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Beste Reportagen 2022: Wie Schlossbesitzer mit ihrer schwierigen Aufgabe umgehen

Beste Reportagen 2022

Wie Schlossbesitzer mit ihrer schwierigen Aufgabe umgehen

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    Daniela von Hauch wohnt mit ihrer Familie auf Schloss Haunsheim im Landkreis Dillingen. Die Rechtsanwältin sieht die Erhaltung des Gemäuers als spannende Herausforderung, die so manche Überraschung mit sich bringt.
    Daniela von Hauch wohnt mit ihrer Familie auf Schloss Haunsheim im Landkreis Dillingen. Die Rechtsanwältin sieht die Erhaltung des Gemäuers als spannende Herausforderung, die so manche Überraschung mit sich bringt. Foto: Marcus Merk

    Es tutet ein paar Mal. Der Freiherr nimmt ab. „Das Schloss? Das habe ich verkauft.“ Es war einfach zu viel. Zu viel Platz, zu viel Arbeit, zu hohe Kosten. Ob ihn das wehmütig macht? „Nein. Ich bin froh, dass ich’s los habe.“ Klingelt man beim Freiherren aber später zu Besuch an der Tür, dann ist die Wehmut doch zu spüren. Viele Erinnerungen, viel Herzblut und ein ganzes Lebenswerk stecken darin.

    Leben im Schloss, das klingt für viele wie ein Traum. Viel Platz, knarrende Böden, hohe Decken, übermannshohe Flügeltüren. Räume, die Vergangenheit atmen. Doch für moderne Schlossherren ist das Leben im historischen Gemäuer eher voller, manchmal auch unangenehmer Überraschungen. Gerade jetzt, in unsicheren Zeiten. Klar: Die Normalverbraucherin, der Normalverbraucher ist angesichts der steigenden Energiepreise schon froh, ihre oder seine eigenen vier Wände – womöglich eine gemietete Zwei-Zimmer-Wohnung – warm zu bekommen. Wie soll man alles bezahlen? Und wenn man vielleicht ein Eigenheim hat: Dämmen, renovieren, modernisieren. Was das alles kostet! Aber: Für Schlossbesitzer sind diese Fragen schon immer ein Thema, denn an ihren alten Gemäuern ist natürlich ständig etwas zu tun. Schon bisher eine Lebensaufgabe. Und jetzt kommt auch noch die Energiekrise dazu.

    Das Schloss wurde zu groß und machte zu viel Arbeit

    Ein strahlender Herbsttag am äußersten Rand Bayerns – Bächingen im Kreis Dillingen liegt an der Grenze zu Baden-Württemberg. Das Schloss ist umgeben von einer Mauer und alten Bäumen. Seit Ende der 40er-Jahre war es das Zuhause von Albrecht von Süsskind-Schwendi. Er lebte im Schloss Bächingen, das seit dem 19. Jahrhundert im Familienbesitz war. Von außen wirkt das Schloss mit seinen vier Ecktürmen und den gestreiften Fensterläden eher wie eine mittelalterliche Burg. Ein kleines Dornröschenschloss.

    Der ursprüngliche Schlossherr ist vor acht Jahren ausgezogen und lebt jetzt im nahen Pfarrhaus. Mit einem breiten Lächeln öffnet von Süsskind-Schwendi die Tür und reicht die Hand zum Gruß. Es ist eine Hand, die schon viel gearbeitet hat. Denn von Süsskind-Schwendi war nicht nur Schlossherr, sondern auch Landwirt und Zweiter Bürgermeister. Auf dem Hofgut, das zum Schloss gehörte, hatte er eine große Landwirtschaft mit Kühen, Schweinen und Pferden. In seinem Altersruhesitz im Pfarrhaus sind die Decken niedrig, die Räume gemütlich. Ein bisschen Schlossatmosphäre findet sich auch hier. Der Freiherr hat sein Pfarrhaus mit vielen Antiquitäten eingerichtet. „30 bis 50 Zimmer für zwei Personen? Das war zu groß“, sagt der 85-Jährige heute über sein altes Zuhause. Als seine Frau dann krank geworden und nicht mehr Treppen steigen konnte, hätten sie umziehen müssen. Und so kam es, dass er das für den Ort prägende Schloss verkaufte.

    „15 Jahre hat es gedauert, bis ich jemanden gefunden habe“, berichtet der Freiherr. Weh tue ihm der Verkauf nicht, doch der Anblick des Anwesens schmerze dann schon. Dort ist bislang aus seiner Sicht nicht viel passiert. Als er das Gebäude weiter betrachtet, sagt er aber auch: „Man muss realistisch sein.“ Früher habe er für eine solche Immobilie Personal gehabt, um sie zu erhalten. Wer kann das heute schon bezahlen? Wie bei den Königen hätten auch er und seine Vorfahren nicht auf Schloss Bächingen gelebt. „Es waren längst nicht alle Räume beheizt. Nur Wohnzimmer, Schlafzimmer, das war’s.“ Mehrfache Versuche unserer Redaktion, mit der aktuellen Schlossbesitzerin Kontakt aufzunehmen, um ihre Sicht der Dinge zu erfragen, schlugen leider fehl.

    Nicht allzu weit von Bächingen entfernt liegt das Schloss Haunsheim. Es kommt nah an das heran, was manche „Märchenschloss“ nennen würden. Zinnen säumen beide Giebelseiten des L-förmigen Baus. An einer Seite sitzt ein kleines Türmchen mit spitzem Dach. Das Schloss ist das Zuhause von Daniela Freifrau von Hauch. Die Rechtsanwältin wohnt hier mit ihrem Mann und zwei Söhnen. Das Schloss ist seit 1864 in Familienbesitz. „Heizen ist immer ein Thema“, sagt von Hauch über das Leben im Schloss. Dazu gesellen sich aber noch andere Themen, denn an so einem Gemäuer ist eigentlich ständig etwas zu tun. Trotzdem lächelt von Hauch viel, wenn sie über die Lebensaufgabe Schloss spricht. Es wirkt, als sei es für sie mehr eine spannende Herausforderung als eine Bürde. Daniela von Hauch hat es sich mit ihrer Familie im Schloss gemütlich eingerichtet. Man merkt, dass die Familie das Schloss zu einem Wohnraum gemacht hat und nicht den Wohnraum zum Schloss. Ein paar Familienerbstücke hängen zwar an den Wänden, dennoch wirkt vieles so wie in jedem anderen deutschen Haushalt auch – halt praktisch.

    Die Wohnräume im Schloss werden mit Gas beheizt

    Die Schlossherrin kommt die große Treppe hinunter. Sie hat sich heute den Tag auch für die Handwerker freigehalten. „Eine Stunde war ich mit dem Kaminkehrer unterwegs, um den richtigen Kamin zu finden“, sagt sie und lacht. „Ich lerne immer wieder Neues über das Schloss.“ Von Hauch möchte den alten Holzofen im Wohnzimmer wiederbeleben. Ein raumhoher Kachelofen. „Die Überlegung war schon länger da, die aktuelle Situation hat das nur noch zusätzlich angeschoben.“

    Die Wohnräume im Schloss werden mit Gas beheizt, wenig genutzte Räume mit Elektroheizungen. Oder gar nicht. Auf die Frage, wie viele Quadratmeter von Hauch hier hat, weiß sie keine Antwort. „Ich hab das nie nachgemessen.“ Was die Heizkosten betreffe, seien die angesichts der schlecht isolierten Fenster wohl überdurchschnittlich, doch ähnlich wie ein großes Haus. Einen genauen Wert kann sie nicht nennen.

    Selten haben Handwerker beim Besuch im Schloss gute Nachrichten. Doch beim Thema Ofen kann sich von Hauch glücklich schätzen. „Er hat gesagt, das sei ein super Teil.“ Man müsse nur kleine Anpassungen machen, dann kann der Ofen wieder in Betrieb gehen. Und Heizkosten sparen. Auch die Außenfenster der Küche erhalten neuen Kitt. Trotzdem liegen in allen Fenstern Zugluftstopper. Manche sind nur einfach verglast. Damals, in Zeiten der Großmutter, habe man immer schon darauf geachtet, dass die Türen geschlossen und das Licht ausgeschaltet werde, wenn man es nicht brauche. Hinzu kamen lange, schwere Vorhänge vor Fenstern und Türen, um die Kälte draußen zu halten. Nicht gerade eine einfache Immobilie, doch von Hauch ist optimistisch. „Wir gehen da mit viel Enthusiasmus heran.“

    Oft haben Handwerker schlechte Nachrichten

    Und der ist auch manchmal nötig, etwa, wenn Handwerker einmal schlechte Nachrichten haben. Von Hauch zeigt im Schlosshof, was sie meint. In der Nähe des historischen Brunnens ist kürzlich ein Baum auf die Schlossmauer gefallen. Die ist nun an dieser Stelle zertrümmert. Und dann ist da noch die Sache mit dem Loch in der Fassade. Aus einer kleinen Ausbesserungsmaßnahme wird jetzt eine komplette Fassadenrenovierung. Zumindest befürchtet das die Schlossbesitzerin. Eine Seite des Gebäudes ist jetzt bereits eingerüstet. Doch das ist es nicht, was von Hauch aus der Ruhe bringt. Man müsse flexibel sein bei einem solchen Gemäuer.

    Ein Schloss ist nicht nur in krisenfreien Zeiten nicht die ideale Wohnimmobilie. Oft gibt es schlicht einfach zu viele, zu große Räume. Auf Schloss Haunsheim wollte sie die zumindest zeitweise nutzen. Von Hauch organisiert zusammen mit einem Unterstützerverein regelmäßig Konzerte und Kabarettabende im Kellergewölbe und in der Orangerie. Ursprünglich wollte sie dafür den Rittersaal nutzen. Doch der Brandschutz setzte dem vor Jahren ein Ende. „Wir wollen das Schloss mit Leben füllen und es für die künftigen Generationen erhalten“, sagt von Hauch. Eine schwierige Aufgabe. „Aber wir sind guter Dinge.“

    Doch so ein Schloss ist nicht nur Zuhause, es ist auch ein weithin sichtbarer Teil der Geschichte, es ist Sehnsuchtsort, Ausflugsziel und Denkmal, das erhalten werden will. Und das wird in Zeiten hoher Heiz- und Baukosten immer schwieriger. Oder?

    Nachfrage bei Bayerns wohl größtem Schlossbesitzer. Der ist kein Fürst und keine Gräfin, sondern es ist der Freistaat selbst. 45 Schlösser, Burgen und Residenzen gehören Bayern. Hinzu gesellen sich noch 21 Park- und Gartenanlagen. Mit den Prachtimmobilien kommt aber natürlich auch eine Aufgabe: Das Kulturerbe zu erhalten. Wie geht das in Krisenzeiten?

    Auf Schloss Neuschwanstein bleibt es kalt

    Zuständig für die Schlösser im Freistaat ist die Bayerische Schlösserverwaltung. Sie ist dem Finanzministerium unterstellt. Auf die Frage nach dem Heizen hat Pressesprecherin Ines Holzmüller eine überraschende Antwort. „Die meisten Schlösser werden gar nicht geheizt.“ Wie bitte? Müssen etwa die Touristenscharen Neuschwanstein mit gefrierenden Atemwolken durch die Säle des verschwenderischen Märchenkönigs pilgern? „Auch Neuschwanstein wird nicht geheizt, genauso wie Schloss Linderhof. Man kann diese hohen Räume gar nicht heizen“, sagt Holzmüller. Ausgenommen seien etwa die Rosenau, ein Schloss nahe Coburg, und das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth. Dort werde aber eher temperiert und klimatisiert – als geheizt. In allen anderen Schlössern würden nur die Personalräume temperiert. Die Kälte habe aber für das Interieur keinen Nachteil: „Kälte ist immer gut für die Bilder und für das gesamte Kunstgut“, erklärt Holzmüller. „Hitze und Licht sind immer schlecht aus konservatorischer Sicht.“

    Große Treppenhäuser, hohe Hallen. Es sind diese Räume, die den Reiz eines Schlosses ausmachen. Doch was für Besucher romantisch anhört, ist nicht immer ein idealer Wohnraum. Albrecht von Süsskind-Schwendi hat seinem ehemaligen Schloss den Rücken gekehrt und spaziert zurück zu seinem Haus. Nein, romantisch war das Leben im Schloss nicht immer. „Aber wir haben’s überstanden“, sagt der 85-Jährige. „Und man sagt ja auch, dass Kühle besser ist für die Gesundheit.“ Was weiter aus seinem Schloss wird, weiß der ehemalige Schlossherr von Bächingen nicht. Seine Kinder hatten das Gemäuer aus dem 16. Jahrhundert eben nicht übernehmen wollen. „Die wollten in einer normalen Wohnung wohnen“, sagt von Süsskind-Schwendi. Jetzt wohnt auch er in einem „normalen Haus“, auch wenn er das Pfarrhaus erst habe herrichten lassen müssen. „Hier hab ich gleich eine Zentralheizung rein- und es wohnlich gemacht“, sagt der Freiherr und lächelt.

    Zum Jahreswechsel haben wir für Sie die besten Reportagen des Jahres zusammengestellt. Dieser Text erschien erstmals am 13. Oktober 2022.

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