Nach dem tragischen Tod eines 49-jährigen Mannes in Augsburg und dem Messerangriff auf einen Polizisten in München will die Staatsregierung Konsequenzen ziehen. Konkret geht es darum, die Polizeipräsenz in Innenstädten zu stärken. Insbesondere jetzt in der Vorweihnachtszeit werde man in den Städten und auf Weihnachtsmärkten sichtbar mit noch mehr Polizeibeamten präsent sein, kündigte Innenminister Joachim Herrmann nach einer Kabinettssitzung am Dienstag an.
Hätte es schon vorher mehr Polizisten gegeben, die durch Augsburg patrouilliert wären – könnte der Mann, der am Freitagabend am Königsplatz getötet wurde, noch leben? Wäre es erst gar nicht zum Streit mit den Jugendlichen gekommen? Jürgen Ascherl, Stellvertretender Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPoIG) sagt: "Ich glaube nicht, dass man nur mit einer stärkeren Polizeipräsenz so etwas verhindern kann." Allein durch mehr Polizisten kriege man das generelle Problem nicht in den Griff. "Die Gesellschaft hat sich verändert, die Menschen sind gewaltbereiter geworden, vor allem dann, wenn Alkohol und Drogen im Spiel sind." Man müsse ein Umdenken erzielen – und das sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, etwa von Schulen oder Eltern, die den Kindern mit auf den Weg geben müssten, dass man Probleme nicht mit Schlägen und Tritten löst. Auch Peter Schall, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), sagt, dass die Menschen immer gewaltbereiter werden. "Das Bewusstsein für andere ist ein Stück weit abhandengekommen." Auch der Respekt vor Einsatzkräften schwinde. Schall fordert deshalb: "Den jungen Leuten muss beigebracht werden, dass sie nicht nur Rechte haben, sondern auch Pflichten."
Die Beamten haben extrem viele Überstunden
Ganz abgesehen davon: Das Personal für eine stärkere Polizeipräsenz in den Innenstädten würde auch gar nicht reichen. "Im Moment haben wir nicht genügend Polizisten", sagt Ascherl von der DPoIG. Bis 2023 sollen 3500 zusätzliche Stellen hinzukommen, bereits im nächsten Jahr sollen es 800 bis 1000 sein. "Aber im Moment sind wir im Keller."
Auch Schall von der GdP sagt: "Ad hoc haben wir das Personal nicht." Und er gibt eines zu bedenken: Wenn man die neu ausgebildeten Nachwuchspolizisten auf die einzelnen Dienststellen verteilt, dann dürften sie nicht nur in Städten eingesetzt werden. "Man darf die Dienststellen auf dem Land nicht vergessen. Die haben ohnehin schon Personalprobleme."
Hinzu kommt: Die bayerischen Beamten schieben einen gewaltigen Überstundenberg vor sich her. Beim Polizeipräsidium Schwaben Nord in Augsburg waren es 2017 rund 112.000, beim Präsidium Schwaben Süd/West in Kempten waren es mehr als 72.000 Überstunden. Deswegen, sagt Ascherl, müsse man auch Prioritäten setzen. Heißt: Wenn die Polizeipräsenz in den Innenstädten steigen soll, dann müsse man die Kollegen irgendwo anders abziehen. "On top geht das nicht", sagt Ascherl. "Man könnte etwa in der Verkehrsüberwachung auf Personal verzichten, aber das wird unser Ministerpräsident auch nicht wollen."
Gewerkschaft schlägt Abzug der Bereitschaftspolizei von den Grenzkontrollen vor
Eine Möglichkeit, die Polizeipräsenz in den Innenstädten zu stärken, sieht die Deutsche Polizeigewerkschaft im Abzug der Bayerischen Bereitschaftspolizei von den Grenzkontrollen. Seit Dezember 2016 sind ständig drei Einsatzzüge der Bayerischen Bereitschaftspolizei bei drei stationären Grenzkontrollstellen gebunden. "Diese Einsatzkräfte fehlen für andere wichtige polizeiliche Unterstützungsaufgaben im Landesinnern, beispielsweise zur Verstärkung der Polizeipräsenz auf Weihnachtsmärkten", kritisiert Ascherl. "Andere Personalreserven stehen der Polizei dafür nicht zur Verfügung, ohne die anderen Polizeiaufgaben zu vernachlässigen und weitere Überstunden anzuhäufen."
Welche anderen Möglichkeiten gibt es, in den Städten für mehr Sicherheit zu sorgen? In München hat man Ascherl zufolge bereits gute Erfahrungen mit der Reiterstaffel gemacht. Auch Augsburg soll dem Gewerkschaftsvize zufolge berittene Polizisten bekommen. "Aber wohl nicht in der Menge. Und wenn durch Augsburg zwei Pferde traben, dann ist die Frage, ob das als präventive Wirkung ausreicht."
Besonders hoch sind – wegen der Gefahr von Terroranschlägen – bisher die Sicherheitsvorkehrungen rund um die Weihnachtsmärkte in München und Nürnberg. Das gelte, so Herrmann, abgestuft auch für Augsburg und andere Orte. Es gebe für jede Veranstaltung ein Sicherheitskonzept, das immer wieder überarbeitet werde. "Wir werden alles dafür tun, unsere Innenstädte noch sicherer zu machen." Der Minister sagte aber auch, dass es gegen Attacken wie in Augsburg keinen hundertprozentigen Schutz geben könne, und warnte davor, aus den schrecklichen Einzelfällen falsche Schlüsse zu ziehen. Die Kriminalitätsbelastung in Bayern sei aktuell so niedrig wie vor 30 Jahren.
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