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Augsburg: Wer hinter der Demo gegen rechts in Augsburg steht

In mehr als 200 Orten sind für die nächsten Tage Kundgebungen für Vielfalt und Demokratie angekündigt.
Augsburg

Wer hinter der Demo gegen rechts in Augsburg steht

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    Matthias Lorentzen weiß jetzt, dass man mit dreieinhalb Stunden Schlaf auch irgendwie durch den Tag kommt. Die letzten Whatsapp-Nachrichten schreibt der 44-Jährige in den Tagen vor der großen Augsburger Demokratie-Demonstration nachts gegen zwei, die ersten Absprachen am Morgen trifft er ab 5.30 Uhr. So ähnlich geht das seit drei Wochen. Am Tag vor der Kundgebung gegen rechts und für Vielfalt und Demokratie, zu der mehrere Tausend Menschen erwartet werden, quillt Lorentzens Terminplan endgültig über. Auf seinem schwarzen Stadtrad mit dem Kinder-Fahrradanhänger macht er derzeit ganz schön Kilometer. "Technische Abnahmen, später noch zum Fernsehen für ein Interview und dann, wenn irgendwie Zeit bleibt, bei der Plakatbastelaktion des Stadtjugendrings vorbeischauen", zählt er auf und wirkt trotzdem entspannt. Und dann ist da noch der Ärger um die Rednerinnen und Redner bei der

    Matthias Lorentzen, Familienvater, Grünen-Stadtrat und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Büro der deutschen Kulturstaatsministerin Claudia Roth, ist ein erfahrener Organisator von Demonstrationen. Schon lange engagiert er sich im Augsburger Bündnis für Menschenwürde, plante die Kundgebung für Frieden in der Ukraine mit 5000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern mit, auch die Demo einst gegen den AfD-Parteitag in Augsburg, als sich 8000 Leute in der Stadt versammelten. Doch die Kundgebung gegen rechts an diesem Samstag um 14 Uhr auf dem Rathausplatz und drumherum dürfte all das noch übertreffen.

    Matthias Lorentzen und mehr als ein Dutzend weitere organisieren die Demo in Augsburg.
    Matthias Lorentzen und mehr als ein Dutzend weitere organisieren die Demo in Augsburg. Foto: Annette Zoepf

    Zur Menschenkette in Berlin werden 100.000 Menschen erwartet

    Augsburg, Kempten, Günzburg, Nördlingen, Neuburg, Immenstadt, dazu weit mehr als 200 weitere Städte, Städtchen und Dörfer, im Westen wie im Osten: Einmal mehr gehen Demokratiefreunde in Deutschland auf die Straßen. Zur für Samstag angekündigten Menschenkette für Demokratie und gegen Rechtsextremismus am Berliner Reichstagsgebäude werden rund 100.000 Menschen erwartet.

    Eine Frage treibt alle um, die seit Wochen gegen rechts auf die Straße gehen: Was bewirken die Proteste? Vor allem bei der AfD und deren Anhängerinnen und Anhängern, an die sich die Proteste schließlich wenden? Lassen die sich von den Hunderttausenden, die ihre Entschlossenheit im Kampf für die beste aller Staatsformen dieser Tage in die kalte Winterluft rufen, beeindrucken?

    Protestforscher Rucht: Es könnte zu einer schärferen Polarisierung kommen

    Dass die Demonstrationen Menschen mit gefestigter rechter Gesinnung nachhaltig umstimmen, glaubt Dieter Rucht, geboren in Kempten, Soziologe und Mitbegründer des Berliner Instituts für Protestforschung, nicht: "Die werden wahrscheinlich nicht abspringen. Das betrifft nicht nur die Hardcore-Rechtsextremisten, von denen ohnehin nie zu erwarten ist, dass sie durch Argumente zu beeindrucken sind, sondern auch den Großteil der Leute, die sich jetzt schon zur AfD hin verortet haben." Der Protestforscher glaubt sogar, dass es zu einer schärferen Polarisierung kommen könnte. "Wer sich rechts verortet, wird nicht die Seite wechseln, er wird sich vielleicht sogar entschiedener zu rechts bekennen." 

    Nils Kumkar, Soziologe an der Universität Bremen, sieht die Sache etwas anders. "Die Kommunikationsstrategie macht den Eindruck, dass die AfD tief verunsichert ist. Sie behauptet, die Proteste gebe es gar nicht, sie seien kleiner als gedacht, würden von der Regierung gesteuert oder am Ende der AfD nutzen. Sowas erzählt man in der Regel nur, wenn man ein ernsthaftes Problem hat." Das gelte auch für die sehr schnelle Bemühung, sich von dem Correctiv-Bericht über "Remigrationspläne" zu distanzieren, oder den persönlichen Berater von Alice Weidel zu entlassen. "Und wir sehen, dass die Umfragewerte für die AfD markant zurückgehen - was aber nicht unbedingt an den Protesten liegen muss", sagt Kumkar. Im aktuellen ARD-Deutschlandtrend hat die Partei drei Prozentpunkte verloren. "Das wird der AfD nicht entgangen sein und sie wissen auch, dass ihnen die Proteste zumindest nicht nutzen – auch wenn sie das steif und fest behaupten."

    Die Demo in Augsburg unterstützen so viele Bündnispartner wie noch nie

    Während Matthias Lorentzen vom Augsburger Bündnis für Menschenwürde sein Interview beim Regionalfernsehen gibt, basteln Kinder und Jugendliche beim Stadtjugendring Plakate für ihren Auftritt auf dem Rathausplatz, Augsburger Musikerinnen und Musiker proben wahrscheinlich noch einmal irgendwo das Lied, das eigens geschrieben wurde. Es heißt "Augsburg ist bunt". 

    Seit mehr als 20 Jahren ist das Bündnis für Menschenwürde in Augsburg aktiv. Vertreterinnen und Vertreter aller demokratischen Parteien engagieren sich darin, ebenso Menschen aus der Stadtgesellschaft. Die Demo am Samstag unterstützen so viele Bündnispartner wie noch nie. Der Stadionsprecher des FC Augsburg rief beim Spiel gegen den FC Bayern vor einer Woche die fast 30.000 Fans in der WWK-Arena dazu auf, für die Demokratie zu demonstrieren. Die Augsburger Panther sind an Bord, die weltberühmten Domsingknaben werden die Menge stimmgewaltig beim Singen auf dem Rathausplatz unterstützen. 

    Bistum Augsburg ruft zur Teilnahme an der Demonstration auf

    Das bundesweite Eintreten gegen Rechtsextremismus wird auch von den Kirchen unterstützt. Das katholische Bistum Augsburg etwa rief nicht nur seine Mitarbeiter, Verbände und Schulen, sondern alle Gläubigen dazu auf, sich an der Augsburger Kundgebung auf dem Rathausplatz zu beteiligen. Dort will sich Bischof Bertram Meier zu Wort melden. Unserer Redaktion sagt er vorab, dass die Teilnahme für ihn "eine Selbstverständlichkeit" sei. Wohl in Anspielung auf die AfD ergänzt er, dass gerade die Kirche mit dem Evangelium "eine echte Alternative" setze. Jesus Christus stehe für Menschlichkeit, Versöhnung, Frieden und soziale Gerechtigkeit – das alles brauche unsere Gesellschaft heute nötiger denn je. Demonstrieren allein reiche allerdings nicht aus, meint Meier. "Wir brauchen auch eine gedankliche Auseinandersetzung mit den Themen und Menschen, die die freiheitlich-demokratische Ordnung ablehnen."

    Auch der evangelische Regionalbischof Axel Piper wird auf der Kundgebung sprechen. Die aktuellen Entwicklungen, die Treffen, auf denen über "Remigration" debattiert wurde, hält er für "eine reale Gefahr für unsere Demokratie". Und für einen eklatanten Widerspruch zu allem, was er glaubt und vertritt. "Die Menschenwürde, die sich aus der Gottesebenbildlichkeit ableiten lässt, widerspricht rechtsextremen und menschenfeindlichen Ideologien", erklärt Piper. 

    Kritik von Digitalminister Fabian Mehring

    In Augsburg sollen Menschen aus der Stadt sprechen, Politikerinnen und Politiker nur am Rande. Landtags- und Bundestagsabgeordnete der demokratischen Parteien kommen zwar für ein Bild auf die Bühne, sollen aber nur in ein, zwei Sätzen ihre Teilnahme begründen. Lediglich die beiden ranghöchsten Politikerinnen aus Augsburg werden längere Reden halten: CSU-Oberbürgermeisterin Eva Weber und Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) als Mitglied der Bundesregierung. Roth ist seit Jahrzehnten Teil des Bündnisses für Menschenwürde. 

    Am Tag vor der Demo muss sich Organisator Matthias Lorentzen deswegen noch mit einer Aussage des bayerischen Digitalministers Fabian Mehring (Freie Wähler) befassen. "Hätte als Augsburger Staatsminister und einer der profiliertesten Anti-AfD-Redner im Landtag gerne dort gesprochen", schrieb Mehring auf der Plattform X. Man wolle nicht, dass Minister sprechen, habe es dann vom Veranstalter geheißen. Angesichts der Tatsache, dass Claudia Roth eine Rede hält, wirft Mehring den Veranstaltern "Polarisierung" vor. "Geht's gegen Rechtsextremisten, für die demokratische Mitte oder ist's doch nur Wahlkampf für Mitte-Links?". 

    Soziologe: Demos sind eine "Frischzellenkur" für die Zivilgesellschaft

    Es ist ein Vorwurf, der in den vergangenen Wochen auch bei anderen Demonstrationen erhoben wurde, etwa in München. Lorentzen ärgert sich darüber. Gleich am Freitagmorgen setzt sein Bündnis eine Stellungnahme auf und verschickt sie. Keinem Mitglied des Organisationsteams sei bekannt, dass Mehring einen Auftritt aktiv angeboten habe, sagt Lorentzen unserer Redaktion in einem kurzen Telefonat. Mehring sei auch nicht "abgesagt" worden, "schon gar nicht mit der Begründung, wir lassen keine Minister sprechen". Vielmehr habe man jeder demokratischen Partei angeboten, dass pro Partei eine Person kurz sprechen könne. In der Folge hätten die Freien Wähler die Teilnahme von Landtagsmitglied Bernhard Pohl mitgeteilt. "Wir sind sehr überrascht über die Äußerungen von Fabian Mehring", schreibt das Bündnis für Menschenwürde.

    Der Bremer Soziologe Nils Kumkar sieht die aktuellen Proteste als eine Art "Frischzellenkur" für die Zivilgesellschaft – und als ein starkes Signal. "An diejenigen in den rechts orientierten Parteien, also in Bayern bei der CSU oder den Freien Wählern, die vielleicht klammheimlich damit geliebäugelt haben, ob man nicht eine andere Strategie mit der AfD fahren sollte, um sie zu entzaubern – etwa durch eine Zusammenarbeit." Denn der Druck auf die konservativen Volksparteien sei durch die Erfolge der AfD natürlich gestiegen. "Denen wird jetzt aber von den Menschen, die auf die Straße gehen, mitgeteilt: Lasst davon mal schön die Finger." 

    "Das alte Gespenst des Rassismus treibt wieder sein Unwesen"

    Ein Signal setzen, das will auch Betty Reiners, Gründungsmitglied von "Omas gegen rechts" in Füssen und eine von zwei Vorsitzenden der Gruppierung. Die "Omas" waren Teil des "Füssener Bündnis für Demokratie und Solidarität – Füssen ist bunt", das am vergangenen Wochenende eine große Demonstration organisiert hatte. "Es sind sehr viele Menschen gekommen, es wurden um die 1000 gezählt. Die Fußgängerzone war voll." Die 70-Jährige macht sehr deutlich, warum ihre Gruppe, in der etwa 20 Omas aktiv sind, derzeit auf die Straße geht: "Man muss gegen die Hetze der AfD und den Hass aufstehen und sich für demokratische Werte und Vielfalt starkmachen."

    Betty Reiners (vorne rechts) bei einer Demonstration gegen Rechtsextremismus.
    Betty Reiners (vorne rechts) bei einer Demonstration gegen Rechtsextremismus. Foto: Reiners

    Weil sich in der Gruppe vor allem ältere Frauen engagieren, ist der Blick auf die aktuelle Lage ein besonderer. "Ich bin in der Nachkriegszeit aufgewachsen, andere bei uns wurden noch in der NS-Zeit geboren. Was gerade passiert, hat alte Ängste wieder aufkommen lassen", sagt Betty Reiners. Denn zwischen der finstersten Zeit der deutschen Geschichte und heute gebe es Parallelen, sagt sie. "Das alte Gespenst des Rassismus treibt wieder sein Unwesen." 

    Augsburger Organisator: Kundgebung am Samstag soll nicht das Ende sein

    In diesem Mai feiert Deutschland das 75-jährige Bestehen des Grundgesetzes. "Da werden wir sicher wieder an die Öffentlichkeit gehen", sagt Betty Reiners. Um daran zu erinnern, welchen Wert der erste Artikel der Verfassung habe: Die Würde des Menschen ist unantastbar, die sechs Worte eben, die so etwas wie die DNA der Republik sind. "Das wird heute aber leider oft vergessen", sagt Betty Reiners. 

    Matthias Lorentzen, der Augsburger Chefdemonstrant, wird vermutlich auch in den kommenden Wochen recht wenig Schlaf bekommen. Sein Bündnis plant schon weitere Aktionen, um die Demokratie zu schützen. "Die Kundgebung jetzt soll nicht das Ende sein. Wir verstehen sie als Auftakt."

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