Innerhalb weniger Augenblicke ist nichts mehr wie es war. Eine Frau verliert ihren Ehemann, ein Kind seinen Vater, die Berufsfeuerwehr einen Kollegen – und das ganze Land blickt nach Augsburg, wo am Freitagabend ein 49-Jähriger nach dem Besuch des Christkindlesmarktes auf offener Straße getötet wurde. Er war mit mehreren jungen Männern in einen Streit geraten, der dann offenbar völlig eskalierte und in einer Tragödie endete. Drei Tage später ist das Entsetzen noch immer groß. Vor allem auch deshalb, weil man das Gefühl hat: Es hätte jeden treffen können.
Wie also reagiert man am besten, wenn man in eine derartige Situation gerät? Und was können Außenstehende tun? Einer, der sich mit derlei Fragen befasst, ist Günter Müller von der kriminalpolizeilichen Beratungsstelle der Kripo Augsburg. Er sagt: Wenn man angepöbelt wird, dann sei es wichtig, ruhig bleiben. „Man sollte den anderen nicht provozieren und sich auch nicht provozieren lassen“. Oft ist es am besten, einfach weiterzugehen, Distanz zwischen sich und den anderen zu bringen. Wenn man reagiert, dann sollte man höflich bleiben und den anderen nicht duzen. „Etwa: Hören Sie auf, mich zu beleidigen.“
Auch Harald Schmidt, der Geschäftsführer der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes, rät, sich defensiv zu verhalten: Wenn man von einer ganzen Gruppe angepöbelt wird, dann sei es besser, die Straßenseite zu wechseln. „Sich allein gegen eine Gruppe zu wenden, ist schwierig“, sagt Schmidt. Aber es gebe leider kein Pauschalrezept, wie man mit brenzligen Situation umgehen sollte. „Denn man weiß ja nie, wie kurz die Zündschnur des anderen ist.“ Generell sei es so, dass man die Situation immer genau abwägen müsse. Beispiel: Es ist einfacher, einen einzelnen Jugendlichen darauf hinzuweisen, im Zug die Füße vom Sitz zu nehmen, als eine Gruppe Betrunkener zu bitten, ihre Bierflaschen nicht auf die Straße zu werfen.
Gewalt-Attacke: Einschreiten ist Aufgabe der Polizei
Die Situation genau einzuschätzen, bevor man handelt, sei auch dann wichtig, wenn man selbst eigentlich nicht betroffen ist. Sondern Zeuge davon wird, wie jemand anderes in einen Streit verwickelt ist. „Bei einer Schlägerei dazwischen zu gehen, kann schon eine Option sein – aber das hängt vom Einzelfall ab“, sagt Schmidt. „Wenn man beispielsweise selbst Kampfsportler ist, dann mag das möglich sein. Aber das ist nicht die Regel.“ Deswegen gelte vor allem eines: Das Einschreiten ist die Aufgabe der Polizei.
Nun bedeute das aber natürlich nicht, dass man nichts tun solle. Bei der Polizeilichen Kriminalprävention hat man sechs Punkte erarbeitet, die eine Art Wegweiser für Zivilcourage sind. Erstens: Hilf, aber bring dich nicht selbst in Gefahr. Zweitens: Ruf die Polizei. Drittens: Bitte andere um Hilfe. Viertens: Präge dir Tätermerkmale ein. Fünftens: Kümmere dich um das Opfer. Und sechstens: Sag als Zeuge bei der Polizei aus.
Besonders wichtig sei es, sich Verbündete zu suchen. „Der Täter merkt dann: Ich habe hier nicht die Oberhand. Was ich hier mache, wird nicht toleriert“, erklärt Schmidt. Um die Situation weiter zu deeskalieren, sollte ein Täter auch nie geduzt oder respektlos behandelt werden, sagt der Experte.
Junge Männer gelten als besonders gewaltbereit
Im Fall des getöteten Mannes aus Augsburg waren die mutmaßlichen Täter allesamt junge Männer. Mittlerweile gibt es viele Studien, die belegen, dass Männer – vor allem zwischen 18 und 21 Jahren – besonders gewaltbereit sind. Auch Jörg Breitweg, Experte für Gewaltprävention bei der Aktion Jugendschutz Bayern, sagt: „Das ist ein fast rein männliches Problem.“ Etwa 80 Prozent der Gewalttäter seien Männer, wenn Alkohol im Spiel ist, steige die Zahl auf über 90 Prozent. Warum ist das so? „In einer Gruppe junger Männer versucht jeder einzelne, sein Gesicht zu wahren und sich seinen Platz in der sozialen Hierarchie zu sichern.“ Immer wieder bekommt Breitweg, der lange als Streetworker gearbeitet hat, auch die Frage gestellt, ob denn die Hemmschwelle bei jungen Menschen generell sinke. Seine Antwort: Nein. „Junge Erwachsene haben zwar am meisten mit Gewalt zu tun – und zwar sowohl als Täter wie auch als Opfer. Aber das war schon immer so.“
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