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Austritt: Austrittsrekord bei katholischer Kirche in Bayern

Austritt

Austrittsrekord bei katholischer Kirche in Bayern

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    Mehr als eine halbe Million Menschen sind 2022 aus der katholischen Kirche ausgetreten.
    Mehr als eine halbe Million Menschen sind 2022 aus der katholischen Kirche ausgetreten. Foto: Ronny Hartmann, dpa

    Wallfahrten, Prozessionen, barocke Kirchen - weite Teile Bayerns sind durch und durch katholisch geprägt. Doch nun verliert die katholische Kirche auch hier dramatisch an Zuspruch: 153.586 Menschen sind im Vorjahr ausgetreten. Ein Rekord. Im Jahr davor waren es noch rund 100.000 gewesen. Bayern hat zwar nicht die meisten Katholikinnen und Katholiken - aber die höchste Austrittszahl unter den Bundesländern.

    Die Statistik der Deutschen Bischofskonferenz wird am Mittwoch veröffentlicht, als überall in Bayern das traditionelle Mittagsgeläut minutenlang von den Kirchtürmen zu hören ist. Aber das täuscht nicht darüber hinweg, dass die katholische Kirche ein regelrechter Aderlass erfasst hat. Deutschlandweit sind 2022 mehr als eine halbe Million Menschen ausgetreten. Und in Bayern lag der Wert sogar höher als in Nordrhein-Westfalen, obwohl es dort mehr Katholikinnen und Katholiken gibt. Mehr als 5,8 Millionen Menschen gehörten 2022 im Freistaat der katholischen Kirche an, in NRW waren es mehr als 6,1 Millionen.

    Die Zahlen seien "nicht zu beschönigen", die Entwicklung sei besorgniserregend, teilt der Generalvikar des Erzbistums München-Freising, Christoph Klingan, mit. "Zahlreiche Menschen kehren der Kirche den Rücken, nicht wenige nennen als Grund die Fälle sexuellen Missbrauchs in den vergangenen Jahrzehnten und des mangelhaften Umgangs damit."

    Die Erzdiözese werde an dem "eingeschlagenen Weg der konsequenten Aufarbeitung, der Hinwendung zu den Betroffenen und der Prävention festhalten und ihn weitergehen. Mit unserem intensiven Engagement in diesem Feld möchten wir die Betroffenen unterstützen, ihnen mit verschiedenen Angeboten zur Seite stehen und Missbrauch im Raum der Kirche bestmöglich verhindern".

    Dass sich die für die katholische Kirche ohnehin dramatische Entwicklung noch einmal beschleunigen würde, hatte sich bereits zu Jahresbeginn 2022 abgezeichnet. Vor allem nach der Vorstellung eines Gutachtens zum Missbrauch im Erzbistum München und Freising im Januar und der Diskussion um eine Mitschuld des inzwischen gestorbenen Papstes Benedikt XVI. waren die Austrittszahlen förmlich explodiert.

    In der ersten Januarhälfte, also vor dem Gutachten, waren pro Arbeitstag in München etwa 80 Menschen aus der Kirche ausgetreten; nach dem 20. Januar, dem Tag der Vorstellung des Gutachtens, waren es dann zeitweise bis zu 160 Kirchenaustritte pro Arbeitstag - also etwa doppelt so viele.

    Dabei setzte die Landeshauptstadt, wo man - wie standardmäßig in Deutschland - nur mit persönlichem Erscheinen aus der Kirche austreten kann, sogar zusätzliches Personal ein. Allein im großen Erzbistum München traten fast 50.000 Katholiken aus - nur geringfügig weniger als in Köln.

    Weniger Mitglieder bedeutet zunächst einmal weniger Kirchensteuereinnahmen und damit weniger Geld für die Bistümer - aber in zweiter Linie stellt sich dann auch die Frage, welche Bedeutung und welchen Einfluss die Institution noch hat. Alle Feiertage bis auf den Tag der Deutschen Einheit beziehen sich in Bayern auf das Christentum und vor allem auf katholische Traditionen wie Fronleichnam.

    "Die katholische Kirche stirbt einen quälenden Tod vor den Augen der gesellschaftlichen Öffentlichkeit", sagt der Kirchenrechtler Thomas Schüller der Deutschen Presse-Agentur. Der Bamberger Diözesanadministrator Herwig Gössl stimmt die Kirche auf tiefgreifende Veränderungen ein. Die Kirche werde mit weniger Mitgliedern, weniger Geld und weniger Personal auskommen müssen. "Das wird auch Auswirkungen auf Strukturen, Angebote und das kirchliche Leben auf allen Ebenen haben."

    Jeder Austritt sei bedauerlich und schmerzhaft. Aber nicht jeder Ausgetretene habe seinen Glauben verloren. "Viele Austritte sind ein Protest gegen Missstände und Fehlverhalten oder gehen auf persönliche Erlebnisse und Enttäuschungen mit der Kirche oder ihrem Personal zurück." Die Aufgabe der nächsten Jahre sei es, mit geringeren Ressourcen das kirchliche Leben in der Gesellschaft lebendig zu halten, als christliche Stimme hörbar zu bleiben und das Vertrauen der Menschen zurückzugewinnen.

    Der Münchner Generalvikar Klingan betont, trotz "rückläufiger finanzieller Mittel" wolle die Kirche auch künftig wirkungsvoll ihren Auftrag erfüllen: "Die Botschaft Jesu Christi in Wort und Tat glaubwürdig zu verkünden und so die positive Kraft unseres Glaubens und des kirchlichen Lebens konkret erfahrbar zu machen."

    Der Passauer Bischof Stefan Oster nennt die neuen Austrittszahlen "erschreckend hoch". Weiter sagt er: "Gerade nach Veröffentlichung von Missbrauchsgutachten oder dem Bekanntwerden von Finanzskandalen schnellen die Austrittszahlen in die Höhe." In der Regel gehe dem Austritt auch immer eine längere Zeit der Entfremdung voraus, die durch das negative Erscheinungsbild der Kirche in der Öffentlichkeit noch verstärkt wird.

    Der Würzburger Bischof Franz Jung sieht in der Zahl der Austritte "ein Indiz für die vielen Zerreißproben und Spannungen, die wir derzeit durchleben. Auf der einen Seite viele persönliche Verletzungen von Menschen mit der Kirche, die fragen, ob es noch ihre Kirche ist; auf der anderen Seite die Spannungen zwischen Rom und der Kirche in Deutschland, die sich bemüht um einen Weg der Erneuerung und immer wieder auch ein "Nein" hört".

    Hohe Austrittszahlen gibt es jedoch auch bei der Evangelischen Landeskirche in Bayern: Rund 48.500 Menschen traten 2022 aus, nach 36.580 im Jahr zuvor.

    (Von Kathrin Zeilmann und Britta Schultejans, dpa)

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