Mehrere Zehntausend Menschen haben am Sonntag in München gegen einen Rechtsruck in der Gesellschaft und in der Politik demonstriert. Unter dem Motto "#ausgehetzt - Gemeinsam gegen die Politik der Angst!" wandten sie sich insbesondere gegen die Flüchtlingspolitik der CSU. Die Polizei sprach von mehr als 25.000 Teilnehmern, die sich am Nachmittag nach einem Protestzug zur Abschlusskundgebung auf dem Königsplatz versammelten. Es kämen aber noch weitere hinzu, sagte ein Polizeisprecher. "Es war alles sehr friedlich."
Ein Sprecher der Organisatoren berichtete, Tausende Menschen seien zu Beginn der Kundgebung noch in den Nebenstraßen gewesen und nicht ohne weiteres auf den überfüllten Platz gelangt. Die Veranstalter sprachen dann letztlich von insgesamt 50.000 Demonstranten. Man sei "wahnsinnig zufrieden" mit dieser Resonanz, zumal es zeitweise während der Demonstration in Strömen geregnet habe, sagte der Sprecher.
Aufgerufen zu dem Protest hatten rund 130 Organisationen, darunter Gewerkschaften, kirchliche Gruppen und Kulturschaffende. In ihrem Demonstrationsaufruf warfen die Veranstalter namentlich CSU-Chef Horst Seehofer, Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt eine "verantwortungslose Politik der Spaltung" vor. Nicht erst durch die AfD würden Hass und Ausgrenzung in der Politik eskalieren. "Wir setzen ein Zeichen gegen den massiven Rechtsruck in der Gesellschaft, den Überwachungsstaat, die Einschränkung unserer Freiheit und Angriffe auf die Menschenrechte."
Münchner Kulturszene wendet sich gegen CSU
Die Münchner Stadtrats-CSU wollte den Kammerspielen und dem Volkstheater verbieten, gegen die Christsozialen zu demonstrieren. Die beiden Theater hätten die Neutralitätspflicht für städtische Einrichtungen verletzt, sagte der zweite Bürgermeister Josef Schmid (CSU). In einem Antrag forderte die Fraktion Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) zu "dienstaufsichtsrechtlichen Maßnahmen" gegen die von der Stadt finanzierten Theater auf. "Jeder kann als Privatperson seine Meinung frei äußern und beispielsweise an Demonstrationen teilnehmen", betonte Schmid. "Öffentliche Institutionen sind allerdings aus gutem Grund dazu angehalten, sich politisch neutral zu verhalten."
Aus der Kulturszene gab es für die Verbotsforderung aus der CSU scharfe Kritik. Das staatliche Residenztheater in München erklärte auf Twitter seine Solidarität mit den beiden Häusern. "Es kann nicht sein, dass den Kollegen 'dienstaufsichtsrechtliche Maßnahmen' drohen, weil sie eine Demonstration unterstützen, die unter anderem die Werte unserer demokratischen Grundordnung stärken möchte", schrieb "Resi"-Intendant Martin Kušej. In Polen und Ungarn stünden Theaterleute bereits unter einem großen politischen Druck - "doch auch die politischen Debatten in Deutschland haben sich spürbar verändert". Die Demonstration richte sich nicht pauschal gegen die CSU, "sondern gegen eine verantwortungslose Politik der Spaltung - gegen diesen dummen Wahlkampf-Populismus und die ideologische Verzerrung des Christlichen".
Kammerspiele und Volkstheater wollen an ihren Demonstrationsplänen festhalten. "Ich habe das Gefühl, dass die CSU anfängt, einen rechtsnationalen Kurs zu fahren", sagte Kammerspiel-Chef Lilienthal, der auf Betreiben der CSU-Fraktion seinen Posten 2020 räumen muss. "Ich habe die Nase voll. Bei mir ist der Geduldsfaden gerissen, als Seehofer sich über die Abschiebung von 69 Flüchtlingen an seinem Geburtstag gefreut hat."
CSU übt Kritik an "#ausgehetzt"-Demo
Die CSU reagierte indes mit einer weiteren Verschärfung ihres Kurses gegen das Aktionsbündnis. Die Partei platzierte in der Nacht zum Sonntag Plakate, die "politischen Anstand" fordern. "JA zum politischen Anstand, NEIN zu #ausgehetzt. Bayern lässt sich nicht verhetzen", ist auf diesen zu lesen. Auch Fahrzeuge mit entsprechenden Botschaften sind in München zu sehen, wie verschiedene Medien unabhängig voneinander berichten.
Die CSU hat die Gegenkampagne auch auf das Internet ausgeweitet und schreibt auf Facebook: "Der Freistaat stünde heute nicht so da, wenn die CSU hier nicht seit sechs Jahrzehnten stets das Beste für Bayern im Blick gehabt hätte". Der stellvertretende CSU-Vorsitzende Manfred Weber wies die Kritik der Demonstranten entschieden zurück. Die Vorwürfe seien "maßlos und in der Sache falsch", sagte der Europapolitiker der Mediengruppe Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung. Dass im Wahlkampf viele, vor allem linke Gruppen auf die Straße gingen, sei völlig normal. "Doch wer der CSU Extremismus vorwirft, der schadet der politischen Kultur".
Wesentlich schärfer äußerte sich CSU-Generalsekretär Markus Blume. Er warf Demonstranten seinerseits "Hetze" gegen seine Partei vor. "Wer 'CSU-Rassistenpack' skandiert, wer der CSU unterstellt, Konzentrationslager vorzubereiten, oder wer die CSU für schuldig erklärt am Tod von Migranten im Mittelmeer, der hat jeglichen Anstand verloren und betreibt übelste Hetze", sagte Blume Spiegel online. "Dass nebenbei auch noch bei der Demo erklärt wird 'Ganz München hasst die Polizei', spricht Bände über den Kreis der Unterstützer auch aus dem linksradikalen Umfeld", fügte er hinzu.
Die "Ausgehetzt"-Demo wurde auch von etlichen Prominenten wie den Kabarettisten Luise Kinseher, Max Uthoff, Claus von Wagner und Urban Priol unterstützt. Der Streit in der Union um Flüchtlinge und Migration hat nach Ansicht von Priol auch etwas Gutes: "Mich freut es einfach, dass jetzt wieder mehr über Politik diskutiert wird", sagte er vor der Demonstration der Münchner Abendzeitung. Der frühere Gastgeber der ZDF-Sendung "Die Anstalt" meinte: "Dass sich die Schwarzen einmal so zerlegen, das hätte ich mir auch in den kühnsten Träumen meiner 35-jährigen Bühnenlaufbahn nicht vorstellen können." Bereits im Mai hatten in München bei einer großen Kundgebung etwa 30.000 Menschen gegen das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz demonstriert. Auch am Sonntag richtete sich der Protest unter anderem gegen dieses Gesetz. (goro/dpa)