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Autoland Bayern: China, die große Gefahr für die deutsche Autoindustrie?

Autoland Bayern

China, die große Gefahr für die deutsche Autoindustrie?

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    Bayern ist ein Autoland. Auf dem Bild sind Cadillacs in Horgau zu sehen.
    Bayern ist ein Autoland. Auf dem Bild sind Cadillacs in Horgau zu sehen. Foto: Daniel Biskup

    Wer wissen will, wie es der heimischen Automobilindustrie in der Zukunft ergehen wird, macht besser einen informativen Umweg. Ehe die Reise zur BMW-Wunderglitzer-Technikwelt nach München geht, lässt sich das große Ganze am besten im Kleinen erkennen. Unsere erkenntnisreiche Abzweigung für ein stimmiges Bild des Wirtschaftszweiges führt nach Bobingen im Landkreis Augsburg in ein Industriegebiet. Dort hat ein Mann mit breitem Kreuz und festem Händedruck einen jener Hidden Champions geformt, die nur Branchenkennern bekannt sind, aber mit Spezialprodukten weltweit vorne mitmischen.

    Ralph R. Hufschmied sagt gerne, was er denkt, und schreckt anders als so viele in der auf eine heile Marketingwelt bedachten Branche nicht davor zurück, öffentlich Klartext zu reden. Das scheint auch notwendig zu sein, ist die Fallhöhe für die trotz Diesel-Krise noch exzellent dastehende Autoindustrie doch groß. Sie sieht sich gerade, was die Elektromobilität betrifft, einem amerikanisch-chinesischen Zangenangriff des US-Rivalen Tesla und vieler hungriger asiatischer Wettbewerber ausgesetzt. In der Schlüsselbranche arbeiten deutschlandweit rund 840 000 Beschäftigte, davon allein 205.000 in Bayern. Für die weiß-blaue Volkswirtschaft steht viel auf dem Spiel. Es geht um Wohlstand und sichere Jobs.

    Autozulieferer und Hidden Champion Ralph R. Hufschmied aus Bobingen warnt vor der Konkurrenz aus China.
    Autozulieferer und Hidden Champion Ralph R. Hufschmied aus Bobingen warnt vor der Konkurrenz aus China. Foto: Daniel Biskop

    Der Chef des schwäbischen Autozulieferers Hufschmied Zerspanungssysteme ist sich dessen bewusst. Der gebürtige Augsburger hat sich nach dem Maschinenbau-Studium in München und der Zeit beim renommierten Institut für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften (IWB) mit seinem damals 49-jährigen Vater 1991 als Zwei-Mann-Unternehmen selbstständig gemacht. „Das musste ich tun. Mit meinem losen Mundwerk wäre ich in einem Konzern nicht glücklich geworden“, sagt er und grinst.

    Inzwischen beschäftigt Hufschmieds Unternehmen 120 Mitarbeiter. Einer Auslandsniederlassung in Mexiko soll eine in China folgen. Heute beliefert der 51-Jährige auch Autoriesen wie BMW und Audi mit seinen Zerspanungssystemen. Die Bohrmaschinen-Vorsätzen ähnelnden Frästeile sind 40 bis 300 Millimeter lang und 0,1 bis 32 Millimeter dick. Mit den Spezialwerkzeugen können etwa Zahnimplantate bearbeitet werden. Zu den Kunden der Firma gehören auch Flugzeugbauer wie der US-Anbieter Boeing und die brasilianische Firma Embraer. Selbst Chinas Luftfahrtindustrie schätzt die Hufschmied-Produkte.

    Der Mangel an Ingenieuren und Facharbeitern wird sich noch verschärfen

    Weil die Firma auf so vielen Beinen steht, was Stabilität gewährt, kann der Chef offen über die Autoindustrie sprechen. Es wurmt ihn einiges, ja regt ihn auf. So macht sich der Diplom-Ingenieur weniger Sorgen um die Auswirkungen der Elektromobilität auf die Arbeitsplätze: „Wir leben in Zeiten der Vollbeschäftigung. Der Mangel an Ingenieuren und Facharbeitern wird sich eher noch verschärfen. Wenn Beschäftigte in der Autoindustrie ihren Job mal verlieren sollten, kommen sie sofort woanders unter.“ Daher behandelten gerade Zulieferer ihre Fachleute wie rohe Eier. „Sonst sind die schnell weg“, weiß Hufschmied.

    Auf den Zusammenhang weist auch Professor Enzo Weber vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt-und Berufsforschung immer wieder hin. Nach den Untersuchungen seines Hauses werden in Deutschland durch den technologischen Wandel, also vor allem dank der Digitalisierung und in einem geringen Umfang auch der Elektrifizierung, rund 1,5 Millionen alte Arbeitsplätze wegfallen. Es entstünden aber in ähnlichem Umfang neue Jobs, nur eben mit anderen Anforderungsprofilen. Beschäftigte müssen also weitergebildet werden.

    Unternehmer Hufschmied macht sich jedenfalls um seinen Betrieb und die Branche zumindest in diesem Punkt keine Sorgen. Ein viel größeres Gefahrenpotenzial sieht er darin, dass die Autoindustrie hierzulande „fahrlässig“ den Chinesen auf einem wichtigen technologischen Gebiet die Vorfahrt überlässt.

    Nun kommen wirklich alarmierende Details unserer Reise durch das Autoland Bayern ans Tageslicht. Denn nach den Erfahrungen des schwäbischen Unternehmers bremsen die deutschen Autobauer deutlich beim Einsatz leichter, dennoch steifer und spritsparender Faserverbund-Werkstoffe – kurz CFK. Das gerade in der Luftfahrt eingesetzte Material wird auch schwarzes Gold genannt. Hufschmied bietet für die Bearbeitung der Kohlenstoff-Bauteile Fräswerkzeuge an. Der Unternehmer hat viel Geld in den Bereich investiert, auch weil die Autokonzerne einst großes Interesse an dem Zauberstoff signalisiert haben. Doch inzwischen treten die Firmen auf die CFK-Bremse. Die Verarbeitung des Stoffs koste zu viel Geld, heißt es allerorten. Hufschmied regt das auf: „Denn wenn man vernünftig mit der Technologie umgeht, ist CFK günstiger als Aluminium.“

    China gibt alles, um zu Deutschland aufzuschließen

    Der chinesische Staat hat das verstanden. In dem asiatischen Reich wird voll auf Faserverbundmaterialien gesetzt, gerade bei der Entwicklung von Elektroautos. Denn das leichte CFK verhindert, dass die mit schweren Batterien bepackten E-Autos allzu viel Übergewicht ansetzen. Hufschmied kennt sich in China aus: „Dort trifft man bei asiatischen Firmen viele deutsche Spezialisten, die früher hierzulande CFK-Technologie für unsere Autokonzerne entwickelt haben.“ Sie würden zum Teil mit rund 30 Prozent höheren Löhnen und einer von der Firma gesponserten Reinigungskraft für die Wohnung in das Land des Drachen gelockt. Was aus Sicht des Bobinger Weltenkenners ebenfalls nicht verkehrt ist: „Weißbier und Leberkäs gibt es auch in China. Beides schmeckt dort so gut wie bei uns.“ Die Kommunisten geben wirklich alles, um zu Deutschland aufzuschließen.

    All das mag ja noch angehen. Aber in zwei, drei Jahren könnte aus Sicht von Hufschmied der Spaß aufhören. Denn dann bieten auf Druck der kommunistischen Partei chinesische Firmen dank deutscher Ingenieurpower auch hierzulande gute und vor allem vergleichbar leichte Elektroautos zum etwa halben Preis wie deutsche Konkurrenten an. Damit könnten heimische Arbeitsplätze in diesem Wirtschaftszweig auf der Kippe stehen. Der Bobinger Unternehmer befürchtet nämlich, dass manch deutscher Hersteller dann mit übergewichtigen Elektro-SUV, in denen mehr Blech als CFK verbaut ist, alt aussehe: „Es besteht die Gefahr, dass diese Fahrzeuge deutlich über 3,5 Tonnen wiegen und Fahrbeschränkungen wie bei Lkw möglich werden könnten.“

    Hinzu kommt der massive Technologieabfluss nach China. Hufschmied wird jedenfalls, weil deutsche Abnehmer aus der Autoindustrie ihn hängen lassen, seine Werkzeuge für die CFK-Bearbeitung verstärkt nach China verkaufen. Doch in einer Sache bleibt der Vater von zwei Kindern mit seiner in der Firma arbeitenden Frau standhaft: „Auch wenn immer wieder Anfragen kommen: Wir verkaufen unseren Betrieb nicht nach China.“

    Der Unternehmer schaut nun sehr energisch drein. Zur Anzugjacke trägt er ein weißes Poloshirt mit dem Aufdruck „Hufschmied“. In Bobingen hat der Ingenieur sich im Kleinen eine Firmenzentrale mit viel Glas gebaut, die im Großen auch einen Konzern in gutes Licht setzen würde. Dort steht ein Cockpit eines Porsche-Rennwagens, den seine Firma für das Unternehmen ganz in schwarzem CFK gebaut hat.

    Nach 2030 könnten sich die düsteren Vorhersagen erfüllen

    Immer wieder kommen Vertreter der Autoriesen aus aller Welt zu dem Vordenker und Freund der klaren Worte nach Schwaben. „Ich habe mich schon bei vielen Managern mit meinen Warnungen in die Nesseln gesetzt“, meint Hufschmied. Das braucht er. So ist sein Naturell. Trotzdem hat BMW den Zulieferer schon für seine Innovationskraft ausgezeichnet.

    Pendlerverhalten

    Etwa zwei von drei Berufstätigen nutzte das Auto, um zum Arbeitsplatz zu gelangen. Männer (72 Prozent) nutzen das Auto häufiger als Frauen (66 Prozent).

    13 Prozent der Erwerbstätigen nutzten die öffentlichen Verkehrsmittel. Frauen (15 Prozent) nutzten ÖPNV häufiger als Männer (12 Prozent)

    Acht Prozent gingen zu Fuß.

    Weitere acht Prozent wählten das Fahrrad. Frauen waren außerdem häufiger per Rad oder zu Fuß unterwegs als Männer (18 gegenüber 15 Prozent).

    Gerade in unserer Region spielt die Zulieferindustrie eine herausragende Rolle. Den Herstellern, ob sie Teile für Motoren und Getriebe oder Werkzeuge zur Produktion solcher Komponenten fertigen, sagen Autoren wissenschaftlicher Studien eine jobmäßige Berg- und-Tal-Fahrt voraus. Zunächst soll bis etwa 2030 die Beschäftigung weiter steigen, weil neben herkömmlichen Motoren auch Antriebe für immer mehr Elektro- und Hybridmodelle gefragt sind. Das prophezeien Professoren wie Willi Diez, früherer Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft in Geislingen.

    Doch nach 2030 könnten sich die düsteren Vorhersagen von Fraunhofer-Forschern erfüllen und bundesweit rund 75.000 Arbeitsplätze in der automobilen Antriebstechnik wegfallen. Die Gewerkschaft IG Metall verweist darauf, dass jeder vierte Arbeitnehmer in der Autoindustrie mit der Produktion von Motoren und Getrieben beschäftigt sei. Fraunhofer-Experten warnen deshalb: Motor und Getriebe eines konventionellen Fahrzeugs bestünden aus rund 1400 Teilen. Bei einem Elektroauto seien für diese Baugruppen nur etwa 200 Komponenten erforderlich. Nach wohl noch zwölf auskömmlichen Job-Jahren könnten ab 2030 schrittweise Produktionsarbeitsplätze bei Zulieferern verloren gehen.

    Unsere Reise durch das Autoland Bayern geht weiter zu BMW. Dort herrscht Optimismus aller Orten, ob bei Ingenieuren, die in Unterschleißheim bei München autonom fahrende Autos entwickeln, oder den Experten, die sich der weiteren Elektrifizierung der Fahrzeugflotte widmen. Aus zahlreichen Gesprächen lässt sich vieles herauslesen, nur keine Zweifel. Von den 91.000 Beschäftigten in Deutschland arbeiten allein 78.000 an den bayerischen Standorten.

    Natürlich rühmen sich die BMW-Verantwortlichen, mit dem im Jahr 2013 „gelaunchten“ Elektroauto i3 zu den Pionieren der Branche zu zählen. Bei allem grundsätzlichen Glauben, die automobile Zukunft sei elektrisch, betätigen sich die BMW-Macher als Evolutionäre und nicht als Revolutionäre. Denn bis 2025 soll erst ein Fünftel der weltweiten Produktion aus Elektro- oder Hybridautos bestehen. Der technische Wandel geht also nicht ruckartig, sondern gleitend voran. BMW stellt sich dabei flexibel auf, verbessert die herkömmlichen Motoren weiter und bietet immer mehr Elektroautos an. „Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge, die mit einem normalen und einem Elektromotor ausgestattet sind, stellen dabei eine wichtige Brückentechnologie dar“, ist BMW-Elektro-Experte Robert Irlinger überzeugt.

    Menschen in Deutschland vom Elektroauto zu überzeugen, ist mühsam

    Weiter als 2025 lehnen sich die BMW-Verantwortlichen nicht aus dem Fenster. Der Konzern geht aber seinen eigenen elektrischen Weg und stellt Motor wie Batterien selbst her, was sicher viele Arbeitsplätze sichern wird. Die Batteriezellen kaufen die Münchner jedoch ein, künftig bei der neuen Fabrik des chinesischen Anbieters CATL in Thüringen.

    Ein Testwagen von BMW auf der A 99.
    Ein Testwagen von BMW auf der A 99. Foto: Daniel Biskup

    Am Ende – und das ist die interessanteste Erkenntnis der Auto-Tour durch Bayern – steht auf großen Straßenschildern immer wieder „China“. Auch wenn die Asiaten wie bei Kuka oder Grammer sich nicht direkt einen Autozulieferer schnappen können, mischen sie auch über Umwege mit. Ihr Navi ist auf Sieg eingestellt. So setzen sie auch Audi und BMW mit der staatlich verordneten Elektroauto-Strategie enorm unter Druck. Noch ist es mühsam für die Hersteller, gerade in Deutschland Menschen vom Kauf eines Elektroautos zu überzeugen, zu gering sind vielen die Reichweiten und es gibt zu wenige Ladesäulen. Die BMW-Gruppe kommt aber langsam auf dem E-Pfad voran. So erzielte der Konzern im vergangenen Jahr einen Rekord und setzte 2,46 Millionen Fahrzeuge ab, davon immerhin schon 103.080 elektrifizierte. Letzteres entspricht einem Plus von 65,6 Prozent.

    Was passiert aber in zwei, drei Jahren, wenn die Chinesen mit günstigen und leichten E-Autos in Deutschland verstärkt anrücken, wie der Bobinger Zulieferer Hufschmied es prophezeit? Die bayerischen Autohersteller wissen um die Gefahr. Manchmal zeigen einem Ingenieure China-Grafiken. Dort sind all die neuen Konkurrenten vermerkt. Deren für deutsche Ohren noch nicht sexy klingenden Namen wie Byton BYD, BAIC, Chery oder JAC sprechen sie nicht mit Überheblichkeit, sondern durchaus mit Anflügen von Achtung aus. Auch Hersteller wie BMW haben Visionen und glauben, sich gegenüber Chinesen behaupten zu können.

    So arbeiten Ingenieure des Konzerns schon sehr lange an Autos, die selbstständig, also autonom fahren können. Heute beschäftigen sich allein rund 1300 BMW-Experten in Unterschleißheim mit dem Thema. Um den Autobauer herum siedeln sich andere Firmen an. Am Ende soll dann dort ein Technologie-Campus mit über 5000 Spezialisten entstehen. Die Gebäude sind gut abgesichert. Eine Rolltüre geht auf. Es geht hinein in eine leere Garage.

    Die modernen Autos sind vollgepackt mit Technologie

    Dann öffnet sich eine zweite Rolltüre. Der Ingenieur Dirk Wisselmann war von Anfang an bei der Entwicklung der Technologie dabei. Er steht im Showroom. Den getarnten 3er solle man sich nicht so genau anschauen. Es ist ein neues Modell. Die schon heute autonom fahrenden BMW-Autos sind vollgepackt mit einem Computer, Sensor-, Radar- und Laser-Technologie. Es ist ein gutes Gefühl, sich von den Experten erklären zu lassen, wie weit sie schon sind und wie viele Software-Spezialisten für diese Zukunftsautos arbeiten. Denn immer ist die Rede von zusätzlichen Arbeitsplätzen.

    Auch diese schöne Geschichte könnte Skeptiker sicher etwas beruhigen, die mit hohen Arbeitsplatzverlusten rechnen: Ein BMW-Zulieferer, der sich bisher auf die Kühlung von Dieselmotoren spezialisiert hat, setzt nun seine Kompetenz auch dafür ein, den großen, unter dem Kofferraum angebrachten Computer für autonom fahrende Autos zu kühlen. Der Besuch im Unterschleißheimer BMW-Hightech-Labor weckt auf alle Fälle die Hoffnung, die heimischen Autohersteller könnten dann doch die chinesischen Emporkömmlinge zähmen. Sicher ist das indes nicht.

    Der selbstbewusste Zulieferer Hufschmied warnt jedenfalls: „Die große Gefahr für die deutsche Autoindustrie ist nicht der Elektroantrieb, sondern China.“ Das Land, scherzt er, habe einen großen Vorteil gegenüber Deutschland: „In so einer Diktatur rennen, wenn es die Staatsführung will, alle technologisch in eine Richtung.“

    Dieser Text ist in unserer Sonderbeilage zur Landtagswahl erschienen, die am 25. September der Augsburger Allgemeinen und ihren Heimatzeitungen beilag. Die ganze Beilage finden Sie hier auch als E-Paper.

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