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Augsburg: Proteste in Augsburg und Berlin: "Eine Demo reicht nicht"

Augsburg

Proteste in Augsburg und Berlin: "Eine Demo reicht nicht"

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    Demo „Augsburg gegen rechts", „Bündnis für Menschenwürde“. Augsburg, Rathausplatz;
    Demo „Augsburg gegen rechts", „Bündnis für Menschenwürde“. Augsburg, Rathausplatz; Foto: Klaus Rainer Krieger

    Im Meer aus Menschen rinnt langsam eine Träne. Die Zahl 25.000 ist kaum über dem Augsburger Rathausplatz verhallt, da sackt die junge Frau in der schwarzen Lederjacke und den schwarzen, nach hinten gebundenen Haaren leicht zusammen und weint einfach, im Gesicht ein mildes Lächeln. Und so steht sie da, ganz für sich in diesem stillen Moment, aber doch umtost von der Wucht ringsherum. Von all den Menschen, die sich an diesem Nachmittag in Augsburg umarmen, die singen, klatschen und schreien. Die Schilder mit eindeutigen Botschaften hochhalten. "

    Es hatte sich zuletzt abgezeichnet, dass deutlich mehr Menschen kommen würden als die 2000, die das Augsburger Bündnis für Menschenwürde vor gut zwei Wochen angemeldet hatte. Aber 25.000? Eine Größenordnung, die die Stadt in den vergangenen Jahrzehnten nicht erreicht hat? Das hatte niemand erwartet, auch die Polizei nicht. Es macht an diesem Samstagnachmittag aber auch nichts. Noch vor Beginn der Groß-Kundgebung weitet die

    Demo in Augsburg: Schulterschluss aus mehr als 50 regionalen Vereinen, Unternehmen, Kultureinrichtungen

    Als dann jeder seinen Platz gefunden hat, geht es ums Eigentliche: das Eintreten für Demokratie und Vielfalt, gegen Rechtsextremismus und Fremdenhass. Augsburg schien sich da vorab recht einig zu sein, der Demo war ein bemerkenswerter Schulterschluss aus mehr als 50 regionalen Vereinen, Verbänden, Unternehmen, Kultureinrichtungen, Kirchen, Sportvereinen und sonstigen Organisationen vorangegangen. Ein breites gesellschaftliches Bündnis, das sich dann auch im Publikum widerspiegelt: Aus ganz Schwaben kommen "Omas gegen rechts", Studentinnen, Rollstuhlfahrer, Menschen mit Migrationsgeschichte, bunt gefärbten Haaren oder gar keinen mehr. Viel Farbe, viel Grinsen, viel Lautstärke und Einheit. Als alle gemeinsam singen – mal "Augsburg ist bunt", mal "All you need is love" –, wirkt der Spruch, der über dem Rathausplatz prangt, fast noch ein bisschen wuchtiger: "Nie wieder ist jetzt."

    Geschätzt 25.000 Menschen kamen zur Demo auf dem Augsburger Rathausplatz.
    Geschätzt 25.000 Menschen kamen zur Demo auf dem Augsburger Rathausplatz. Foto: Klaus Rainer Krieger

    Und nicht nur in Augsburg stehen die Menschen an diesem Wochenende auf – für Demokratie, für Toleranz, gegen Rechtsextremismus. In Kempten zieht es am Samstag weit mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf die Demo, die vom St.-Mang-Platz zum Hildegardplatz führt. Mehr als 6300 sind es am Schluss, gibt die Polizei an. Und selbst jenseits der Metropolen bringt der viel zitierte "Aufstand der Anständigen" die Menschen auf die Straße: 2000 sind es am Samstag in Günzburg, 1900 in Dießen am Ammersee, 2700 kommen am Sonntag nach Nördlingen. Oder, am Samstag, 2000 Menschen, die durch die Innenstadt in Neuburg an der Donau ziehen. Junge und Ältere in dicken Winterjacken und bunten Mützen, Studenten und Rentner, Eltern mit ihren Kindern, die ihr Faschingskostüm tragen. Ein Mädchen hält einen Karton hoch, auf dem ein bunter Regenbogen gemalt ist. Auf dem Schild ihres Bruders steht in bunten Lettern: "Wer nicht denkt und wer nichts weiß, glaubt den ganzen Nazi-Scheiß." 

    Auch auf dem Augsburger Rathausplatz gibt es zur gleichen Zeit klare Botschaften. Augsburgs Bürgermeisterin Eva Weber (CSU) betont, Demokratie sei als Staatsform einziger Garant für Würde, Freiheit und Gleichberechtigung des Einzelnen. "Und deshalb ist es wert, dass wir sie verteidigen." Sie richtete auch einen Appell an diejenigen, die zuletzt versucht hätten, sie wegen ihrer Aufrufe gegen rechts "mundtot" zu machen: "Ich werde nicht ruhig sein." Es folgt lauter Applaus. Auch andere finden viel Zuspruch – etwa Bischof Bertram Meier. Er sagt: "Jeder, egal, ob Kind oder Greis, Mann oder Frau, queer oder hetero, ausnahmslos jeder Mensch ist hier auf dieser Welt zu Hause und hat das Recht auf ein menschenwürdiges Leben." Es gelte, "die politischen Kräfte zu stärken, die Menschlichkeit, Versöhnung, Frieden und soziale Gerechtigkeit vertreten". 

    In Berlin ist es bereits die zweite Großdemo binnen zwei Wochen

    Auch weniger bekannte Menschen auf der Bühne finden bewegende und nachdenkliche, manchmal wütende Worte. So wie Düzgün Polat. Er spricht für migrantische Organisationen – und skizziert, wo und wie Menschen mit Migrationsgeschichte diskriminiert werden, im Alltag, auch medial. Sie würden teils "zur Zielscheibe gemacht" oder kriminalisiert. "Bevorzugt behandelt werde ich dagegen in Zahnarztpraxen", sagt er in Anspielung auf entsprechende Unterstellungen des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, im Ton auch bitter. Gelächter im Publikum. Und die Menschen dort, im Publikum? Sie sind aus Überzeugung da. "So etwas wie vor knapp 100 Jahren darf nicht mehr passieren", sagt Ursula Farquhar, 57 Jahre alt, gebürtige Schottin. Es sei "Zeit, aufzustehen und dagegen vorzugehen". Hannah Maaßen, 24, hat sich Blumen ins Haar gebunden, sie trägt knallroten Lippenstift und eine rote Bluse. Für die Augsburger Studentin ist es an der Zeit, ein Zeichen zu setzen und sich mit Menschen, die von Rassismus und Diskriminierung betroffen seien, "solidarisch zu zeigen". Und sie glaubt, dass es mit diesem Nachmittag in Augsburg nicht getan sein wird. Auf ihrem Schild steht jedenfalls: "Eine Demo wird nicht reichen!"

    Hannah Maaßen aus Augsburg ist überzeugt: "Eine Demo wird nicht reichen."
    Hannah Maaßen aus Augsburg ist überzeugt: "Eine Demo wird nicht reichen." Foto: Klaus Rainer Krieger

    In Berlin ist es bereits die zweite Großdemo binnen zwei Wochen. Mehr als 100.000 Menschen kamen Mitte Januar zu einer recht spontan ausgerufenen Kundgebung. Dieses Mal läuft der Protest, der vom Netzwerk "Hand in Hand" aus mehr als 1300 Vereinen, Verbänden und Parteien organisiert wurde, strukturierter ab. Trotzdem geht eine Stunde nach dem offiziellen Start der Demo nichts mehr. „Die Hauptversammlungsfläche am Reichstag ist vollständig ausgelastet. Bitte versuchen Sie nicht mehr, dorthin zu gelangen“, meldet die Polizei am Samstag kurz vor 14 Uhr und öffnet gleichzeitig weitere Flächen rund um das Parlament, um den vielen Menschen Platz zu schaffen. Mindestens 150.000 Menschen sind es laut Polizei, die Veranstalter sprachen von 300.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

    Hand in Hand - für Demokratie und gegen Rechtsextremismus.
    Hand in Hand - für Demokratie und gegen Rechtsextremismus. Foto: Christophe Gateau, dpa

    Die Linkspartei zieht mit roten Flaggen über die Straße des 17. Juni, daneben die schwarzen Fahnen der Antifa, die mit Reggaemusik dem Regenwetter trotzt. Vom Alexanderplatz ziehen Gruppen durchs Brandenburger Tor, der Menschenstrom vereint sich dort mit denen, die vom Potsdamer Platz oder der Siegessäule Richtung Reichstagsgebäude unterwegs sind. Eine Menschenkette war angekündigt worden und kommt auch zustande. Viele Kundgebungen hat Berlin schon erlebt, diese ist eine der eindrucksvollsten. 

    Schon vor der Augsburger Demo hatten die Veranstalter betont, die Demo gegen Rechtsextremismus solle "erst ein Anfang" sein

    Seit Mitte Januar die Enthüllungen des Recherchezentrums Correctiv über ein Treffen von Rechtsradikalen in Potsdam bekannt wurden, an dem auch AfD-Politiker teilgenommen hatten und wo über die massenhafte Ausweisung von Menschen mit Migrationsgeschichte gesprochen wurde, hat bei vielen Menschen eine Schockwirkung gehabt. Anfangs gingen Zehntausende am Wochenende auf die Straße, zuletzt nun waren es Hunderttausende. Was aber können diese Proteste bewirken? Und wie lang kann eine solche Protestwelle anhalten? Der Soziologe Dieter Rucht, Mitbegründer des Berliner Instituts für Protestforschung, glaubt, dass die Euphorie, mit der jetzt auf den Straßen demonstriert wird, nicht von allzu langer Dauer sein wird. "Nach bisherigen Erfahrungen halten solche Protestwellen, vor allem wenn sie wie im Moment so dicht und in der Fläche so präsent sind, vielleicht einige Wochen. Danach ebben sie zwangsläufig wieder ab." Die Leute würden durch die schiere Wiederholung einfach müde, die Medien berichteten weniger oder auch gar nicht mehr. "Das führt zu einer abnehmenden Aufmerksamkeit", sagt der gebürtige Kemptener.

    Zur Demo gegen rechts kamen in Berlin mindestens 150.000 Menschen.
    Zur Demo gegen rechts kamen in Berlin mindestens 150.000 Menschen. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Dennoch könne einiges, das nun angestoßen wurde, überdauern. "Ein Teil der Demonstrierenden wird sagen: Das kann es noch nicht gewesen sein. Diese Menschen könnten sich dann noch stärker und kontinuierlicher engagieren, etwa in Gruppen, die jetzt neu entstehen, oder in schon existierenden Bündnissen", sagt Rucht im Gespräch mit unserer Redaktion. Einige Menschen würden zudem auch selbstbewusster, etwa am Arbeitsplatz oder im Sportverein. "Sie werden entschiedener Einspruch erheben, wenn problematische Aussagen von rechter oder von rassistischer Seite getätigt werden."

    Schon vor der Augsburger Demo hatten die Veranstalter betont, die Demo gegen Rechtsextremismus solle "erst ein Anfang" sein. Nun spüren sie den Rückenwind von 25.000 Menschen. "Wir wollen bestehende Strukturen ergänzen und eine Vernetzung über die Stadtgrenze hinweg hinbekommen", sagt Matthias Lorentzen, Demo-Organisator, Grünen-Kommunalpolitiker und Vorsitzender des Bündnisses für Menschenwürde. Als Beispiel nennt er Nürnberg, wo es ein solches Metropol-Netzwerk bereits gebe. Vorstellbar sei eine regionale Verknüpfung mit Organisationen, die bis ins Allgäu reiche. Aber auch innerhalb Augsburgs wolle man das Bündnis, das sich zur Demo zusammengefunden habe, möglichst "weiterentwickeln". Denn ihnen allen sei auch klar: "Mit Demos allein ist es nicht getan."

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