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Augsburg: Müssen größere Privatpartys in Corona-Zeiten wirklich sein?

Augsburg

Müssen größere Privatpartys in Corona-Zeiten wirklich sein?

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    Die Bässe wummern, die Nebelmaschine arbeitet und an der Wand prangt die Aufschrift „Bunga Bunga“: Privatparty in der Pantheon Lounge in Augsburg, noch zu einer frühen Stunde.
    Die Bässe wummern, die Nebelmaschine arbeitet und an der Wand prangt die Aufschrift „Bunga Bunga“: Privatparty in der Pantheon Lounge in Augsburg, noch zu einer frühen Stunde. Foto: Peter Fastl

    Um kurz vor 2 Uhr kommt die Polizei dann doch. Die beiden Beamten stampfen die knarzende Treppe des denkmalgeschützten Gebäudes in der Augsburger Maximilianstraße nach oben. Erster Stock, Pantheon Lounge, 18. Geburtstag von Alec. Der Vorwurf lautet: „Uns wurde berichtet, dass die Vorschriften nicht eingehalten werden.“ Türsteher Tobias Heindl legt die entlastenden Beweismittel vor. Eine Mietvereinbarung zwischen Club und Veranstalter der Privatparty. Eine Gästeliste, vier Seiten, 75 Namen, alphabetisch sortiert, mit Handynummern. Und Gastgeber Alec, der plötzlich am Eingang steht und die Polizisten in übermütiger Beschwipstheit fragt: „Wollt’s was zu trinken?“

    Wollen sie nicht. Lieber ein kurzer Kontrollblick. Tür auf, heiße Brise Discoluft: Parfüm, Schweiß, Alkohol, so riecht eine Freitagnacht. Die Anlage presst Hip-Hop-Beats aus der Decke. Auf der vollen, mundschutzfreien Tanzfläche registriert niemand den Besuch der Staatsmacht. Dann steckt der jüngere Beamte seinen Kopf wieder aus der Tür und sagt: „Sieht alles okay aus!“ Die Polizisten ziehen ab, die Party geht weiter.

    Während Alec und seine Freunde auf 101 Quadratmetern das Leben feiern, die Musik, die Liebe vielleicht auch, braut sich draußen ein wegweisendes Wochenende in diesem Corona-Herbst zusammen.

    Stunden zuvor hat Bundeskanzlerin Angela Merkel den Bürgermeistern der elf größten deutschen Städte per Videokonferenz unter anderem Hilfe durch Bundeswehr und Robert-Koch-Institut (RKI) für den Ernstfall zugesichert. Das RKI selbst wird am Samstagmorgen 4721 neue Corona-Fälle melden, ein Höchstwert seit dem Frühjahr.

    Ministerpräsident Markus Söder fordert "weniger Alkohol und weniger Feiern"

    Nach Berlin, Bremen und Frankfurt werden auch Stuttgart, Essen, Köln und München zu Risikogebieten erklärt. Sonntagfrüh wird die Münchner Polizei die Reste einer illegalen Rave-Party auf dem Schlachthof-Gelände auflösen. Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, wird der Bild am Sonntagsagen: „Ich erwarte von den Bürgern, dass sie aus Verantwortungsbewusstsein nicht mehr alles machen, was sie noch dürfen. Man muss gerade keine Party bei sich zu Hause oder in der Gaststätte feiern.“ Und sein bayerischer Amtskollege Markus Söder am Dienstag nachlegen. Die Devise müsse sein: „Mehr Maske, weniger Alkohol und weniger Feiern.“

    Markus Söder CSU, Ministerpräsident von Bayern, vor einer Kabinettsitzung in München.
    Markus Söder CSU, Ministerpräsident von Bayern, vor einer Kabinettsitzung in München. Foto: Peter Kneffel, dpa

    Clubbing während Corona – muss das sein? Alec, ein höflicher junger Mann mit Mittelscheitel, Silberkettchen und leichtem Flaum an den Backen, hat lange nachgedacht. „Die Angst war immer da. Ich habe mir das alles durch den Kopf gehen lassen.“ Absagen? Oder abgehen?

    Na ja, man wird nur einmal im Leben volljährig. Das Pantheon kennt Alec aus vorviralen Zeiten. Lange her. Das Jahr über hat er sich nur privat bei Freunden getroffen. Es soll die erste große Party werden.

    Er fixierte den Termin mit Pantheon-Besitzer Walter Lugert und schrieb seinen Gästen im Gruppenchat: Wer sich nicht gut fühlt, soll bitte zu Hause bleiben. Ein gutes Dutzend hat am Ende abgesagt. Aber: „Zum Glück hat es noch geklappt. Alles easy!“

    21 Uhr, Einlass. Alec hat für alles gesorgt. Es gibt eigene VIP-Bändchen, Currywurst und für die Gäste eine Rolle Getränke-Coupons, so dick wie Klopapier. Der Vater – überdimensionale Brille, angegrauter Hipsterbart – ist auch da, mit einer Kiste Wein als Vorrat. Zwei Kumpels übernehmen das DJ-Pult, Lugerts Frau und die beiden Kinder die Bar. Ist inklusive, Alec muss nur eine kleine Pauschale für den Sicherheitsdienst bezahlen.

    Langsam trudeln die ersten Gäste ein: Jungs in übergroßen T-Shirts, Mädchen in bauchfreien Tops. Durch das Pantheon wummert Loungemusik mit Saxofon.

    Die Maskenpflicht ist nicht ganz zu den Jugendlichen durchgedrungen

    An der Tür wacht Sicherheitsmann Heindl, 40, über die Gästeliste. Während er so an seiner Cola mit extra viel Eis nippt, die schriftliche Erlaubnis für minderjährige Partygäste kontrolliert und erzählt, von 20 Jahre Türstehen, seiner Security-Firma, die wegen Corona jetzt nur noch fünf statt 50 Mitarbeiter habe, von pöbelnden Fußballprofis, fliegenden Sektgläsern und Deeskalationsstrategien, die Stimme mit dem Sanftmut eines Sozialarbeiters, kristallisiert sich das erste Problem des Abends heraus: Die Maskenpflicht im Treppenhaus ist nicht ganz zu den Jugendlichen durchgedrungen.

    Mit dem Alkoholpegel der Gäste steigt auch das Volumen von Heindls Stimme: „Hey, Maske!“ Die Ersten stolpern über die Stufe am Eingang. „Wenn ich jetzt nicht anziehe, ist es später aus und vorbei“, sagt Heindl.

    Die Grenzlinie des Erlaubten, sie ist trüb und schlingert ein wenig, wie der Blick nach dem fünften Moscow Mule. Grundsätzlich sind in Bayern private Innenveranstaltungen auf 100 Personen gedeckelt. Steigt die sogenannte Inzidenz, die Zahl der Infektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche, auf über 35, sind lokal nur noch 50 Gäste erlaubt, bei einer Inzidenz größer 50 gar bloß 25.

    Am Tag von Alecs Geburtstagsfeier liegt der Sieben-Tages-Wert in Augsburg bei 29,2. Grünes Licht also. Auf solchen Privatfeiern gilt weder Masken- noch Abstandspflicht. Die Gäste müssen nur durch eine Liste nachverfolgbar und dem Gastgeber bekannt sein. „Die können im Raum feiern, als gäbe es kein Corona“, sagt Lugert.

    Branchenkollege Stefan Egger findet die Regel dubios. Auch er vermietet seinen Club, das PM in Untermeitingen, für Privatpartys. „Nur für ein bisschen Leben in der Öde“, wie er sagt. Finanziell nämlich können sich 100 Leute in einer Großraumdisco mit zwanzigfacher Kapazität kaum rentieren.

    PM-Chef Egger hätte ein Corona-Hygienekonzept. Doch die Politik will davon nichts wissen

    Dabei hätte Egger ein Hygienekonzept für den Regelbetrieb: 25 Prozent Auslastung, Plexiglas-Kojen als private Sitzecken, mietbar für bis zu zehn Personen, kein Mund-Nasen-Schutz, Getränke an den Tisch. Und auf der zentralen Tanzfläche wird Maske getragen. Ausweiskontrollen seien in Discos ohnehin Standard. „Lieber kontrolliert als irgendwo illegal“, findet Egger.

    Doch die Politik will das nicht. So bleibt seine Idee vom Club light eine Utopie, während freitagabends im Pantheon die Leute steilgehen.

    „When I’m with you all I get is wild thoughts“, flirtet Rihanna durch die Lautsprecher. Wilde Gedanken also. Die Tanzfläche ist jetzt voll. Hände hoch, Hüften schwingen, die ersten Küsse. Alec erfüllt Gastgeberpflichten („Du, noch was zu essen?“ „Junge, was geeeeht?“, Faustcheck, Schultercheck), nimmt Geschenke entgegn (eine LED-Leinwand mit Fotocollage, neue Nikes, ein Basketballtrikot der LA Lakers) und dirigiert die Menge von der DJ-Empore aus.

    Kurz nach Mitternacht. Die schlanke Frau, die sich am Eingang als „Artistin“ vorgestellt hat, rekelt sich jetzt um eine Stange. An der Wand über ihr die Aufschrift: „Bunga Bunga“. Jungs grölen, Mädchen kreischen. Alec, im Hintergrund, sagt verdutzt: „Ich hatte keine Ahnung.“ Die Dame bleibt halbwegs angezogen. Zwei Partygäste, die zu ihr auf die Bühne springen, nicht. Trotzdem alles jugendschutzkonform.

    Die Polizei sagt: Privatfeiern fallen derzeit nicht ins Gewicht

    Wenn der Alkohol fließt und die Abstände schrumpfen, schrillen bei Virologen die Alarmglocken. Von den Après-Ski-Hütten in Ischgl begann Covid-19 im Frühling seinen Feldzug durch ganz Europa. Für den ersten lokalen Lockdown in Deutschland sorgte damals eine Karnevalssitzung im Kreis Heinsberg. Auch zuletzt gerieten Großhochzeiten und Corona-Partys immer wieder in die Schlagzeilen.

    In der Region würden Privatfeiern derzeit nicht ins Gewicht fallen, berichten das Polizeipräsidium Schwaben Nord und das Ordnungsreferat der Stadt Augsburg auf Anfrage. Beide fügen warnend hinzu: noch nicht. „Ich habe natürlich immer ein wenig Bauchschmerzen. Man muss klar sagen: Es lässt sich nichts ausschließen“, sagt Club-Betreiber Lugert.

    Wer in diesen Tagen Manuel Müller-Hal erreichen will, braucht Geduld. Mehrmals muss er das Interview verschieben. Am Samstag sagt er: „Derzeit ist echt Oberkannte Anschlag.“ Am Sonntag schreibt er: „Ich schlafe jetzt kurz.“ Da ist es halb zwei Uhr nachmittags.

    Der 32-Jährige ist Leiter des Contact Tracing Teams (CTT) im Gesundheitsamt Landsberg. Klingt nach Terrorbekämpfung, ist es im Prinzip auch. Müller-Hal steht an der Front gegen Corona. Seine Truppe soll Infektionsketten nachverfolgen. Er benachrichtigt Infizierte, erkundigt sich täglich nach ihren Symptomen, rekonstruiert ihre Tage kurz vor der Erkrankung, ermittelt Kontaktpersonen.

    Im Kreis Landsberg ist der Inzidenzwert noch eher unproblematisch

    Die aktuellen Fälle sind: Ein Schulkind, das zwischenzeitlich auf einer Kommunion war, hat sich infiziert. Auch in einer Sportgaststätte gab es einen „sehr diffusen“ Ausbruch. Dazu mehrere Infizierte, die mehrmals in der Gaststätte waren. Vieles lässt sich nicht mehr ganz nachvollziehen.

    Vor ein paar Monaten noch war Müller-Hal Zahnarzt. Doch wer Corona fürchtet, geht nicht zur Routineuntersuchung. Er verlor seinen Job, reiste mit dem Alpenverein nach Ischgl, zwei Wochen Quarantäne – und kam so in Kontakt mit dem Gesundheitsamt und zu seiner neuen Stelle.

    1500 Menschen arbeiteten Ende September in CTTs, sagt eine Sprecherin des bayerischen Gesundheitsministeriums, vor allem Beamte und Medizinstudenten. Mehr als doppelt so viele stünden im Bedarfsfall zur Verfügung. „Derzeit sind uns keine Engpässe gemeldet“, sagt sie. Und doch merkt man Müller-Hal die Erschöpfung an. Aktuelle Inzidenz im Kreis Landsberg: noch unproblematische 28,3.

    Pantheon, Augsburg, 1 Uhr, frische Luft. „Ist genau, wie ich’s mir vorgestellt habe“, sagt Alec, grinst und zieht an seiner E-Zigarette. Klar, es wäre schon noch größer gegangen, aber man muss ja auch nicht übertreiben. Corona und so.

    1.30 Uhr: Alec balanciert ein Tablett Pfefferminzlikör über die Tanzfläche. Die Runde geht auf ihn.

    1.50 Uhr: Polizeibesuch.

    2.30 Uhr: Der Gastgeber wechselt zwischen den Lippen seiner Freundin und der Bar.

    Am Eingang hat sich Türsteher Heindl in der Zwischenzeit drei Standardsätze angeeignet: „Maske auf!“, „Die Getränke bleiben drinnen!“ und: „Steht ihr auf der Liste?“ Die Bars in der Nähe sind schon zu. Das pulsierende Licht im Pantheon zieht das Partyvolk an wie Mücken. Heindl bleibt hart. Kein zugedrücktes Auge. Keine 20 Euro extra im Geldbeutel.

    In Augsburg liegt der Inzidenz-Wert jetzt bei 58,05

    An die 50 Leute muss er abweisen. „Die sind ausgedurstet nach der langen Pause. Ich kann mich vor Anfragen kaum retten“, sagt Lugert. Ein Gang durch die Maximilianstraße zeigt: Auch im Nox und der Mahagoni Bar werden Privatpartys gefeiert. Bis Weihnachten ist das Pantheon an den Wochenenden ausgebucht. Vorbehaltlich.

    Pantheon-Betreiber Walter Lugert (Zweiter von links) mit Ehefrau Jutta sowie Sohn Felix und Tochter Klara.
    Pantheon-Betreiber Walter Lugert (Zweiter von links) mit Ehefrau Jutta sowie Sohn Felix und Tochter Klara. Foto: Peter Fastl

    Denn die deutschen Großstädte wollen den Feiernden das Discolicht ausdimmen und reagieren auf die explodierenden Infektionszahlen. Ob in Frankfurt, Berlin, Köln oder München: Kontaktbeschränkungen, Sperrstunden und Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen.

    Auch in Augsburg steigt die Inzidenz über das Wochenende von gut 25 auf zunächst 49,3. Oberbürgermeisterin Eva Weber (CSU) beruft eine Pressekonferenz ein. Am Dienstagabend teilt die Stadt mit: Der Wert liegt jetzt bei 58,05. Die angekündigten verschärften Infektions-Schutzmaßnahmen treten an diesem Mittwoch also in Kraft. Das heißt auch, dass nun der Ende September beschlossene Mechanismus der Länder greift: nur noch 25 Leute auf Privatpartys.

    Auf Alecs Geburtstagsfeier denkt daran am frühen Samstagmorgen noch niemand. Um 5 Uhr trottet der 18-Jährige die Straße hinüber zum Hotel Drei Mohren, sein Schlafplatz für die Nacht. „Alles mega!“, wird er später schreiben.

    Ob es die letzte Party war in diesem Jahr, trotz der großen Nachfrage? „Ich fürchte es, habe insgesamt aber vollstes Verständnis für die Politik“, sagt Walter Lugert. Er hat bereits einen Privatkredit aufnehmen müssen. Bis zum Frühjahr reiche der noch.

    Auch Alec sagt: „Ich verstehe das schon. Aber ich glaube nicht, dass etwas auf meiner Party passiert ist.“ Kurzes Zögern. „Ich hoffe es zumindest. Schwierig.“

    Wie trifft die Corona-Krise Veranstaltungstechniker? Hören Sie sich dazu unseren Podcast von Juli 2020 aus der Reihe "Augsburg, meine Stadt" an:

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