oder linksextreme „Umsturzidioten“ sei kein Platz in den Reihen der Bauern. Außer dem geladenen Grünen-Abgeordneten Karl Bär spricht an diesem Tag in München kein Politiker, unter die Demonstrierenden mischen sich Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler). 

    Knapp eineinhalb Stunden Autofahrt vom Odeonsplatz entfernt liegt Kloster Seeon – zumindest, wenn gerade keine Traktoren die Straßen blockieren. Dort tritt zeitgleich der deutsche Bauernpräsident vor die Kameras. Die CSU-Bundestagsabgeordneten haben ihn zu ihrer Winterklausur ins tief verschneite Oberbayern eingeladen. Für Joachim Rukwied wird der Besuch zum Heimspiel.

    Seit Tagen betont die CSU-Spitze unaufhörlich ihr Verständnis für den Frust der Landwirte, die traditionell zum eigenen Stammpublikum gehören. Und auch wenn Parteichef Markus Söder radikale Übergriffe klar anprangert, attestiert er den Bauern doch zugleich eine Art Notwehr gegen die Bundesregierung. „Ein ganz großer Teil der Bevölkerung hat überhaupt keine Hoffnung mehr, auf normalem Wege eine Veränderung zu erreichen“, sagte Bayerns Ministerpräsident. Landesgruppenchef Alexander Dobrindt legte mit einer düsteren Prophezeiung nach: „Die Ampel hat Deutschland in Unordnung gebracht.

    Angesichts solcher Rhetorik ist es ausgerechnet der Anführer des Bauernaufstands, der im Gespräch mit Journalisten vorausschicken muss, dass er ein aufrechter Demokrat sei. „Veränderung in der Politik, Veränderung in der Regierung geschieht am Ende über das Kreuzchen in der Wahlkabine“, erteilt Rukwied allen Umsturzfantasien eine unmissverständliche Absage. Persönliche Angriffe, Drohungen oder Besuche vor Privathäusern von

    Ähnlich hatte sich zuletzt auch der stellvertretende bayerische Ministerpräsident Aiwanger geäußert. Er unterstellte der Regierung sogar, die Bauernschaft bewusst dezimieren zu wollen. Aiwangers Populismus stellt die CSU vor ein Dilemma: Einerseits will sie verhindern, dass ihr die Freien Wähler endgültig den Rang als Bauernpartei ablaufen. Andererseits wissen die

    Hubert Aiwanger (Freie Wähler), stellvertretender Ministerpräsident und bayerischer Staatsminister für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie, mischte sich in München unter die Demonstrierenden.
    Hubert Aiwanger (Freie Wähler), stellvertretender Ministerpräsident und bayerischer Staatsminister für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie, mischte sich in München unter die Demonstrierenden. Foto: Lennart Preiss, dpa

    Dass das immer und überall glückt, daran hat der innenpolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Florian Siekmann, offenbar Zweifel. Er sagt: „Friedlicher Protest gehört zur Demokratie. Willkürliche Blockaden, Umsturzfantasien und Bedrohungen sind aber kein Protest, sondern kriminell.“ Deshalb hat seine Fraktion eine ausführliche Anfrage ans Innenministerium gerichtet. Dieses soll auflisten, inwieweit bei den Protesten in Bayern gegen Recht und Gesetz verstoßen wurde. Unter anderem wollen die Grünen wissen, wo protestierende Bauern Mist abgeladen haben – und wo es Aufrufe zum Umsturz gegeben habe. 

    Ganz konkret Mist gebaut haben Landwirte bei Selb (Landkreis Wunsiedel), das ist jetzt schon klar. Dort hätten auf einer Zufahrt zur A93 Stroh, Mist und Silage auf der Fahrbahn gelegen, berichtet ein Polizeisprecher. „Drüberfahren konnte man nicht. Der Haufen war schon größer.“ 

    Bei der Münchner Demo hängen selbstgebastelte Ampeln von Galgen herab, das Internetportal Endstation Rechts berichtet auch aus Wunsiedel, dass bei einer Demo sogar Galgen mit Puppen in Ampelfarben gesichtet wurden. Dass das gar nicht geht, daran hat vor den Bauernprotesten die junge Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, ein Zusammenschluss mehrerer Jungbauernvertretungen, keinen Zweifel gelassen. Sie distanziert sich klar von politischer Instrumentalisierung und Ampel-Bashing. In einem zigfach geteilten Online-Video sagen junge Bauern und Bäuerinnen: „Wenn man jetzt ruft, die Ampel muss weg, lenkt das nur ab von den letzten Jahrzehnten miserabler Agrarpolitik. Wir wollen nicht von Steuerbefreiungen abhängig sein, sondern von unserer Produktion leben können (...) Aber dazu brauchen wir verlässliche Rahmenbedingungen.“ (mit jhaa, kgs, dpa)

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