Herr Piper, wissen Sie noch, was Sie vor Ihrer Amtseinführung als neuer evangelisch-lutherischer Regionalbischof des Kirchenkreises Augsburg und Schwaben Anfang 2019 angekündigt haben?
AXEL PIPER: Wenn ich mich recht erinnere, sagte ich: Unsere Kirche muss sich verändern und darf auch keine Scheu vor Veränderungen haben. Und ich sagte, sinngemäß: Wir brauchen Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation.
Wörtlich sagten Sie: „Wir müssen rausgehen.“ Denn man könne nicht erwarten, dass die Menschen in die Kirche gingen. Konnten Sie diesen Anspruch einlösen?
PIPER: Ich hätte gerne noch viel mehr kommuniziert. Ich glaube aber schon, dass ich mit vielen Menschen ins Gespräch gekommen bin. Und ich hörte, beinahe etwas zu meinem Erstaunen, vielfach von Engagierten in der Kirche, dass auch sie etwas verändern wollen. Gerade Ehrenamtliche sagten mir: „Wir müssen unsere Gottesdienste verändern, wir müssen unsere Strukturen ändern.“ Im Prinzip rannte ich offene Türen ein. Ich hatte größere Widerstände erwartet.
Und wenn Sie, als Regionalbischof, auf Kirchenferne trafen?
PIPER: Der Titel war manchmal ein Türöffner, etwa bei den zahlreichen Treffen, die ich mit Firmenchefs in der Region suchte. In diesen Gesprächen spürte ich ein großes Vertrauen, dass man mir und der Kirche entgegenbrachte. An eine Reaktion kann ich mich aber auch noch gut erinnern: Ein Artikel in Ihrer Zeitung war mit einem Foto von mir auf dem Fahrrad bebildert. Dazu erhielt ich einen Brief, in dem stand: Mein Rad sei nicht straßenverkehrstauglich, Bischöfe könnten sich wohl alles erlauben! Ich mache mir nichts vor: Es gibt Menschen mit Vorbehalten gegenüber der Kirche und ihren Vertretern. Mir selbst sind solche Vorbehalte in den vergangenen Jahren eher selten untergekommen.
Regelrecht ergriffen zeigten Sie sich im vergangenen Jahr von der bayernweiten Aktion „Einfach Heiraten“. 30 Paare kamen damals in die Augsburger St.-Anna-Kirche, um sich spontan segnen oder kirchlich trauen zu lassen.
PIPER: Auch da gab es ja Kritik: Die Kirche verramsche ihren Segen. Ich konnte das nicht nachvollziehen. Menschen zu segnen und damit zu bestärken, das ist doch unsere Kernaufgabe!
Zeigt eine Aktion wie diese die evangelische Kirche der Zukunft?
PIPER: Wir müssen viel stärker überlegen, was Menschen überhaupt noch vom Glauben und der Kirche wollen, wir müssen verstärkt niedrigschwellige Angebote machen – denn diese Angebote werden nachgefragt und sind enorm wichtig. Zum Beispiel das Pilgern und die Gemeinschaft, die es bietet.
Bei Ihrem Amtsantritt hatte Ihr Kirchenkreis knapp 261.000 Mitglieder, Ende Juli dieses Jahres waren es knapp 239.000. Macht Sie das traurig?
PIPER: Das macht alle traurig, die wie ich in der Kirche Verantwortung tragen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist natürlich traurig, wenn uns die Menschen den Rücken kehren. Aber vielleicht verdeutlicht uns das noch einmal: Wir können eben nicht einfach weitermachen wie bisher. Ich sehe die Entwicklung daher auch als Ermutigung.
Gab es Momente, in denen Sie gehadert haben?
PIPER: Ich bin ein großer Verfechter unserer demokratisch strukturierten Kirche. Was mich manchmal geärgert hat, ist, dass viele Menschen dennoch meinen, sie würden bei Entscheidungen nicht mitgenommen – und das in herber Form zur Sprache bringen. Ein bisschen mehr Verständnis wäre hier gut, es sollte doch in einer Kirche die Grundannahme gelten, dass alle Entscheidungsträger das Beste wollen. Stattdessen gibt es bisweilen fast schon verschwörungstheoretische Verdächtigungen und Unterstellungen.
... die Sie per Mail erhalten?
PIPER: Auch, ja. Oft ist die Aussage: Wie kann die Kirche nur dies oder das tun oder lassen! Zuletzt: Wie kann die Kirche nur in Augsburg-Oberhausen Räumlichkeiten von St. Johannes für einen Süchtigentreff zur Verfügung stellen? Ich habe in solchen Fällen immer das Gespräch gesucht und die Beschwerdeführer eingeladen. Manchmal war ich Blitzableiter, manchmal eine Art Schiedsrichter, immer stand ich für „die Kirche“.
Ist Ihnen das mitunter schwer gefallen?
PIPER: Ehrlich gesagt: Ja. Ich denke da an die Pressekonferenz in Hannover, bei der Ende Januar die Missbrauchsstudie für die evangelische Kirche vorgestellt wurde.
Auf der kritisierten die beauftragten unabhängigen Forscher unter anderem eine „schleppende Zuarbeit der Landeskirchen“.
PIPER: Allein die Missbrauchsfälle und das Versagen der Kirche im Umgang mit ihnen ist unfassbar und furchtbar. Es ist eine Katastrophe! Aber darauf als Kirche auch noch so zu reagieren, solche Fehler zu machen!
Hatten Sie in Ihrem Kirchenkreis mit Tätern, mit Missbrauchsbetroffenen zu tun?
PIPER: Nein, das hatte ich tatsächlich nicht. Aber mich belastet das Thema.
Betroffene und Beobachter beklagen, dass ein Aufschrei – öffentlich und innerhalb Ihrer Kirche – ausgeblieben ist. Ganz anders als in der katholischen Kirche.
PIPER: Eine Erklärung dafür ist vermutlich, dass Fälle und Zahlen aus der katholischen Kirche früher publik wurden und große Aufmerksamkeit erregten. Das führte dazu, dass sogar Menschen aus der evangelischen Kirche austraten. Viele unterscheiden ja gar nicht mehr zwischen katholischer und evangelischer Kirche. Hinzu kommt, dass die Menschen es schlicht nicht mehr hören können, das Thema „Missbrauch in der Kirche“. Es ist ein Thema, das einen nahe geht, und irgendwann will man es möglicherweise nicht mehr so nahe an sich heranlassen. Umso wichtiger ist, dass Aufarbeitung und Prävention innerhalb der Kirche konsequent weiter betrieben werden. Ich glaube: Das findet statt. Ich beobachte, dass in den Gemeinden ein Bewusstsein für die Thematik besteht und wächst.
In Ihre Amtszeit fiel auch die Corona-Pandemie.
PIPER: Ich dachte anfangs, dass die Corona-Pandemie dazu führt, dass wir uns alle wieder bewusster werden, was wichtig ist im Leben: der Wert von Gemeinschaft etwa. Ich muss sagen: Ich war naiv und habe mich getäuscht. Es hat im Gegenteil eher der Egoismus zugenommen, die Menschen sind nervöser und dünnhäutiger geworden. Andererseits wurden während der Pandemie Strukturen aufgebrochen: Unsere Gottesdienste sind kürzer, musikalischer, zielgruppenorientierter geworden, unsere Arbeitsweise vielfach digitaler.
Es gab die Kritik, die Kirche sei zu leise und unkritisch gewesen – bei Kirchenschließungen, Besuchsverboten oder mit ihren Impfempfehlungen.
PIPER: Ich empfinde diese Kritik als wahnsinnig ungerecht. Ich habe mich richtig über sie geärgert. Uns wurde vorgeworfen, wir seien „Träger des Todes“, weil wir weiter und mit strikten Hygienemaßnahmen Gottesdienste angeboten haben – zugleich hieß es, wir seien „Lakaien des Staates“. Beides traf nicht zu. Wir haben versucht, so gut es eben ging, mit der auch für uns neuen, Ängste auslösenden Lage umzugehen. Unsere Seelsorgerinnen und Seelsorger mühten sich mit großem persönlichem Einsatz um die Menschen. Teilweise durften wir bestimmte Dinge auch einfach nicht, aufgrund staatlicher Vorschriften. Hätten wir Widerstand leisten sollen? Hätten wir sagen sollen: Jesus ist mit uns – wir brauchen keine Masken?
Im März berichtete der Evangelische Pressedienst, dass aus den drei südbayerischen Kirchenkreisen zwei werden sollen. Ist das das Ende des Kirchenkreises Augsburg und Schwaben, der erst seit 1971 besteht und der jüngste der sechs Kirchenkreise der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern ist?
PIPER: Nein.
Soll er denn nicht mit dem Kirchenkreis München und Oberbayern fusionieren?
PIPER: Das war ein Denkmodell. Aber entschieden ist noch nichts, das wird erst im Frühjahr soweit sein. Was klar ist: Es wird hier weitergehen. Was auch klar ist: Die drei Kirchenkreise werden sich verändern. Ich könnte mir vorstellen, dass es künftig einen „Kirchenkreis Süd“ gibt – mit zwei Regionalbischöfen, die sich die Arbeit teilen. Das werden wahrscheinlich die aus München und Regensburg sein.
Beschlossen wurde, dass Ihre Bischofsstelle nicht mehr neu besetzt wird. Sie werden der fünfte und letzte Regionalbischof beziehungsweise Kreisdekan des Kirchenkreises Augsburg und Schwaben sein.
PIPER: Das ist in der Tat Beschlusslage, ich werde keinen Nachfolger, keine Nachfolgerin bekommen. Aber es wird natürlich jemand für Schwaben zuständig und sicher auch vor Ort sein. Augsburg ist immerhin die Hauptstadt der bayerischen Reformation! Aber wir müssen mit der Realität umgehen, mit der sinkenden Zahl von Gemeindemitgliedern sowie Pfarrerinnen und Pfarrern. Eine schlankere Kirche braucht schlankere Strukturen. Auf der anderen Seite wollen wir Kapazitäten freiräumen für die Seelsorge.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihrer Kirche?
PIPER: Ich wünsche mir eine Kirche, in der viele Menschen begeistert mitmachen. Menschen, die sich mit Fantasie und Kreativität einbringen, die Neues ausprobieren können. Ich wünsche mir eine Kirche, in der Hauptamtliche keine Angst haben, Fehler zu machen. Eine Kirche, die immer wieder zurückblickt, um zu sehen, was gut war und was besser werden könnte. Ich wünsche mir eine lebendige Kirche.
Wie werden Sie sich künftig in diese Kirche einbringen?
PIPER: Das weiß ich noch gar nicht. Ich werde gewiss noch taufen oder mich bei einer Tafel engagieren. Eines will ich aber ganz bestimmt nicht: als besserwisserischer Emeritus jeder und jedem ungefragt meine Meinung sagen.
Zur Person
Axel Piper ist in Essen geboren. Mit drei Jahren kam er nach München. Sein Abitur machte er in Lindau. Der 65-Jährige ist verheiratet und hat zwei Söhne. Vor seiner Wahl zum Regionalbischof war er Dekan im oberbayerischen Dekanatsbezirk Weilheim, zu dem auch Landsberg am Lech gehört. Piper wird am 19. September um 18 Uhr in einem Gottesdienst in der Augsburger St. Ulrichskirche verabschiedet. Entpflichtet wird er von Landesbischof Christian Kopp. Seinen Ruhestand wird Axel Piper in Peißenberg verbringen.
Ja mei, die Blitze von oben sind ein Zeichen, hoffentlich auch für Blitzableiter.
Herrn Piper kann man nur danken für seinen Einsatz. Ich habe ihn immer als klar, unaufgeregt, zugewandt, freundlich und wunderbar bodenständig erlebt. Es wird spannend, wie die Organisation aussieht, wenn Augsburg keinen evangelischen Bischof mehr hat. Schade ist das eigentlich schon, aber auch gut, dass die Kirche versucht, den Wandel aktiv zu gestalten statt rumzujammern und an alten Strukturen festzuhalten.
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