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Augsburg/Gersthofen: Wie eine geplante Asylunterkunft im Hotel zum Symbol des Scheiterns wurde

Augsburg/Gersthofen

Wie eine geplante Asylunterkunft im Hotel zum Symbol des Scheiterns wurde

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    In diesem Hotel im Güterverkehrszentrum Augsburg – es liegt auf Gersthofer Flur – sollten bis zu 440 männliche Flüchtlinge untergebracht werden.  Doch das Vorhaben scheiterte.
    In diesem Hotel im Güterverkehrszentrum Augsburg – es liegt auf Gersthofer Flur – sollten bis zu 440 männliche Flüchtlinge untergebracht werden. Doch das Vorhaben scheiterte. Foto: Silvio Wyszengrad

    Ramona Schneidmadl hat Redebedarf nach diesem „Schreck“, der jetzt vorbei ist. Mit ihrer kleinen Tochter an der Hand steht die 33-Jährige am Wahlstand der CSU im Bärenkeller. Ein Stadtteil Augsburgs mit ruhigen Wohnstraßen und vielen Siedlerhäusern, der nur wenige Hundert Meter von dem Hotel im Güterverkehrszentrum entfernt liegt. Dazwischen: Felder und ein kleiner Berg, den die Einheimischen Mount Bärenkeller nennen. 

    Am Wahlstand erzählt Schneidmadl CSU-Stadtrat Peter Schwab, wie froh sie und viele andere jetzt über das geplatzte Vorhaben mit der Asylunterkunft seien. „Ich denke, bei 100 Flüchtlingen hätte keiner im Bärenkeller etwas gesagt. Aber 440 Männer, das ist eine Menge, vor der alle Respekt hatten“, sagt Schneidmadl, die versucht, an einem Beispiel ihre Ängste auszudrücken. Ihre Mutter sei Zeitungsausträgerin gewesen. „Bei der Vorstellung, dass sie dann morgens allein in der alten Siedlung am Feldrand unterwegs gewesen wäre, bekam ich ein komisches Gefühl. In vielen Ländern, aus denen Geflüchtete kommen, haben Frauen einfach einen geringen Stellenwert.“ Sie wisse, schickt die Erzieherin schnell hinterher, das sei ein heftiges Vorurteil. „Aber wo rühren denn solche her? Von Erfahrungswerten.“ CSU-Stadtrat

    Kein Wunder. Das Hotel war in den vergangenen Tagen Gesprächsthema Nummer eins in Augsburg und Umgebung. Die Immobilie, ein weißer Neubauklotz, liegt im Gewerbegebiet, gedacht nicht unbedingt für Touristen, eher für Geschäftsreisende. Wer hätte ahnen können, dass dieses Gebäude einmal ein solcher Zankapfel wird, Mittelpunkt eines Dramas? Und es ist noch viel mehr: eine Art Symbol für die Probleme der Flüchtlingspolitik dieser Tage. Und für die prekäre Lage, in der sich Bayerns Kommunen befinden. 

    Markus Söder will ein Aufnahmelimit in Deutschland

    Über das Thema Migration wird derzeit so viel debattiert wie lange nicht mehr. Der Tenor ist immer ähnlich: Die Kommunen sind am Limit, die Kapazitäten erschöpft. Erst vor wenigen Tagen etwa meldeten sich Bayerns Landräte zu Wort und forderten schärfere Grenzkontrollen. Auch der Bayerische Städtetag rief um Hilfe und pochte bei der Unterbringung von Asylsuchenden auf mehr Unterstützung von Bund und Freistaat. Und dann ist da noch Ministerpräsident Markus Söder, der sich kurz vor der bayerischen Landtagswahl mit einem umstrittenen Vorstoß positioniert: Deutschland benötige ein Aufnahmelimit von 200.000 Asylbewerbern im Jahr.

    Wie angespannt die Lage ist, zeigen auch die Zahlen: In Schwaben sind in diesem Jahr bereits 9255 Geflüchtete angekommen, davon allein 1145 im September (Stand 20. September). Bei diesen Zugangszahlen müsse die Regierung den Kreisverwaltungsbehörden jede Woche insgesamt rund 400 Geflüchtete zur Unterbringung zuweisen, um die Erstaufnahme (Anker) rund um die Uhr für Neuankünfte aufnahmebereit halten zu können, erklärt Karl-Heinz Meyer, Sprecher der Regierung von

    440 Männer aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak sollten im Hotel wohnen

    In diese ohnehin schwierige Situation fällt nun also die Debatte um das Hotel. Am Dienstag voriger Woche schickte das Büro von Martin Sailer, CSU-Landrat des Kreises Augsburg, eine Mitteilung heraus, die es in sich hatte. Der Politiker kündigte an, dass aus dem Hotel auf Flur der Stadt Gersthofen am Rande Augsburgs eine Flüchtlingsunterkunft werden solle, und zwar bereits Ende September. Es würden zunächst 66 Asylsuchende einziehen, hieß es, später einmal sollten es bis zu 440 werden, Männer aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak. Sailer ahnte wohl, dass dieser Schritt viele Menschen aufregen oder verunsichern würde, er schickte eine längere Erklärung mit. Hätte man diese Beherbergung nicht organisiert, so der Tenor, müsste man ein Schullandheim im Landkreis als Asylheim nutzen, wenig später wohl Schulturnhallen. Man habe keine weiteren Flächen mehr.

    An der deutschen Asyl- und Migrationspolitik übt Landrat Sailer eine grundsätzliche Kritik „Obwohl wir seit Monaten warnen, verändert sich nichts, und Deutschland ist von gesteuerter, gezielter Einwanderung und Integration weiter entfernt denn je“, sagte er. Um adäquate Unterbringung gehe es nicht mehr. „Wenn wir ehrlich sind, sorgen wir doch nur noch für das Nötigste: Ein Dach über dem Kopf, damit die Geflüchteten nicht auf der Straße leben müssen.“ Nach der Verkündung gab es tagelang Trubel um das Hotel – ehe das Vorhaben mit einem großen Knall scheiterte.

    Das Vorhaben löste einen politischen Streit aus

    Zunächst entwickelte sich ein politischer Streit. Eva Weber meldete sich zu Wort, Parteifreundin von Sailer und Oberbürgermeisterin von Augsburg. Man sei von dem Vorgehen überrascht worden, sagte sie, der Landkreis müsse „tatsächliche und gefühlte Sicherheit“ berücksichtigen, „Auswirkungen auf die Umgebung“ mitdenken. Sailer entschuldigte sich für die fehlende Abstimmung – um dann seinerseits loszukeilen. Die Aussagen der Oberbürgermeisterin seien teils „sehr befremdlich“, ließ Sailer wissen, der Weber „in gewisser Weise eine Vorverurteilung der Personen“ unterstellte, die in der Großunterkunft leben sollten. Auch das ist bezeichnend für die aktuelle Lage: Die Emotionen kochen angesichts der vielen Probleme schnell hoch.

    Wenige Tage später begann der finale Konflikt um das Asylvorhaben. Der Landkreis hatte mit dem Betreiber des Hotels einen Vertrag geschlossen, der Kette Novum Hospitality. Er sollte zunächst sechs Monate laufen. Wen vorab niemand über die Pläne in Kenntnis gesetzt hatte, war der Eigentümer des Gebäudes, ein Geschäftsmann aus dem Iran. Im Falle einer Untervermietung des Hotels hätte er zustimmen müssen, doch die Hotelkette glaubte offenbar, einen Weg gefunden zu haben, diesen Schritt zu vermeiden. Die komplette Belegung der Anlage durch Asylbewerber für mindestens ein halbes Jahr, die Tatsache, dass das reguläre Hotel faktisch stillgelegt und das Mobiliar teils ausgetauscht werden sollte – all das sei ja nichts anderes als eine „kurzfristige und temporäre Beherbergung von Gästen“, wie es von der Kette hieß, also „üblicher Hotelbetrieb“.

    Was wird jetzt aus den Menschen, die ins Hotel ziehen sollten?

    Der Eigentümer indes kündigte den Pachtvertrag, dann schickte er nach Informationen unserer Redaktion einen Antrag auf einstweilige Verfügung hinterher. Er wollte erreichen, dass die Kette und das Landratsamt aus seinem Hotel keine Asylunterkunft machen – dazu kommt es nun ohnehin nicht mehr. Am Mittwoch blies das Landratsamt die Pläne ab. Grund: Novum Hospitality habe „Konflikte mit dem Eigentümer nicht ausräumen und damit die Überlassung nicht sicherstellen“ können. Nach Angaben von Landrat Sailer habe der Eigentümer der Immobilie selbst den Vertrag mit der Behörde übernehmen und finanziell profitieren wollen; es sei dem Landratsamt gar angeboten worden, dass der Eigentümer 1000 weitere Plätze für Flüchtlinge auf seinem Grundstück hinter dem Hotel schaffen könne. Wenn es stimmt, lieferten sich der Geschäftsmann aus dem Iran und die Hotelkette keinen Zwist darum, ob die Anlage zu einem Asylheim wird – sondern nur, wer daran am meisten verdient.

    Was wird jetzt aus den vielen Menschen, die im Hotel unterkommen sollten? Der Landkreis Augsburg hat inzwischen angekündigt, zunächst das ehemalige Impfzentrum in Gablingen mit Geflüchteten zu belegen. Im Januar dieses Jahres wurde in der Halle eine Notunterkunft mit rund 60 Plätzen eingerichtet. Genutzt wurde sie seitdem erst einmal, im Februar, für eine einzige Nacht. Das wird nun anders werden. Das ehemalige Impfzentrum sei schnell einsatzbereit, heißt es aus dem Landratsamt. Karina Ruf (CSU) ist Bürgermeisterin der Gemeinde mit rund 5000 Einwohnern. Aktuell leben in Gablingen noch keine Geflüchteten in staatlichen Unterkünften. Ruf hat inzwischen mit ihrem Team im Rathaus schon besprochen, wie die Abläufe gestaltet werden sollen, auch das Freiwilligenzentrum sei informiert. „Wir sind gut vorbereitet. Immerhin haben bei uns 2014/2015 schon Geflüchtete gelebt.“

    Mittelfristig könnten es in Gablingen sogar noch weit mehr Geflüchtete werden. Der Landkreis hat einen Bauantrag auf die Errichtung eines Containerdorfs mit 75 Plätzen gestellt. Doch das wird noch dauern. Sind die rund 60 Plätze im ehemaligen Impfzentrum belegt – und das kann schon in einer Woche der Fall sein –, hat das Landratsamt zunächst nur noch eine Ausweichmöglichkeit: das Schullandheim in Dinkelscherben.

    Wenn es keine Unterkünfte mehr gibt, bleiben nur noch Schulturnhallen

    Und dann? Auf die Zahl von 440, wie es der Landkreis Augsburg mit dem Novum-Hotel geplant hatte, kommt er in Gablingen und Dinkelscherben bei Weitem nicht. Kann kein zusätzlicher Wohnraum angemietet werden, bleiben nur Schulturnhallen. Auch das gab es dort 2015 schon. An erster Stelle stand damals die Sporthalle der Realschule Neusäß, inzwischen die einzige Turnhalle für ein Schulzentrum mit mehr als 3000 Kindern und Jugendlichen.

    Zurück zum Bärenkeller. Etliche Menschen hatten sich dort darüber aufgeregt, dass sie bei einer Flüchtlingsunterkunft solchen Ausmaßes vom benachbarten Landkreis vor vollendete Tatsachen gestellt werden sollten. Eine Siedlergemeinschaft hatte schon ins Auge gefasst, mit mehreren Hundert Teilnehmern vor dem Hotel zu demonstrieren. Als Politiker und einer, der selbst im Bärenkeller aufwuchs und dort mit seiner Familie lebt, war Stadtrat Schwab für manch Erzürnten erste Anlaufstelle. „Es war so bedrückend“, meint der Polizist und berichtet etwa von einer älteren Dame, die ihm eine bitterböse E-Mail geschrieben habe und wissen wollte, wie es denn sein könne, dass die

    An jenem Tag, als die Nachricht schließlich durchsickerte, dass aus dem Hotel doch keine Asylunterkunft werde, kam Schwab spät nach Hause. Der Stadtrat wollte unbedingt die Botschaft im Bärenkeller verkünden. Er klingelte an Haustüren, rief in die Gärten hinein. Jetzt, wenige Tage später am Wahlstand, sagt Schwab: Die Erleichterung im Bärenkeller sei groß, aber die Wut bleibe. Und das Misstrauen und die Verunsicherung. Weil die Menschen sich fragten, was noch alles auf sie zukommen werde.

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