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Lesetipp: 16-Jährige soll abgeschoben werden: "Ich habe meine Zukunft hier gesehen"

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16-Jährige soll abgeschoben werden: "Ich habe meine Zukunft hier gesehen"

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    Am 18. Januar geht ein Abschiebeflug in den Irak. Die 16-jährige Laven weiß nicht, ob sie mit ihrer Familie im Flugzeug sitzen wird.
    Am 18. Januar geht ein Abschiebeflug in den Irak. Die 16-jährige Laven weiß nicht, ob sie mit ihrer Familie im Flugzeug sitzen wird. Foto: Julian Stratenschulte

    Ihre Verzweiflung merkt man Laven Tawfic an. Und ihre Angst. Angst, dass sie bald nicht mehr in Deutschland ist. Sondern im Irak. "Ich hatte wirklich die Hoffnung, dass wir bleiben dürfen", sagt die 16-Jährige. "Ich habe meine Zukunft hier gesehen." 

    2020 ist das Mädchen mit seiner Familie nach Deutschland gekommen. In Asbach-Bäumenheim (Kreis Donau-Ries) besucht Laven die Mittelschule, ist sogar Schulsprecherin. Doch im Herbst wurde ihr und den anderen Familienmitgliedern die Duldung entzogen. "Das ist für mich eine Katastrophe. Ich habe Deutsch gelernt, ich habe versucht, alles richtig zu machen", sagt sie. "Ich habe sogar schon die Zusage für eine Ausbildung in einer Zahnarztpraxis." 

    Laven weiß nicht, ob sie am 18. Januar in den Irak fliegen muss

    "Laven ist eine sehr nette Schülerin, sehr gut integriert, weltoffen, man mag sie einfach", sagt Stefan Lingel, der Rektor von Lavens Schule. Dass sie bereits einen Ausbildungsvertrag hat, wundert ihn nicht: "Sie überzeugt einfach mit ihrer Persönlichkeit." Doch wie es weitergeht, weiß Laven trotzdem nicht. "Am 18. Januar geht ein Flug in den Irak. Ich weiß nicht, ob wir in diesem Flugzeug sitzen werden", sagt die 16-Jährige.

    Laven hofft, dass ihre Familie eine Chance bekommt. Zumal sie einiges durchgemacht hat. Einer von Lavens Brüdern ist schwer krank, ihm wurde ein Tumor hinter dem Auge entfernt, jetzt stehen noch Bestrahlungen an. Der Vater habe sich ständig um seinen Sohn gekümmert, konnte deswegen nicht arbeiten. Die Mutter sitzt im Rollstuhl. "Ich weiß, dass sie nicht wollen, dass wir alle bleiben", sagt Laven. Das Gericht habe ihr angeboten, dass sie mit einem ihrer Brüder, der bereits 18 Jahre alt ist, in Deutschland bleiben könne – der Rest aber müsse zurück. "Allein die Vorstellung ist für mich schrecklich. Ich war noch nie ohne meine Eltern", sagt Laven. Das Angebot hat sie abgelehnt. 

    Steiger: "Ein Ausbildungsplatz schützt nicht vor Abschiebung"

    Die Frage, wie man mit Geflüchteten umgehen soll, wird seit Monaten hitzig debattiert. Im November hatte die CSU-Fraktion eine Resolution verabschiedet, in der gefordert wurde, die Migration stark zu begrenzen. Andernfalls sei der soziale Frieden gefährdet, rechtspopulistische und rechtsextreme Ansichten würden in Zukunft spürbar zunehmen, heißt es in dem Papier. 

    Gabriele Triebel, stellvertretende Vorsitzende des Bildungsausschusses im Landtag, kritisiert, dass der harte Asyl-Kurs auch gut integrierte Menschen trifft. "Mich macht das richtig wütend, dass junge Leute, die hier eine Integrationsleistung erbracht haben, abgeschoben werden sollen", sagt die Grünen-Abgeordnete aus Kaufering (Kreis Landsberg). 

    Josefine Steiger findet noch drastischere Worte: "Es geht um Zahlen und um sonst gar nichts. Nicht einmal ein Ausbildungsplatz schützt davor, abgeschoben zu werden." Steiger, die frühere langjährige Ausbildungsleiterin der IHK Schwaben, hat das Projekt "Junge Flüchtlinge in Ausbildung" in den Ruhestand mitgenommen, spricht mit Botschaften und Ausländerbehörden, reist durch die ganze Welt. Sie betont: "Man darf die Schuld nicht allein den Ausländerbehörden zuschieben. Da gibt es durchaus Kompromisse. Aber die Order kommt eben aus München."

    Flüchtlingsrat blickt besorgt auf die vielen Abschiebungen in den Irak

    Besonders unverständlich findet Steiger den scharfen Asyl-Kurs vor dem Hintergrund, dass in Bayern viele Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben. "Im vergangenen Jahr konnte jeder dritte Ausbildungsbetrieb seine offenen Stellen nicht besetzen." Dennoch gebe es für junge Geflüchtete oft keine Möglichkeit, hier eine Ausbildung zu machen. Manchmal klappt es noch über die freiwillige Ausreise und die anschließende Rückkehr über das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. "Junge Menschen, die einen Ausbildungs- und einen Mietvertrag sowie einen Pass und keine Vorstrafen haben, können diesen Weg gehen", sagt Steiger. 

    Menschen, die wie Laven und ihre Familie aus dem Irak geflüchtet sind, hätten es derzeit besonders schwer, fährt Steiger fort. "Da wird keine Rücksicht mehr genommen." Beim Bayerischen Flüchtlingsrat blickt man besorgt auf die zunehmende Zahl an Abschiebungen in den Irak. Der Organisation zufolge galt für Personen ohne relevante strafrechtliche Verurteilungen über lange Zeit, dass sie nicht in das Land im Mittleren Osten abgeschoben werden. Das habe sich im Mai 2023 geändert. Der Grund: das Migrationsabkommen, auf das sich die Bundesregierung und der Irak verständigt hatten. "Seither sind Abschiebungen für alle Personen möglich", sagt Jana Weidhaase vom Bayerischen Flüchtlingsrat. "Es finden monatliche Sammelabschiebungen und darüber hinaus Einzelabschiebungen in den Irak statt. Und leider gibt es in Bayern keinerlei Einschränkungen. Es werden auch Minderheiten wie Jesiden oder Familien mit Kindern abgeschoben." Der Flüchtlingsrat fordert einen Abschiebestopp. "Denn aus unserer Sicht ist das ein Skandal", sagt Weidhaase. 

    Innenminister: "Kein Anspruch auf eine Duldung"

    "Im Fall des 16-jährigen irakischen Mädchens ist der Wunsch nach einem dauerhaften Bleiberecht menschlich völlig nachvollziehbar", sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) auf Nachfrage unserer Redaktion. Die Gründe, die für einen Verbleib sprechen würden, seien von der Ausländerbehörde umfassend geprüft worden. Doch in einer Gesamtabwägung aller Umstände sei auch das Verwaltungsgericht Augsburg zu dem Ergebnis gekommen, "dass kein Anspruch auf Erteilung einer Duldung und folglich auch nicht auf Erteilung eines Aufenthaltsrechts besteht". Es sei nach Ansicht des Gerichts auch kein Argument "nur um des Schulabschlusses einer Minderjährigen willen, dass eine siebenköpfige, bislang vollständig von Sozialhilfe abhängige ausreisepflichtige Familie langfristig im Bundesgebiet bleiben könne". 

    Maja von Oettingen, Lavens Anwältin und spezialisiert auf Asyl- und Ausländerrecht, sieht indes noch offene Fragen: "Mir ist es unerklärlich, wie es zum Entzug der Duldung kommen konnte, nachdem das bayerische Innenministerium extra für Betroffene wie sie, gut integrierte Jugendliche, die seit drei Jahren in Deutschland sind und erfolgreich die Schule besuchen, die Weisungen an alle Ausländerbehörden erteilt hat, eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen", sagt sie. "Und eben nicht die Duldung zu entziehen, damit eine Abschiebung möglich ist." Der Anwältin zufolge hätte eine Aufenthaltsgenehmigung für Laven auch Auswirkungen auf die ganze Familie: "Die dürfte dann ebenfalls bleiben. So sieht es das Gesetz vor."

    Laven hat Angst, im Irak heiraten zu müssen

    Die Schülerin blickt in eine ungewisse Zukunft. Sie hat Angst, im Irak gezwungen zu werden, Kopftuch zu tragen oder womöglich zu heiraten. Ihre Angehörigen im Irak seien sehr religiös, ihre Eltern indes ließen sie selbst entscheiden. "Sie sagen immer: Es ist ok, wenn du kein Kopftuch trägst, wir sind in Deutschland." Jetzt stellt sich Laven die Frage: Wie lange noch?

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