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Augsburg: Tödliche Attacke: Wie Polizei und Presse gegen Anfeindungen kämpfen

Augsburg

Tödliche Attacke: Wie Polizei und Presse gegen Anfeindungen kämpfen

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    Bei der Pressekonferenz zum Augsburger Tötungsdelikt waren viele Journalisten da.
    Bei der Pressekonferenz zum Augsburger Tötungsdelikt waren viele Journalisten da. Foto: Silvio Wyszengrad

    Da sitzt er, der Polizeipräsident, und sagt, was von einem Polizeipräsidenten in so einer Situation zu erwarten ist: Es geht um Bestürzung und Fassungslosigkeit angesichts einer tödlichen Gewalttat in der Stadt, um einen schnellen Ermittlungserfolg, um professionelles Vorgehen, um enge Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft. Es ist Montagnachmittag, die Augsburger Polizei hat zur Pressekonferenz geladen, nachdem am Freitagabend ein 49-Jähriger in der Innenstadt erschlagen worden ist, mutmaßlich von einem 17-Jährigen, der bereits festgenommen wurde. Journalisten sitzen so dicht gedrängt, wie es selten vorkommt in Augsburg. Die Pressekonferenz wird deutschlandweit im Fernsehen übertragen.

    Michael Schwald, der Augsburger Polizeipräsident, spricht aber nicht nur über die Tat. Sondern auch darüber, welche Folgen sie hat. „Wir mussten in den letzten drei Tagen in den sozialen Medien teilweise unerträgliche Anfeindungen zur Kenntnis nehmen.“ Die Polizei hatte, obwohl ihr Videomaterial vorlag, darauf verzichtet, eine genaue Personenbeschreibung und Bilder herauszugeben, um die Verdächtigen zu fassen. Die Ermittler waren sich recht schnell sicher, die Tatverdächtigen fassen zu können, und wollten sie nicht durch eine Veröffentlichung von Bildern warnen, sie zum Untertauchen animieren. Es ist ein übliches Vorgehen, dass Behörden in Ermittlungsverfahren Informationen zurückhalten. Doch dieses Mal gab es dafür auf Twitter Kommentare wie diesen:

    „Natürlich wird das Aussehen der Täter wieder verschwiegen. Wie dumm haltet ihr die Bevölkerung???"

    Man kommt nicht umhin festzustellen: Hier stimmt etwas ganz gewaltig nicht. Nun sind die Ermittler Kritik gewohnt – etwa, wenn wie jetzt Anwälte der sieben Jugendlichen ihre Mandanten zu Unrecht in Untersuchungshaft sehen oder ein ehemaliger Bundesrichter öffentlich Zweifel am Vorgehen der Ermittler äußert. Aber die Art, wie Polizisten beschimpft werden, hat eine neue Dimension erreicht. Sie müssen sich dafür rechtfertigen, wie sie ihre Arbeit machen. Ordnungshüter werden von Menschen beschimpft, die behaupten, sich um Recht und Ordnung zu sorgen – paradox.

    Woher kommt die Welle des Hasses in den Sozialen Netzwerken?

    Und es sind ja längst nicht nur Polizeibeamte, die in der Kritik stehen, denen vorgeworfen wird, die Bürger zu belügen, sie zu täuschen, zu manipulieren. Auch über Journalisten schwappt eine Welle des Hasses. Es gibt Drohungen, Beschimpfungen, höchst aggressive Kommentare im Internet. Das wurde in den vergangenen Tagen überdeutlich. Und man muss sich wirklich fragen: Was ist da in unserer Gesellschaft passiert?

    Beispiele gibt es zuhauf. Nach der Messerattacke am vergangenen Montag auf einen Polizisten am Münchner Hauptbahnhof brach sich etwa der Zorn auf die Polizei der bayerischen Landeshauptstadt Bahn:

    „Dieser sogenannte Deutsche hat bestimmt Migrationshintergrund, also NICHT DEUTSCH !!! Also lügen sie wieder, unsere sogenannte Polizei.“

    „Deutscher... Glaubt ihr den Scheißdreck eigentlich noch selbst?“

    Zwei Sätze. Ein Inhalt. Nach dem Messerangriff hat es in den sozialen Medien zwar viele Genesungswünsche an den Polizisten gegeben – aber eben auch zahlreiche Kommentare und Fragen zur Herkunft des Tatverdächtigen. Anne Zielisch, die ihrem Twitter-Profil zufolge für die AfD in der Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Neukölln sitzt, fragte im Netz: „Bislang gibt es nur die Herkunftsangabe ,Deutscher’, aber keinen Vornamen? Weiß die Polizei München Näheres?“ Die Antwort der Beamten: „Ja wissen wir. Sie würden weinen, wenn Sie den Vornamen lesen würden. Aber wir sagen nichts, dann können Sie noch weiter spekulieren und die Filterblase mit wilden Theorien ausschmücken.“

    Die Pressestelle des Münchner Polizeipräsidiums ist berühmt für derlei pointierte Reaktionen. Der Chef dieses Kommunikationsepizentrums ist Marcus da Gloria Martins, der seit dem Amoklauf am Münchner Olympiaeinkaufszentrum im Jahr 2016 deutschlandweit bekannt ist, weil er die ganze Republik beruhigt hatte. Er ist ein Mann, der Sätze sagt, die nachhallen. Wie etwa diesen auf der Pressekonferenz nach der Messerattacke: „Wir lassen uns nicht politisch instrumentalisieren. Das ist eine ganz wichtige Aussage, die ich allen Brandstiftern mitgeben möchte.“

    Wie die Polizei auf Hetze und Verschwörungstheorien reagiert

    Denn genau das ist das Dilemma: Das Ausschlachten von Tragödien für politische Stimmungsmache – und dass es dabei zuweilen nicht weit her ist mit Anstand und Moral, das erfährt der Pressesprecher immer wieder. Auch in den vergangenen Tagen. Der Bürgerwille werde nicht ernst genommen, die Polizei würde bewusst etwas verschweigen, Informationen abändern, heißt es da. „Ja, das ist über die Jahre schlimmer geworden“, sagt da Gloria Martins. „Es bilden sich sofort völlig konträre Meinungsgruppen und verhärtete Fronten.“

    Wie reagiert man da? „Unsere Reaktionen überlegen wir uns immer sehr gut. Wir sind eine neutrale staatliche Behörde und diese Rolle müssen wir so lange wie möglich einnehmen“, sagt der Polizeisprecher. „Aber wenn die Meinung im Netz plötzlich durch Randgruppen extrem manipuliert wird, wenn auf Fakten überhaupt nicht mehr eingegangen wird und wir erkennen, dass Gerüchte, manipulative Andeutungen oder Falschinformationen verfassungsmäßige Werte angreifen, dann müssen wir deutlich werden. Und dann reagieren wir auch mal zugespitzt.“ Da Gloria Martins hält kurz inne, dann sagt er: „Warten Sie einen Moment, ich lese Ihnen mal eine E-Mail vor.“

    Was ihm da zugeschickt wurde, ist gespickt mit Anfeindungen, Vorwürfen, Beschimpfungen. Da tauchen Wörter auf wie „abschlachten“ und „Missgeburten“, da wird davon gesprochen, dass die Polizei Statistiken fälschen würde – und da steht der Satz: „Ich hoffe, euer Kollege stirbt.“

    Erschreckt ihn das? Dieses Sinken von Hemmschwellen, dieses Hinausposaunen von Hasstiraden? „Nein. Das erschreckt mich nicht. Uns ist bewusst, dass das eine Gruppe ist, die aus ideologischen Motiven heraus reagiert und die überhaupt nicht diskursorientiert ist.“ Das Problem dabei sei aber, dass diese ideologischen Randerscheinungen ein Gewicht bekämen, das sie eigentlich gar nicht haben. Doch im Internet zwingt sich einem der Eindruck auf, als sei der Hass nicht die Ausnahme, sondern die Normalität. „Es gibt aber eine stille mitlesende Mehrheit, die sich jedoch unter dem Getöse gut vernetzter Kampagnen-Accounts der ideologischen Ränder nicht mehr zu Wort meldet.“

    Woher kommt der Hass im Netz? Elke Wagner versucht, dieser Frage auf den Grund zu gehen. Sie ist Professorin für Spezielle Soziologie an der Universität Würzburg und erforscht, ob das Internet eine Plattform für Wut und Angst geworden ist. „Hass und Stammtischparolen hat es schon immer und überall gegeben“, sagt sie. Aber soziale Medien multiplizieren diesen Hass. Auf Plattformen wie Facebook werden Meinungen viel sichtbarer für viel mehr Menschen und werden auch noch gespeichert. „Diese Praxis – jeder kann und darf alles sagen – führt zu einer massiven Beschleunigung und Emotionalisierung im Netz.“ Das bedeutet, dass Meinungen immer stärker und schneller anfluten und wieder abebben. Diskussionen werden emotionaler und es bleibt keine Zeit, sich mit Sachargumenten in Diskurse einzuschalten. Experten wie Polizisten und Journalisten, die neutral und sachlich argumentieren, geraten in die Defensive. „Außerdem macht man sich mit dieser stark emotionalisierten Rede natürlich auch unangreifbar. Was soll man schon auf ,Scheißbulle‘ oder auf ,Dreckspresse‘ antworten? Auf solche Ausdrücke kann man nicht vernünftig reagieren.“

    Tödliche Attacke am Königsplatz: Wie unsere Redaktion mit dem Hass umgeht

    Nach der Gewalttat vom Augsburger Königsplatz dauerte es nicht lange, bis der Hass auch unsere Redaktion erreichte. Wenn das Volk in

    Stefan Krog, Redakteur unserer Zeitung, war einer der ersten, der von dem Vorfall am Königsplatz erfahren hat. „Wir hätten sofort eine Täterbeschreibung veröffentlicht, aber wenn die Polizei keine herausgibt und sich auf die Schnelle nur halbgare Fragmente herausfinden lassen, dann können wir nicht anders“, erklärt er.

    Das Tempo, das im Internet vorgegeben wird, stellt Journalisten oft vor große Herausforderungen. „Informationen lassen sich in Echtzeit übertragen, aber sie lassen sich nicht in Echtzeit recherchieren. Während die Menschen auf der einen Seite der Leitung auf schnelle Informationen warten, sitzen wir am anderen Ende der Leitung und müssen Informationen verifizieren, ergänzen, aufbereiten, einordnen“, sagt Krog. „Wenn wir Dinge sicher wissen, veröffentlichen wir sie auch ohne offizielle Bestätigung, aber dazu müssen die Quellen belastbar sein.“

    Krog schrieb auch einen Kommentar, in dem zu lesen war: „Ohne dass es einen konkreten Hinweis darauf gegeben hätte, dass es sich bei den Tätern um Flüchtlinge handelte, stellten manche Diskutanten genau diese Behauptung auf, gepaart mit der Botschaft, dass Polizei und Medien die Wahrheit vertuschen wollten.“ Er habe darauf so viele Reaktionen bekommen wie noch nie in seiner Karriere – viele zustimmende, aber auch viele, die der Ansicht waren, die Medien redeten die Dinge schön oder dürften über etwas nicht berichten. Krog ist ein umsichtiger Kollege. Einer, der gründlich nachdenkt, bevor er schreibt und der weiß, worauf es ankommt: „,Schreiben, was ist’, lautet unser Credo. Wenn sieben junge Männer gemeinsam unterwegs sind, sich aggressiv verhalten und es dann zu einer Gewalttat mit derart schwerwiegenden Konsequenzen kommt, dann spielt der Hintergrund eine Rolle. Wenn Herkunft und Milieu mit ursächlich für so eine Tat sind, muss man hinschauen.“

    Durch das Getöse rücken Opfer und Trauer oft in den Hintergrund

    Das Tempo des Internets, die moderne Technik, das Vernetztsein hat nicht nur Auswirkungen auf die Arbeit der Presse, sondern auch darauf, wie schnell sich Shitstorms ihren Weg bahnen. Jürgen Pfeffer ist Professor für Computational Social Science an der Technischen Universität München und erklärt: „Der Aufbau von sozialen Netzwerken begünstigt solche negativen Dynamiken.“ Liken oder eben nicht – das fördert ein Schwarz-Weiß-Denken. Hinzu kommt: Der Hass im Netz wird durch Algorithmen verstärkt. Das Ziel aller Plattformen ist, dass der Nutzer so viel Zeit wie möglich dort verbringt, denn dann kann die Plattform mehr Werbung verkaufen. Der Algorithmus errechnet genau die Inhalte, die den Nutzer am meisten interessieren. Dadurch wird er immer tiefer in ein Thema gezogen. „Und wenn jemand eben an Verschwörungstheorien glaubt oder ihn rechtsradikale Inhalte ansprechen, zieht Facebook ihn immer tiefer in diese Szene hinein.“

    Wie diese Szene tickt, das musste auch die Stadt Augsburg erfahren. Sie veröffentlichte eine Traueranzeige, in der zu lesen war: „Durch einen tragischen Vorfall verstarb am 06.12.2019 unser geschätzter Kollege Roland S.“ Daraufhin meldete sich AfD-Politikerin Alice Weidel zu Wort: „Du wirst von einer Gruppe Migranten angegriffen und brutal erschlagen? Dann ist das für die Stadt Augsburg ein ,tragischer Vorfall’. Höhere Gewalt eben, da kann doch keiner was für.“

    Auch diese E-Mail erreichte den Augsburger Oberbürgermeister Kurt Gribl:

    „Wen wollen Sie mit dieser unverschämten, niederträchtigen ,Agenda’ schützen? Sind es die Mörder, Herr Oberbürgermeister?“

    Gribl sagt dazu: Die Formulierung der Todesanzeige sei dem Umstand geschuldet, dass die Stadt nicht selbst Ermittlungsbehörde sei und demgemäß keine strafrechtliche Feststellung treffen könne. „Ganz sicher geht es nicht darum, das schreckliche Geschehen herunterzuspielen. Der Begriff ,Gewalttat’ anstelle von ,tragischer Vorfall’ wäre berechtigt gewesen. Wenn mit der Anzeige aufrichtige Gefühle der Trauer verletzt worden sein sollten, möchte ich mich mit dem Hinweis darauf, dass dies ganz sicher nicht beabsichtigt war, entschuldigen. Dies gilt ausdrücklich nicht für Personen, die das Geschehene und Gesagte politisch instrumentalisieren.“

    Bei all dem Getöse, das es im Internet gibt – ob es nun Augsburg betrifft oder München – rückt manches ein Stück weit in den Hintergrund. Die Trauer. Die Opfer.

    In einer aktuellen Folge unseres Podcasts erklärt Reporter Stefan Krog die Hintergründe der Tat am Königsplatz – und erzählt, wie Journalisten mit dem Fall umgehen. Den Podcast "Augsburg, meine Stadt" finden Sie auf Spotify, iTunes und überall sonst, wo es Podcasts gibt.

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