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Augsburg: Die Not alter, kranker Menschen in Kliniken und Heimen wächst

Augsburg

Die Not alter, kranker Menschen in Kliniken und Heimen wächst

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    Allein und hilflos auf der Corona-Isolierstation: Beschwerden von Angehörigen mehren sich. Dabei weiß man aus den Erfahrungen der Pandemie längst, wie stark Einsamkeit die Psyche belastet.
    Allein und hilflos auf der Corona-Isolierstation: Beschwerden von Angehörigen mehren sich. Dabei weiß man aus den Erfahrungen der Pandemie längst, wie stark Einsamkeit die Psyche belastet. Foto: Christoph Soeder

    Der Vater, der stark an Demenz leidet, konnte nicht einmal trinken, erzählt die Tochter. Nach einem Sturz und einer Operation sei er auch in seiner Mobilität eingeschränkt gewesen. „Doch man stellte ihm im Krankenhaus Essen und Trinken einfach auf den Tisch. Mein Vater ist an die Teetasse gar nicht hingekommen, aber das interessierte niemanden.“ Eine andere Frau berichtet, dass der hochbetagte Vater auf der Covid-Station über etliche Tage ohne jeden Kontakt zu seiner Familie liegen musste. Solche Berichte von verzweifelten Angehörigen häufen sich.

    Patientenschützer Brysch: Schutzmaßnahmen schießen oft über das Ziel hinaus

    „Krankenhäuser und Pflegeheime müssen sich nicht verbarrikadieren. Mit einem fachkundigen Schnelltest direkt in der Einrichtung ist es unwahrscheinlich, selbst Omikron einzuschleppen“, sagt Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung Patientenschutz auf Anfrage unserer Redaktion. „Doch weiterhin fehlt ein bundesweit geltendes tägliches Testregime für Besucher und Mitarbeiter. Stattdessen reagieren die Verantwortlichen oft mit Schutzmaßnahmen, die über das Ziel hinausschießen.“

    Für Patienten, Bewohner und Besucher bedeute dies massive Kontaktbeschränkungen. „Doch die Nähe zu Angehörigen stärkt die Psyche von Patienten und Pflegebedürftigen. Das ist das Fundament für den Erfolg von Therapie und Pflege“, betont Brysch und sagt: „Politik und Dienstleister haben durch verbindliche Einlasstests dafür die Weichen zu stellen.“

    Der Pressesprecher der Bayerischen Krankenhausgesellschaft wiederum bittet um Verständnis: "Die Krankenhäuser sind in einem echten Dilemma“, sagt Eduard Fuchshuber. Er weiß, „dass es gerade für alte, gebrechliche Menschen, auch für demente und psychisch labile Patientinnen und Patienten extrem schwierig ist“. Denn viele Kliniken hätten infolge der steigenden Corona-Inzidenzen ihre Besucherregeln wieder verschärft. „Die meisten Krankenhäuser lassen nur einen Angehörigen oft nur eine Stunde am Tag als Besuch zu. Kinder sind meist nicht erlaubt. Auf Covid-Stationen gilt absolutes Besuchsverbot, es sei denn, jemand liegt im Sterben. Dann dürfen die Angehörigen selbstverständlich kommen“, erläutert Fuchshuber die Lage.

    Bei Geburten dürften zwar die Väter dabei sein, den Geschwisterkindern seien Besuche aber nicht gestattet. „Das ist keine Willkür der Kliniken“, betont Fuchshuber. „Die Verantwortlichen dort machen sich wirklich viele Gedanken, sie wissen, wie belastend wenig oder kein Besuch für Patienten ist. Kein Krankenhaus handelt hier aus kaltem Herzen heraus.“ Gleichzeitig müssten sie alles tun, um die Viruslast für die Patienten, aber auch für ihr Personal so gering wie möglich zu halten.

    Doch auch den Patienten- und Pflegebeauftragten der Bayerischen Staatsregierung, Prof. Dr. Peter Bauer, treibt das Thema schon lange um. Bereits im Frühjahr appellierte er an die Kliniken, „angesichts der Härte für einzelne Betroffene“ von generellen Besuchsverboten Abstand zu nehmen „und stattdessen verstärkt auf Einzelfallentscheidungen zu setzen“. Schließlich hätten wir von den Besuchsverboten in unseren Pflegeheimen gelernt, „welche Kollateralschäden entstehen können. Diese negativen Folgen müssen in den Kliniken verhindert werden“. Zwar erreichten ihn nun nur noch vereinzelt Beschwerden aus Kliniken. „Die Anfragen aus Pflegeheimen nehmen aber aktuell wieder zu.“

    Was aber können Angehörige tun? An wen können sie sich wenden? Patientenbeauftragter Bauer rät: „Wenn es zwischen Patienten beziehungsweise Angehörigen angesichts der Besuchsregeln zu Konflikten mit dem Krankenhaus kommt, empfehle ich den Betroffenen und ihren Angehörigen in erster Linie das Gespräch mit den Verantwortlichen vor Ort zu suchen.“ Dabei könnten diese auf die enorme psychische Belastung hinweisen und praktikable Lösungen suchen. Als wichtigste Ansprechpartner sieht Bauer neben dem Stationspersonal und den Ärzten auch Patientenfürsprecher.

    Sabine von Mutius ist ehrenamtlich tätige Patientenfürsprecherin am Uniklinikum Augsburg. Sie sieht sich als Vermittlerin zwischen Patienten und Angehörigen auf der einen sowie Pflegekräften und Ärzteschaft auf der anderen Seite. „Und ich habe Verständnis für beide Seiten in der aktuellen Situation“, betont sie. Erreichten sie zu Zeiten des Lockdowns sowie der zweiten und dritten Corona-Welle noch sehr viele Anfragen mit der Bitte, Kontakt zu Erkrankten auf den Isolier- und Normalstationen herzustellen, kämen aktuell weniger Anfragen wegen der Besucherregelungen. „Dafür beschweren sich verstärkt Patienten, dass ihre Operation wegen des akuten Pflegenotstands durch Corona verschoben werden muss. Denn das macht verständlicherweise Angst.“ Allerdings erhält auch sie seit Beginn der Pandemie deutlich mehr Beschwerden von Angehörigen, dass gerade alte, gebrechliche und demente Patienten aufgrund der angespannten Situation nicht ausreichend versorgt werden können.

    Claus Fussek vermisst den Aufschrei in der Gesellschaft

    Einer, der seit vielen Jahren als Anwalt alter Menschen aktiv ist, ist Claus Fussek. Er vermisst den lauten Aufschrei in unserer Gesellschaft, dass so viele alte, pflegebedürftige Menschen nicht ausreichend in Kliniken und Heimen versorgt werden: „Würde man Kinder, wenn sie krank und pflegebedürftig sind, nicht besuchen dürfen, wäre der Aufschrei enorm. Geht es um alte Menschen, schreit niemand.“ Und er fordert einen differenzierten Blick, denn es gebe Altenheime, die kreative Lösungen trotz der Infektionsgefahr finden. Und solche Lösungen „auf der Basis des gegenseitigen Vertrauens“ seien jetzt entscheidend. „In vielen Kliniken und Heimen haben offensichtlich leider einige der Pflegekräfte auch die Macht übernommen und lassen sie an wehrlosen, schwer kranken Menschen und ihren Angehörigen aus. Ihnen fehlt leider die Empathie.“ Gerade in Corona-Zeiten fordert Fussek beispielsweise Ansprechpartner in Kliniken und Heimen, „die telefonisch von früh bis spät für Angehörige erreichbar sind und zuverlässig Kontakte zwischen den Angehörigen und den Patienten herstellen“. Denn er weiß: „Wenn alte Menschen das Gefühl haben, niemand denkt mehr an mich, sterben sie oft den sozialen Tod. Gerade wächst wieder die Gefahr, dass alte Menschen auch aus Einsamkeit in Kliniken und Heimen sterben.“

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