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Augsburger Klimacamp: Zwei Jahre Augsburger Klimacamp: Aber wo sind die anderen Aktivisten?

Augsburger Klimacamp

Zwei Jahre Augsburger Klimacamp: Aber wo sind die anderen Aktivisten?

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    Am 1. Juli 2020 haben Klimaaktivisten und -aktivistinnen das kleine Camp neben dem Rathaus aufgebaut. Seit diesem Tag demonstrieren sie hier für mehr Klimaschutz.
    Am 1. Juli 2020 haben Klimaaktivisten und -aktivistinnen das kleine Camp neben dem Rathaus aufgebaut. Seit diesem Tag demonstrieren sie hier für mehr Klimaschutz. Foto: Peter Fastl

    Die Sonne brennt an diesem Nachmittag auf das Pflaster neben dem Augsburger Rathaus. Die meisten Passantinnen und Passanten eilen auf dem Weg in den Feierabend vorbei. Aber Charlotte Lauter und Franziska Pux hält das nicht vom Versuch ab, die Welt zu retten. Ein kleines bisschen zumindest. Heute versuchen sie es über das Verteilen von Aufklebern. Ob er ein paar Sticker zum Klimaschutz haben wolle, fragen die jungen Frauen einen Mann, der sich die Plakate vor dem Klimacamp durchliest.

    Der Radtourist aus Hamburg nimmt die Sticker dankend an. Überzeugt werden vom Thema Klimaschutz muss er nicht. Daheim radelt er täglich 30 Kilometer in die Arbeit. Man plaudert noch ein wenig, dann sprechen Lauter und Pux die nächsten Passanten an.

    Seit 730 Tagen geht das nun schon so. Am 1. Juli 2020 haben Klimaaktivisten und -aktivistinnen das kleine Camp neben dem Rathaus aufgebaut. Zelte, Planen und Holzverschläge stehen dort, ein paar Solarmodule sorgen für Strom, Hochbeete rahmen das Ganze ein. Zunächst habe man nur zwei Tage bleiben wollen, doch dann sei die Idee aufgekommen, einfach weiterzumachen, sagt Mitorganisator Ingo Blechschmidt. Aus zwei Tagen wurden zwei Jahre. Seitdem ist das Camp rund um die Uhr mit mindestens zwei Personen besetzt, sommers wie winters, damit es im rechtlichen Sinne als Demonstration gilt.

    Die einen nennen das Klimacamp einen Schandfleck, andere unterstützen es mit Spenden

    Unumstritten ist das nicht. Ein Schandfleck sei das Camp, sagen manche Bürger und Bürgerinnen, und dass man sich von einer Minderheit mit erhobenem Zeigefinger nicht das eigene Leben diktieren lassen wolle. Ein Ort, an dem mutig Zukunft gemacht werde und Versäumnisse der Vergangenheit ausgebügelt würden, sagen andere. Das Camp polarisiert die Stadtgesellschaft mit zunehmender Dauer immer mehr. Es gibt Leute, die Geld spenden, und solche, die den Aktiven zurufen, dass sie alle verbrannt gehörten.

    Hier wird im Kleinen sichtbar, was das Land beschäftigt und künftig noch stärker beschäftigen wird. Wie schnell geht Klimaschutz und muss er gehen, welche Folgen hat der Klimawandel, welche Folgen ein Umsteuern? Und wie geht die Gesellschaft damit um, dass es unterschiedliche Sichtweisen auf diese Dinge gibt?

    Die Augsburger Klimacamperinnen und Klimacamper sind in ganz Deutschland die mit dem längsten Atem. Oder muss man sagen: Die Letzten ihrer Art? Bundesweit gibt es noch eine Handvoll weiterer Camps: in Regensburg, Konstanz, Lüneburg, Reutlingen und Siegen. Aber keines existiert so lange ohne Unterbrechung wie das Quartier zwischen Rathaus und Perlachturm. Andere haben ihre Zelte längst abgebrochen. Nürnberg etwa, wo die Klimaschützer bis Ende April eineinhalb Jahre lang neben dem Rathaus gelebt, gepredigt und geschlafen hatten. Sie wollten neue Aktionsformen nutzen, kündigten sie bei ihrem Abschied an. „Wir vom Klimacamp

    Das Klimacamp in Augsburg neben dem Rathaus ist nicht unumstritten.
    Das Klimacamp in Augsburg neben dem Rathaus ist nicht unumstritten. Foto: Ulrich Wagner

    Fridays for Future, das sind nicht nur die Klimacamps. Die freitäglichen Streiks reichten einst um den Erdball. Sehnsüchtig dürften sich die Aktivisten an ihre Hochphase im September 2019 erinnern, als mehr als vier Millionen Menschen beim globalen Streik weltweit in den Straßen für ihre Klimaziele demonstrierten. Als Greta Thunberg ihre tausendfach zitierte Rede beim UN-Klimagipfel hielt: „How dare you?“ Wie könnt ihr es wagen?

    Doch die Zeiten sind schwierig für Fridays for Future. Erst dominierte die Pandemie Ängste und Nachrichtensendungen. Sie senkte zwar vorübergehend den CO2-Ausstoß in den Städten, aber eben auch das Bewusstsein der Bevölkerung für die Gefahren des Klimawandels. Dann der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise.

    Heute kündigt Robert Habeck, ein grüner Wirtschaftsminister, an, dass es im Herbst Kohle-Energie brauchen wird, damit Menschen nicht frieren. Und FDP und Union wollen den Ausstieg aus der Atomkraft rückgängig machen.

    Vor 202 Wochen protestierte Greta Thunberg erstmals vor dem schwedischen Parlament

    Auf den Straßen findet die Diskussion darüber kaum statt. Für diesen Freitag ist auf der offiziellen deutschen „Fridays for Future“-Internetseite nur ein Streik in Worms vermerkt. Die Links zu den Webseiten von Klimacamps etwa in Bremen oder Hannover führen zu einer Fehlermeldung. All das 202 Wochen, nachdem Klima-Vorkämpferin Thunberg zum ersten Mal vor dem schwedischen Parlament mit dem Plakat posierte, das um die Welt gehen sollte: „Skolstrejk för klimatet“, Schulstreik für das Klima.

    Steckt der FFF-Protest in einer Krise? Professorin Hannah Schmid-Petri, Inhaberin des Lehrstuhls für Wissenschaftskommunikation an der Universität Passau, kennt sich aus mit dieser Frage. Sie forscht zur öffentlichen Debatte um den Klimawandel und glaubt nicht, dass die Jugendbewegung ein Problem hat. „Der Klimawandel als großes Thema der Bewegung verschwindet gerade ein wenig von der Agenda“, sagt die 42-Jährige. „Aber Vertreterinnen und Vertreter von ,Fridays for Future‘ werden zu den Themen Energiekrise und Energiesparen nach wie vor gefragt und gehört.“ Schließlich hätten sie „schon weit vor der Corona-

    Hannah Schmid-Petri forscht an der Uni Passau zu "Fridays for future".
    Hannah Schmid-Petri forscht an der Uni Passau zu "Fridays for future". Foto: Schmid-Petri

    Nur weil nicht mehr zehntausende Schülerinnen und Schüler jede Woche auf die Straße gehen, heißt das Schmid-Petri zufolge nicht, dass sie einer nachhaltigen Lebensweise abgeschworen haben: „Im Gegenteil, wir sehen, dass Umweltbewusstsein bei jungen Leuten hoch ausgeprägt ist.“

    Dass die Proteste freitags zur Schulzeit nach den Corona-Lockdowns nicht wieder richtig Fahrt aufnahmen, bewertet sie nicht als Mobilisierungsproblem – eher als Indiz dafür, dass sich die Protestbewegung verändert hat. „Erstens findet eine solche Bewegung immer in Wellen statt, zweitens haben sich die Aktivitäten verlagert: Die Vertreterinnen und Vertreter diskutieren heute mit politischen Akteuren, schalten sich in die gesellschaftliche Debatte ein. Aber an diesen Punkt konnten sie eben nur gelangen, weil vorher so viele auf die Straße gegangen sind.“

    Tatsächlich steht auch das Augsburger Klimacamp ständig in Kontakt mit der Stadtspitze. Dialog kann man das wohlwollend nennen. Oder Clinch. Wenn Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) aus dem Fenster ihres Besprechungsraums am Rathausplatz schaut, fällt ihr Blick auf die Plakate des Camps, das ein verbindliches CO2-Restbudget für Augsburg, eine Mobilitäts- und Energiewende fordert.

    Die Stadt wollte das Klimacamp von Anfang an loswerden und versuchte über die juristische Schiene zu begründen, warum es keine Demo im rechtlichen Sinne sei. Es könne dann ja jeder kommen und einen städtischen Platz in Beschlag nehmen. Vor Gericht musste sich die Stadt in mehreren Instanzen aber belehren lassen, dass ihr Räumungsbescheid rechtswidrig war.

    In Augsburg hat sich beim Klimaschutz einiges getan

    Inzwischen argumentiert Weber nicht mehr juristisch, sondern politisch. Liest man nur die Überschriften auf dem Plakat, sind Stadt und Klimacamp gar nicht so weit voneinander entfernt. Doch bei den Einzelforderungen tut sich eine tiefe Kluft auf, wenn es etwa um kostenlosen Nahverkehr für alle oder einen sofortigen Kohleausstieg geht. Klimaschutz, sagt Weber, sei eines der großen Themen der Stadtregierung, aber auf Knopfdruck ließen sich weder die Art der Energieversorgung noch die Gewohnheiten der Menschen ändern. In der Realität gehe es nicht nur um Klimaschutz, sondern auch um soziale und wirtschaftliche Aspekte.

    „Die Stadt steht wie ein Stuhl auf mehreren Beinen“, sagt Weber. Das Camp schaue nur auf den Klimaschutz. „Aber ich muss alle Beine im Blick haben, sonst kippen Stuhl und Stadtgesellschaft.“ Nachdem sich die Fronten zuletzt verhärteten und Weber die Camper dazu aufforderte, lieber an Lösungen mitzuarbeiten, statt weiter im Camp zu verharren, soll es nun eine Gesprächsreihe zwischen Stadt und Klimacamp geben.

    Franziska Pux (links) und Charlotte Lauter informieren Eva Herr über den Klimaschutz.
    Franziska Pux (links) und Charlotte Lauter informieren Eva Herr über den Klimaschutz. Foto: Peter Fastl

    Dabei hat Weber in den vergangenen zwei Jahren in Sachen Klimaschutz mit ihrer schwarz-grünen Rathauskoalition einiges auf den Weg gebracht, nicht nur zur Freude der eingefleischten CSU-Wählerschaft. Die strategischen Weichenstellungen für ein ambitioniertes und realistischerweise nicht mehr einhaltbares CO2-Restbudget für Augsburg lief fast geräuschlos. Doch nun stehen konkrete Maßnahmen an. Sie können nur der Anfang sein, wenn man das mit der CO2-Grenze ernst meint.

    Aber es knirscht: Mehr Radwege zulasten von Autostellplätzen, höhere Parkgebühren, Tempolimits, Verkehrsberuhigung einzelner Straßen, eine Photovoltaikpflicht, strengere Energiestandards – je konkreter die Maßnahmen werden, desto mehr Widerspruch gibt es, gerade beim Verkehr. Es sind Diskussionen, die gerade auch in vielen anderen Kommunen geführt werden oder dort noch bevorstehen. In einigen bayerischen Städten sind bereits Bürgerbegehren für mehr Klimaschutz im Anrollen.

    Die Deutschen wollen mehr erneuerbare Energie

    Zugleich fordern in einer aktuellen Forsa-Umfrage 65 Prozent der Menschen in Deutschland, dass Windenergie und Wasserstoff aus erneuerbaren Energien eine größere Rolle spielen sollte, um unabhängiger von Energie-Importen wie Gas aus Russland zu werden. Gar 75 Prozent sehen die Zukunft im Solarstrom. All das sind Ziele, für die auch „Fridays for Future“ steht. Doch der Ausbau braucht viel Zeit. Und der nächste Winter kommt schneller.

    Professorin Schmid-Petri analysiert auch, wie in der Politik über Klimafragen gesprochen wird. Sie findet, dass gerade konservative Kreise die akute Energie-Not für ihre Zwecke instrumentalisieren. „Sie nutzen die Krise, um wieder Kohle und Atomkraft zu propagieren, nach dem Motto: ,Wir haben keine andere Wahl.‘“ Das Anliegen der jungen Generation, deren Forderungen an die Klimapolitik, würden dabei oft „großmütig weggewischt“.

    Die Klimacamper in Augsburg wollen genau deswegen nicht lockerlassen. Man habe nicht den Eindruck, dass sich die Stadt ernsthaft genug für eine schnelle Klimawende einsetze, heißt es. Und dass etwa 200 bis 300 Menschen das Camp unterstützten. Die Puste gehe ihnen nach wie vor nicht aus, versichern die Aktivisten. Im Sommer sind an manchen Abenden 30 Leute oder mehr im Camp, im Winter harrt die zweiköpfige Nachtschicht mit Schlafsack und mehreren Kleidungslagen aus. „Manche sind jeden Tag dabei, andere einmal im Monat. Es ändern sich ja auch Lebensumstände, etwa wenn jemand gerade viele Klausuren zu schreiben hat oder umzieht oder sich beruflich verändert“, sagt Aktivistin Charlotte Lauter. Die meisten sind berufstätig, gehen zur Schule oder studieren und engagieren sich nebenbei.

    Auch wenn das Camp mit zusammengezimmerten Verschlägen und Planen improvisiert aussieht, steckt viel Organisation dahinter. Es gibt eine Art Dienstplan, um die Mindestbesetzung rund um die Uhr sicherzustellen. Dass sich manche Bürger am Erscheinungsbild direkt neben dem Rathaus stören, kalkulieren die Aktivisten mit ein. Man wolle nah an der Politik sein. „Und warum sollte etwas schön sein, wenn man gegen etwas demonstriert, was nicht schön ist, nämlich die Klimapolitik“, sagt Mitstreiter Jules Heim.

    Die Aktivisten sagen, es gehe ihnen um Klimagerechtigkeit. Nicht darum, den Spritpreis drastisch nach oben zu schrauben, sondern die Politik dazu zu bringen, günstige Alternativen zu schaffen, etwa beim Nahverkehr, sagt Christoph Zink. Ärmere Menschen seien von der Klimakrise am stärksten betroffen, egal ob in Industrienationen oder ärmeren Ländern. Das müsse man vielen erklären.

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