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Foto: Ulrich Wagner
Foto: Ulrich Wagner

Hannah und ihre Mutter Katrin Kehl haben viel Zeit im Schwäbischen Kinderkrebszentrum verbracht.

Augsburg
17.06.2022

"Beschämende Zustände": Kinderkrebszentrum ist von Spenden abhängig

Von Daniela Hungbaur

Für das Kinderkrebszentrum in Augsburg müssen nicht nur Spielsachen erbettelt werden. Längst wird wichtiges Personal von Vereinen finanziert, die Spenden sammeln.

Das hohe Fieber kam in den Ferien. Im Herbst vergangenen Jahres. Es stieg über 40 Grad und ließ sich über eine Woche nicht senken. Als die zwölfjährige Hannah nach ihrer Rückkehr mit ihrer Mutter sofort zum Kinderarzt geht, war dieser sehr beunruhigt. Das war an einem Freitag. Sie wurde in die Klinik überwiesen. Am Montag bekam Hannah die Diagnose: Leukämie.

Seit diesem 5. September war Hannah, die mit ihren zwei jüngeren Brüdern und ihren Eltern in Buttenwiesen im Landkreis Dillingen lebt, immer wieder im Schwäbischen Kinderkrebszentrum in Augsburg. Oft über Wochen, dann wieder nur für ein paar Tage. Eine sehr schwere Zeit. Vor allem für Hannah. Aber auch für ihre Eltern.

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Foto: Silvio Wyszengrad
Foto: Silvio Wyszengrad

Prof. Michael Frühwald ist Direktor der Klinik für Kinder und Jugendliche am Uniklinikum Augsburg.

Überall fehlt das Geld – schon für die Forschung sind Spenden nötig

Etwa 70 junge Patienten erhalten im Schwäbischen Kinderkrebszentrum in Augsburg jährlich die Diagnose Krebs. Bundesweit erkranken im Jahr etwa 2000 Kinder unter 18 Jahren an einer bösartigen Erkrankung. Die Heilungschancen werden zwar immer besser, doch dafür braucht es Forschung. Und schon diese ist nur mit Unterstützung von Spenden möglich, erklärt Professor Dr. Michael Frühwald, der Leiter des Schwäbischen Kinderkrebszentrums. Denn ohne einer sogenannten Anschubfinanzierung für Forschungsprojekte könnte sein Haus größere Forschungsvorhaben gar nicht an den Start bringen.

„Dafür habe ich ja auch noch ein gewisses Verständnis“, sagt der Kinderonkologe. Wofür ihm aber jedes Verständnis fehlt, ist die Tatsache, „dass wir auch immer mehr Regelversorgung nur über Spenden finanzieren können“.

Das beginne bei einer Beschattung der Fenster, damit die schwer kranken Kinder im Sommer nicht in der Hitze in ihren Betten ausharren müssen. Aber auch den Neuropsychologen, der Kinder, die an einem Hirntumor leiden, behandelt, und die Erzieherin, die den Kindern ihren stationären Aufenthalt etwas erleichtert, könnten nur bezahlt werden, weil Vereine mit Spendengeldern die Kosten für diese Mitarbeiter übernehmen.

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Früher habe man die Kinder zum Teil mit Medikamenten ruhiggestellt, als es beispielsweise noch keine Erzieherin und Sporttherapeutin gegeben hat, erklärt Frühwald. Auch dürfe man nicht vergessen, dass für etliche Behandlungen oder Untersuchungen bei Heranwachsenden eben mehr Zeit und Aufwand als bei Erwachsenen nötig ist. Beispiel: Strahlentherapie. Kleine Kinder haben bei der belastenden Behandlung oft große Ängste. In einer bayerischen Kinderklinik sei erfolgreich eine Erzieherin eingesetzt worden, die mit den Kindern während der Therapie eine Traumreise macht. „Solche Stellen finanzieren die Kassen aber nicht, daher müssen wir die Kinder aus Spargründen narkotisieren, was meines Erachtens einer Körperverletzung nahe kommt.“

Finanzielle Nöte plagen nicht nur das Schwäbische Kinderkrebszentrum

Frühwald spricht von „beschämenden Zuständen“, geht es doch um nichts weniger als um das Überleben der Kinder und Jugendlichen. Der erfahrene Mediziner ist sich längst sicher: „Die Kostenträger – also die Krankenhausgesellschaften und die Krankenkassen – kalkulieren die Spenden einfach mit ein und erhöhen deshalb die Fallpauschalen nicht.“

Die finanziellen Nöte plagen nicht nur das Schwäbische Kinderkrebszentrum, sie treffen viele Kinderkliniken. Und nach einem Besuch in einer Kinderklinik in Nordrhein-Westfalen twitterte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Anfang Mai: „Kinderkliniken kommen aus der Fallpauschale, dann gibt es auch kein Defizit mehr.“

Auf Nachfrage unserer Redaktion, wann sich denn etwas ändert, heißt es vom Bundesgesundheitsministerium: "Eine flächendeckende, qualitativ hochwertige und wohnortnahe Versorgung von Kindern und Jugendlichen ist der Bundesregierung ein wichtiges Anliegen." Der Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sehe in diesem Zusammenhang vor, "kurzfristig für eine bedarfsgerechte auskömmliche Finanzierung für die Pädiatrie und Geburtshilfe zu sorgen".

Um "die notwendigen Reformen im Krankenhausbereich" anzugehen, sei eine Regierungskommission "für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung" eingerichtet. Diese habe am 12. Mai ihre Arbeit aufgenommen. Sie werde sich "mit einzelnen Fragestellungen sowie Themen insbesondere zur Krankenhausplanung und -finanzierung auseinandersetzen und Stellungnahmen erarbeiten – so auch zur Finanzierung der Pädiatrie und Geburtshilfe. Dieser Prozess bleibt abzuwarten, bevor der politische Reformprozess beginnt".

Vereine wollen vor allem die Familien unterstützen

Warten können aber schwer kranke Kinder und Jugendliche nicht. Das weiß Dr. Rainer Karg, der Vorsitzende der Kinderkrebshilfe-Königswinkel. Den Verein gibt es seit 23 Jahren. Wichtig ist ihm, dass der Aufenthalt der Kinder und ihren Familien in den Kliniken erträglicher wird. Und zwar nicht nur in Augsburg, sondern auch in den Kinderkliniken in Kaufbeuren, Kempten und Memmingen.

Seit vielen Jahren engagiert sich der Allgemeinmediziner Karg gezielt für krebskranke Kinder indem er unter anderem Spenden-Radtouren veranstaltet. Denn er weiß: „Ohne ehrenamtliche Hilfe wäre es um krebskranke Kinder und ihre Familien schlecht bestellt.“ Sein Verein mit circa zehn Mitgliedern sei zwar klein, „aber wir sind dadurch auch unbürokratisch und helfen schnell“. Entscheidend ist für Karg und sein Team, dass vor allem die Familien jede Unterstützung erhalten, die sie im Kampf gegen die Krankheit stärkt. Da werden beispielsweise Verdienstausfälle übernommen oder Fahrtkosten, da werden für die Klinik Musikinstrumente angeschafft oder Begleitbetten, damit Mutter oder Vater direkt neben dem Krankenbett des Kindes nächtigen können. „Auch den Bau eines Kinderkrebsforschungszentrums in Augsburg haben wir mit einer hohen Summe ermöglicht.“ Und auch dringend nötige Personalstellen, „die von der Verwaltung gestrichen wurden“, finanziere der Verein.

Dieses umfangreiche Leistungsspektrum bietet auch der Verein „Lichtblicke“. Die "Elterninitiative krebskranker Kinder Augsburg" hat unweit des Schwäbischen Kinderkrebszentrums nicht nur ihren Sitz, sondern auch ein Elternhaus. 1985 aus einer Selbsthilfegruppe heraus entstanden, sorgt der Verein heute nicht nur für Elternzimmer, sondern greift Familien in den unterschiedlichsten Notsituationen unter die Arme und arbeitet dafür eng mit dem psychosozialen Dienst der Kinderklinik zusammen. Denn „Lichtblicke“ fördert ausschließlich das Schwäbische Kinderkrebszentrum. Einerseits, um die Behandlungen kindgerechter und erfolgreicher zu machen, andererseits aber auch, um die Wünsche der Kinder und Familien zu erfüllen, erklärt Geschäftsführer Thomas Kleist. Als zwei von unzähligen Beispielen nennt er die Finanzierung von Forschungsprojekten für Kinder mit Hirntumoren, aber auch die Beteiligung an Erweiterungsbauten des Kinderkrebszentrums.

Auch der „Förderkreis für krebskranke Kinder im Allgäu“ und der Verein „Glühwürmchen“ unterstützen das Kinderkrebszentrum regelmäßig.

Zwölfjährige erzählt, was ihr geholfen hat

Hannah und ihre Eltern wissen heute, was wirklich hilft, um diese belastenden Monate gut zu überstehen. Wer mit Mutter und Tochter spricht, bekommt anschaulich beschrieben, was es heißt, wenn einem sportlichen, lernbegeisterten, an ihren Freundinnen hängenden Mädchen von einem Tag auf den anderen der Krebs nicht nur die Kräfte raubt, sondern das ganze gewohnte Lebensumfeld.

Hannah konnte zeitweise kaum noch etwas essen, sich nur noch schlürfend fortbewegen und war so tief bedrückt, dass sie über Wochen nichts mehr gesprochen hat. Eine großzügige Terrasse, auf der man auch mit seinen vielen Infusionen raus gehen kann, eine Elternküche, in der einem die Mama auch nachts die Leibspeise kochen kann, eine Sporttherapeutin, die einen zu kleinen Bewegungen motiviert und eine Erzieherin, die jede Menge Möglichkeiten zum Basteln, Malen, Musizieren hat, haben auf einer Kinderkrebsstation eine ganz andere Bedeutung. Das wird im Gespräch mit Hannah klar. „Das Umfeld hat ihr geholfen, den Krebs zu bekämpfen“, sagt Katrin Kehl und ihre Tochter ergänzt: „Aktuell sind keine bösartigen Zellen mehr vorhanden.“ Hannah kann also wieder das Familienleben genießen, ihre Freundinnen treffen und – was sie besonders freut: „Ich darf endlich wieder in die Schule!“

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