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Bahn: Alltag statt Ansturm: So lief der Start des Neun-Euro-Tickets

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Alltag statt Ansturm: So lief der Start des Neun-Euro-Tickets

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    Am ersten Geltungstag des Neun-Euro-Tickets sind die Fahrgäste im Berufsverkehr am Mittwochmorgen weitgehend reibungslos ans Ziel gekommen.
    Am ersten Geltungstag des Neun-Euro-Tickets sind die Fahrgäste im Berufsverkehr am Mittwochmorgen weitgehend reibungslos ans Ziel gekommen. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Genüsslich beißen die beiden Frauen nochmal in ihr Butterbrot. In der Ellenbeuge, verpackt in einer türkisen Outdoorjacke, hat eine der beiden ihre rote Ein-Liter-Trinkflasche geklemmt. Beide tragen Rucksäcke. Iris und Monika, die hellen Haare jeweils zu einem praktischen Zopf gebunden, haben sich an diesem Mittwoch für einen Ausflug einen Tag freigenommen - von Landshut, ihrer Heimatstadt, nach Augsburg soll es gehen.

    Am Münchner Hauptbahnhof steigen sie um, die Zeit nutzen die Frauen Mitte 50 kurz zur Stärkung. Eigentlich wollten die beiden die 120 Kilometer mit dem Auto zurücklegen. Doch pünktlich zum gewählten Ausflugstag, dem 1. Juni, gibt es für sie einen Anlass, statt auf die A92 und A8 einfach mal auf die Schiene zu setzen. Kleingefaltet, verstaut in der Geldbörse der beiden Landshuterinnen: das Neun-Euro-Ticket, das seit Mittwoch in Deutschland gilt.

    Neun Euro, die es ermöglichen, jeweils in den Monaten Juni, Juli und August den Nahverkehr in ganz Deutschland zu nutzen. Die Idee dahinter: Die Bundesregierung will Bürgerinnen und Bürger finanziell entlasten und öffentliche Verkehrsmittel attraktiver machen. 2,5 Milliarden Euro hat der Bund dafür zur Verfügung gestellt.

    Wo ist das befürchtete Chaos an den Bahnhöfen geblieben?

    Die Ausflugspläne von Monika und Iris an diesem Mittwochmorgen stehen stellvertretend für Erwartungen und auch Befürchtungen, die das viel diskutierte Ticket in den vergangenen Wochen ausgelöst hat: Auf der einen Seite ist die die Möglichkeit, mal rauszukommen, einen Kurztrip zu machen. Für nur Neun Euro sogar mal Sylt zu besuchen, auch wenn es von Augsburg aus 15 Stunden und sechs Umstiege erfordert. Andererseits die Angst vor dem Ausflugsverkehr, der für überfüllte Strecken und überlaufene Regionalzüge sorgen könnte. Kurzum: Viel Trubel an und auf der Schiene. Zeit, zum Start des Tickets die Frage aufzuwerfen: Ist das so? Wie ist die Stimmung am größten bayerischen Bahnhof, dem Münchner Hauptbahnhof?

    Wuselig ist es am Morgen um kurz vor acht Uhr auf jeden Fall. Es zeigt sich aber auch: Der große Ansturm bleibt aus. Kleine Rollkoffer gleiten mit einem Menschenstrom über den Granitboden hin zum Gleis, werden vom Gleis zum Bahnhofsausgang geschoben. An den Rollkoffern: Anzugträger, amerikanische Touristinnen, Schulklassen in Zweierreihen, Kinder Hand in Hand. Hektik, gepaart mit Wartezeiten. Pendleralltag, gepaart mit Reisefieber. Lautsprecheransagen übertönen Gespräche und sind doch unverständlich. Sonnenstrahlen lassen durch die großen Fenster die Butter in den Brezeln der Bahnhofs-Bäckereien glitzern, vor den Auslagen längere Schlangen.

    Neun-Euro-Ticket: Am Münchner Hauptbahnhof herrscht Normalbetrieb

    In der Mitte der Halle: zwei geduldige, freundliche Gesichter in dunkelblauer Uniform. An Doan und Angela Klement sind Teil des Servicepersonals der Deutschen Bahn und geben seit sieben Uhr Passagieren und Reisegästen Auskunft in allen Angelegenheiten - das Fahrgastaufkommen am Bahnhof haben sie also im Blick. Doch ob nun ausgerechnet heute Morgen mehr los ist, da scheiden sich ihre Geister. Er findet ja, sie nein. Einig sind sich die beiden aber bei einer Sache: "Es kommen viele Personen zu uns, die Hilfe beim Neun-Euro-Ticket brauchen", sagt An Doan. "Wohin können sich mit dem Ticket fahren? Wie sie es mit den Zeitkarten aus?"

    An Doan (links) und Angela Klement sind Auszubildende bei der Deutschen Bahn. Gerade sind sie als Servicepersonal am Münchner Hauptbahnhof eingesetzt. Sie erhalten von vielen Fahrgästen Fragen zum Neun-Euro-Ticket.
    An Doan (links) und Angela Klement sind Auszubildende bei der Deutschen Bahn. Gerade sind sie als Servicepersonal am Münchner Hauptbahnhof eingesetzt. Sie erhalten von vielen Fahrgästen Fragen zum Neun-Euro-Ticket. Foto: Victoria Schmitz

    Seine Kollegin Angela Klement beobachtet, dass häufig Verwirrung herrscht, was das Ticket für die bestehenden Abos bedeutet. Klar ist vielen dagegen, dass das Neun-Euro-Ticket nicht für den Fernverkehr gilt. Damit, dass sie auch die kommenden Wochen mehr Auskunft geben müssen, rechnen die beiden. Dafür bekämen sie jedoch auch personelle Unterstützung, erklärt Klement. Erst gerade seien zwei neue Kollegen nahe eines anderen Fahrkartenautomaten in der Bahnhofshalle dazugekommen.

    Nachfrage nach Neun-Euro-Ticket ist seit Verkaufsbeginn hoch

    Seit dem 23. Mai ist das Neun-Euro-Ticket erhältlich. Zeitweise war die Website der Deutschen Bahn überlastet, weil am ersten Verkaufstag der Andrang so hoch war. Bis Dienstag, einen Tag vor Beginn der Gültigkeit, sind bereits sieben Millionen Neun-Euro-Tickets verkauft worden. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen rechnet mit etwa 30 Millionen Ticketnutzerinnen und -nutzern pro Monat. Wer von den Reisenden, die an diesem Morgen unterwegs sind, nutzt das Ticket bereits? Auffällig ist: Die Mehrheit scheint es noch nicht zu sein, vielleicht ein Drittel. Die wohl häufigsten Antworten von Reisenden: "Nein, ich bin dienstlich unterwegs, das ICE-Ticket nach Nürnberg zahlt die Firma." Oder: "Nein, ich bin auf den Fernverkehr angewiesen und habe ein Sparpreis-Ticket."

    Einige fremdsprachige Touristinnen und Touristen mit großen Koffern zeigen sich begeistert, wenn sie vom Neun-Euro-Ticket hören; einige Münchnerinnen und Münchner mit Aktentaschen freuen sich über die günstigere Alternative zur Streifenkarte für U-Bahn, Bus oder Tram. Tatsache ist jedoch: Neben denen der beiden Ausflüglerinnen Monika und Iris sind an diesem Morgen kaum andere Wanderrucksäcke in der Münchner Bahnhofshalle zu sehen. Aber vielleicht anderswo?

    Kein Ausflug ohne Brotzeit - das ist auch im Allgäu zu beobachten. Die Semmeln sind geschmiert, die Wasserflaschen eingepackt, das Neun-Euro-Ticket unterschrieben: Das Ehepaar Burghard, 68, und Jutta Grasnick, 65, steht gemeinsam mit deren Schwester Ute, 60, startklar am Bahnhof in Oberstdorf.

    Pfingstwochenende wird zur Bewährungsprobe für den Ausflugsverkehr

    Das Trio freut sich auf einen Ausflug, den es ohne das neue ÖPNV-Angebot wohl nicht unternommen hätte: Sie fahren zum Eis essen mit dem Zug ans Meer. Genauer gesagt ans Schwäbische Meer, wie der Bodensee augenzwinkernd genannt wird. Von Oberstdorf geht es ins 80 Kilometer entfernte Lindau. „Den Ausflug hätten wir ohne das Neun-Euro-Ticket nicht gemacht. Das ist ein tolle Einladung, die Bahn zu nutzen“, sagen die drei, die sich einen Urlaubstag gönnen. Dass um kurz vor neun Uhr am Bahnhof kaum etwas los ist, überrascht sie nicht: „Die meisten Leute dachten wahrscheinlich, dass am Start-Tag alle Züge überfüllt sind und haben deshalb erst mal abgewartet“, meint Burghard Grasnick. Der von Skeptikern befürchtete Andrang blieb auch im ländlichen Raum aus. „Das war ein ruhiger Betriebsstart am ersten Tag“, bilanziert Bahn-Sprecherin Maja Kolonic vom Regionalbüro München.

    Das Ehepaar Grasnick macht sich mit Begleitung direkt zu Beginn des Neun-Euro-Tickets aus Oberstdorf zu einem Ausflug auf.
    Das Ehepaar Grasnick macht sich mit Begleitung direkt zu Beginn des Neun-Euro-Tickets aus Oberstdorf zu einem Ausflug auf. Foto: Ralf Lienert

    Das bestätigt auch Norbert Moy, Vorsitzender vom Fahrgastverband Pro Bahn Oberbayern. "Die Züge waren gut besetzt, aber Überfüllung gab es heute nicht, soweit mir bekannt ist", erklärt er. In den kommenden drei Monaten erwartet er im Berufsverkehr ein erhöhtes Fahrgastaufkommen, aber keine Engpässe. Die sieht er eher im Ausflugsverkehr auf beliebten Strecken. Auch nach Einschätzung der Münchner Verkehrsbetriebe waren am Mittwochmorgen nicht mehr Fahrgäste als gewöhnlich unterwegs.

    Das Pfingstwochenende könnte allerdings zur Bewährungsprobe für das Neun-Euro-Ticket werden. Das finden sowohl Norbert Moy als auch Maja Kolonic. Sofern das Wetter mitspielt, werden neben Urlaubern auch viele Ausflügler im Allgäu erwarten. Weitere Waggons könnten auf beliebten Strecken, wie der von Augsburg über Kempten nach Oberstdorf, die Folge sein. „Punktuelle Verstärkungen bei Bedarf“ kündigt die Bahn-Sprecherin an. Die Mitnahme von Fahrrädern könne bei voller Auslastung nicht garantiert werden. Radlern empfiehlt sie über Pfingsten, Stoßzeiten zu vermeiden und beispielsweise die jeweils ersten und letzten Züge am Tag zu nutzen.

    Kritikpunkte: Kosten, Entlastung für Fernverkehrspendler, langfristige Wirkung

    Die befürchtete Überlastung von Zügen ist einer der Kritikpunkte, die im Vorfeld am Neun-Euro-Ticket laut wurden. Doch nicht nur das. Norbert Moy von Pro Bahn kritisiert vor allem, dass durch das Ticket zwar ein Anreiz für Ausflügler geschaffen wurden, aber Fernverkehrspendler mit einem Zeitkartenabo nicht entlastet werden. Auch ländliche Gegenden, in denen der ÖPNV schlecht ausgebaut sei, gingen leer aus. Er sagt zudem: "Viele Verkehrsunternehmen sind von der Aktion Neun-Euro-Ticket überrascht worden. Kapazitäten kann man nicht innerhalb von Wochen oder Monaten hochfahren." Um mehr Menschen längerfristig an die Bahn zu binden, müsse man in Jahren denken und entsprechende Strukturen schaffen, bevor eine solche Aktion startet.

    Auch an der Verteilung der Kosten gab es im Vorfeld viel Kritik. Denn obwohl der Nahverkehr im Aufgabenbereich der Länder liegt, hat der Bund das Neun-Euro-Ticket beschlossen. Zwar erhalten die Länder Geld dafür, doch die üblichen Ticketeinnahmen fallen weg. Was außerdem für Unmut sorgt: Tatsächlich gilt das Ticket nicht in allen Regionalbahnen - in denen DB Regio schon, aber nicht in denen von

    Eine, die aus Überzeugung das Neun-Euro-Ticket nicht nutzen und auch ihren Nachnamen nicht nennen möchte, ist Friederike. "Unmöglich", nennt die etwa Fünfzigjährige mit grau-blonden Haaren die Tatsache, dass das Ticket überhaupt existiert. Am Münchner Hauptbahnhof wartet sie am Mittwochmorgen auf den ICE nach Köln. "Es herrscht Krieg in Europa, wir haben eine Energiekrise - da muss jeder einfach mehr in die Tasche greifen. Entweder arbeiten oder sparen. Ich finde nicht gut, dass die Bundesregierung so viel Geld dafür ausgibt."

    Das sagen Pendler am Münchner Hauptbahnhof zum Neun-Euro-Ticket

    Doch wie steht es um die, die im Alltag auf die Bahn angewiesen sind - Pendlerinnen und

    Einmal wöchentlich ist auch Johannes Thussbas auf das Pendeln von München nach Regensburg für ein Projekt angewiesen. Stört es ihn, dass die Züge die kommenden drei Monaten nun voller werden könnten? "Nein", sagt der Mann mit hellblauem Hemd und Laptoptasche. Was ihm allerdings Sorgen bereitet: Dass durch mehr Menschen im Zug auch die Ansteckungsgefahr bei Corona steigen könnte, selbst, wenn noch Maskenpflicht herrscht. Diesen plötzlichen Widerspruch der Politik, die noch die vergangenen beiden Jahren das genaue Gegenteil gewollt habe, könne er nicht nachvollziehen.

    Johannes Thussbas pendelt einmal die Woche von München nach Regensburg zum arbeiten. Nutzen will er das Neun-Euro-Ticket aber auch vor allem privat.
    Johannes Thussbas pendelt einmal die Woche von München nach Regensburg zum arbeiten. Nutzen will er das Neun-Euro-Ticket aber auch vor allem privat. Foto: Victoria Schmitz

    Ob er es unfair findet, dass er als Pendler in den kommenden drei Monaten möglich überfüllten Zügen ausgesetzt ist? Er sagt: "Ich mache keinen Unterschied zwischen Pendler und privat. Auch der Pendler trifft ja bewusst die Entscheidung, zu pendeln. Man kann ja auf ICs und ICEs ausweichen." Er hofft, dass das Neun-Euro-Ticket für viele ein "positiver Impuls" ist, auf Bus und Bahn umzusteigen - dafür müsse Bahnfahren aber längerfristig günstiger werden.

    Friederike, wartend auf ihren Zug nach Köln, will wegen des zu erwartenden Andrangs das Bahnfahren in den kommenden Monaten vermeiden, wenn es geht. Auf mehr Ausflüge, nicht nur nach Augsburg, freuen sich dagegen Monika und Iris. Nürnberg steht als Nächstes auf ihrer Liste.

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